Statische retinale Gefäßanalyse
Bei der statischen retinalen Gefäßanalyse (retinal vessel analysis, RVA) handelt es sich um ein nicht-invasives diagnostisches Verfahren der Augenheilkunde, welches zur Detektion und Beurteilung struktureller Veränderungen der retinalen Gefäße (Netzhautgefäße) eingesetzt werden kann.
Unter Verwendungen einer Funduskamera (Kamera zur Erstellung von Bildern des Augenhintergrundes) erfolgt die Bestimmung der Gefäßdurchmesser sowohl der arteriellen als auch der venösen Gefäßabschnitte aus Einzelbildern oder Bildsequenzen. Anhand definierter Messpunkte wird der Durchmesser der Gefäße beurteilt. Eine Funktionsbeurteilung kann jedoch ausschließlich bei der dynamischen Gefäßanalyse der retinalen Mikrogefäße (Mikrogefäße der Netzhaut) durchgeführt werden.
Die per retinaler Gefäßanalyse beobachteten Augenveränderungen haben für eine Reihe von Allgemeinerkrankungen prädiktiven Charakter – darunter Apoplex (Schlaganfall), Demenz, Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz (Herzinfarkt), Metabolisches Syndrom (MetS) und möglicherweise auch Morbus Alzheimer.
Zielsetzung der statischen retinalen Gefäßanalyse (RVA)
Die RVA zielt darauf ab, strukturelle Veränderungen in den retinalen Gefäßen zu erkennen und zu bewerten, was wichtige Informationen über das Risiko systemischer vaskulärer Erkrankungen wie Apoplex, Demenz und Herzinsuffizienz liefert. Durch die präzise Messung der Gefäßdurchmesser bietet das Verfahren eine Grundlage für die Früherkennung und das Management dieser Erkrankungen.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Risikobeurteilung für einen Apoplex − vaskuläre Veränderungen der Retina korrelieren mit der Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen, zu denen auch der Apoplex gezählt wird. Von entscheidender diagnostischer Bedeutung für die Risikobeurteilung ist die Bestimmung des Arterien/Venen-Durchmesserverhältnisses der Retina, das sowohl mit dem Vorliegen eines Hypertonus als auch dem Apoplexrisiko assoziiert ist. Dieses ermöglicht den Einsatz einer nicht invasiven Diagnostik zur Evaluation kardiovaskulärer Risikofaktoren. Vergleicht man den Gefäßaufbau und die Physiologie der retinalen Gefäße und der kleinen Gefäße des zentralen Nervensystems, so lässt sich eine deutliche feststellen, sodass die Aussagekraft des Testverfahrens als sehr gut anzusehen ist.
- Risikobeurteilung für eine Demenz − die Demenz kann verschiedene Ursachen haben. Vaskuläre Veränderungen stellen einen wichtigen Faktor in der Pathogenese einer Demenzerkrankung dar.
- Risikobeurteilung für eine Herzinsuffizienz [6]
- Risikobeurteilung für einen Myokardinfarkt (Herzinfarkt) − ein entscheidender Risikofaktor für das Auftreten eines Myokardinfarktes ist der Gefäßstatus. Durch einen Hypertonus werden nicht nur die Gefäße geschädigt, es entstehen auch mikroskopische und makroskopische Veränderungen des Myokards. Der VSL Analyzer kann als nicht invasive Zusatzdiagnostik zur Risikobestimmung eingesetzt werden.
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
Für den Einsatz der statischen retinalen Gefäßanalyse zur Risikobeurteilung liegen keine Kontraindikationen vor. Die Anwendung darf jedoch nicht im akuten kardiovaskulären Geschehen eingesetzt werden.
Vor der Untersuchung
- Für die Durchführung der statischen retinalen Gefäßanalyse ist in der Regel eine Pupillenerweiterung (Mydriasis) zur Verbesserung der Untersuchungsergebnisse notwendig. Als Mydriaticum werden beispielsweise Tropicamid Augentropfen eingesetzt.
Hinweis: Neben den retinalen Gefäßen müssen weitere Gefäßsysteme untersucht werden, um das Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses beurteilen zu können.
Als zusätzliche nicht invasive Diagnostik besonders zur Beurteilung des Apoplexrisikos bietet sich die Sonographie (Ultraschalluntersuchung) der Arteria carotis an, da diese ebenfalls einen hohen Assoziationsgrad mit dem Apoplexrisiko hat.
Das Verfahren
Zur optimalen Untersuchung sind eine Winkeleinstellung von 30° und die Positionierung der Papille im Zentrum des Bildes notwendig.
Um mithilfe des Verfahrens einen Rückschluss auf den systemischen Gefäßstatus ziehen zu können, werden die erstellten Fundusbilder anschließend mit einer computergestützten halb automatischen Bildanalysemethode ausgewertet.
Zur Durchführung des Verfahrens ist unter anderem eine Festlegung einer Messzone notwendig, die ungefähr einen Papillendurchmesser vom Papillenrand entfernt liegt. Anschließend werden die vorhandenen Retinalarteriolen und -venolen innerhalb dieses Messbereichs lokalisiert, sodass der Gefäßdurchmesser mit einer mathematischen Formel aus der Summe der einzelnen automatisch ermittelten arteriolären und venulären Gefäßdurchmesser errechnet werden kann. Hieraus ergibt sich der arteriolär-venuläre Quotient (AVR), mit dem Rückschlüsse auf den systemischen Gefäßstatus gezogen werden können.
Die Analyse erfolgt unter unterschiedlichen Protokollen: zum Beispiel in Form von 3-mal 20 Sekunden Flickerlicht mit jeweils 80 Sekunden Erholungszeit dazwischen.
Die kleinsten Gefäße in der Netzhaut zeigen bei Herzpatienten auf einen Stimulus (Licht) eine weit unterdurchschnittliche Reaktion. Die mikrovaskuläre Dilatation der Netzhaut als Reaktion auf Flickerlicht ist bei Herzinsuffizienz beeinträchtigt [6].
Mögliche Befunde
- Normalbefund: Keine signifikanten Abweichungen im Arterien/Venen-Durchmesserverhältnis, was auf ein geringes Risiko für systemische Erkrankungen hinweist.
- Pathologischer Befund: Veränderungen in der Breite oder dem Verhältnis von Arterien zu Venen, die auf ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse oder andere systemische Bedingungen hindeuten können.
- Spezifische Risikobewertungen: Bestimmung spezifischer Risiken für Erkrankungen wie Apoplex (Schlaganfall), Demenz und Herzinsuffizienz (Herzschwäche) basierend auf den gemessenen Gefäßparametern.
Nach der Untersuchung
Die Kombination aus einer Blutdruckmessung, einer Beurteilung der vorliegenden Risikofaktoren, der statischen und dynamischen retinalen Gefäßanalyse lässt reproduzierbare Erkenntnisse zum systemischen Gefäßstatus zu. Durch die Anwendung weiterer diagnostischer Verfahren lassen sich die Ergebnisse weiter präzisieren.
Mögliche Komplikationen
Bei der statischen retinalen Gefäßanalyse handelt es sich um ein nicht-invasives Diagnostikum ohne Risiko für das Auftreten einer Komplikation.
Literatur
- Esefeld K: Statische und dynamische retinale Gefäßanalyse bei Patienten nach operativer Korrektur einer Aortenisthmusstenose. Dissertation. 2010
- Strauss RW, Lüdtke U, Kampik A, Neubauer AS: Statische retinale Gefäßanalyse bei akutem Blutdruckanstieg. Georg Thieme Verlag 2011
- Nasemann J, Gross I: Messung retinaler Gefäßdurchmesser an Autofluoreszenz-Bildern der Netzhaut – Reproduzierbarkeit einer neuen Methode. 104. Jahrestagung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft e. V. (DOG). 2006.
- Neubauer A, Lüdtke M, Haritoglou C, Prilinger S, Kampik A: Retinal Vessel Analysis Reproducibility in Assessing Cardiovascular Disease. Optom Vis Sci. 2008 Apr;85(4):247-54. doi: 10.1097/OPX.0b013e318169284c.
- Augustin AJ: Augenheilkunde. Springer Verlag 2007
- Nägele MP, Barthelmes J, Ludovici V, et al.: Retinal microvascular dysfunction in heart failure. European Heart Journal 2018; 39: 47-56, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehx565