Gonioskopie
Die Gonioskopie ist ein diagnostisches Verfahren in der Ophthalmologie (Augenheilkunde) und dient der Inspektion des sogenannten Kammerwinkels. Der Kammerwinkel (Angulus iridocornealis) ist eine anatomische Struktur des Auges, die zwischen Kornea (Hornhaut) und Iris (Regenbogenhaut) gelegen ist.
Der Kammerwinkel besteht aus folgenden Bestandteilen:
- Schwalbe-Linie – zarte graue Linie an der Grenze zwischen Hornhautendothel (Hornhautinnenfläche) und Trabekelwerk
- Trabekelband – siebartiges Geflecht im Kammerwinkel, dessen hinterer Anteil meist pigmentiert ist
- Skleralsporn – weißliche Linie zwischen Trabekelwerk und Ziliarkörperband
- Ziliarkörperband – bräunliches Band an dem die Irisbasis befestigt ist
Im Kammerwinkel befindet sich der sogenannte Schlemm-Kanal durch den das Kammerwasser, das als Nährflüssigkeit die Linse und die innere Fläche der Hornhaut umspült, abfließt bzw. resorbiert wird. Ist dieser Kreislauf gestört, sodass das Kammerwasser z. B. durch einen zu engen Kammerwinkel nicht resorbiert werden kann, entsteht eine Erhöhung des Augeninnendrucks. Dadurch entsteht ein Krankheitsbild, das als Glaukom bezeichnet wird. Das Glaukom (oder auch Grüner Star) ist durch eine fortlaufende Schädigung des Sehnervs charakterisiert, die durch eine Kompression der Nervenfasern an der Papille (Austrittsstelle des Nerven aus dem Auge) mit Exkavation (Aushöhlung, Ausstülpung) derselben verursacht wird. Der Grüne Star ist eine der häufigsten Erblindungsursachen.
Die Gonioskopie sollte bei Verdacht auf Glaukom und bei Glaukompatienten durchgeführt werden. Die Untersuchung dient dem Sichtbarmachen des Kammerwinkels, da dieser mit bloßem Auge nicht erkennbar ist. Dies ist auf eine Totalreflexion des Lichtes durch die Hornhaut zurückzuführen. Ziel ist die Erfassung der Pathomechanismen (Prozesse, die der Entstehung einer Krankheit zugrunde liegen) des Glaukoms, außerdem dient die Untersuchung der Einteilung der Kammerwinkelweite, um das Risiko eines Winkelblockglaukoms einschätzen zu können.
Zielsetzung
- Hauptziel der Gonioskopie ist die detaillierte Untersuchung des Kammerwinkels, um Strukturen zu identifizieren, die auf das Risiko eines Glaukoms hinweisen können. Insbesondere wird geprüft, ob der Kammerwinkel offen, verengt oder verschlossen ist, was entscheidend für die Diagnose und die Auswahl der Behandlungsmethoden ist.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Glaukom – primäres Glaukom, z. B. Winkelblockglaukom oder sekundäres Glaukom, das durch eine andere Augenerkrankung verursacht wird: Neovaskularisierungsglaukom, Pigmentglaukom, Verlegung des Kammerwinkels durch Neubildungen wie z. B. Retinoblastom (Tumor)
- Entwicklungsstörungen des Auges – z. B. kongenitales (angeborenes) Glaukom, Hydrophthalmus
- Fremdkörper im Kammerwinkel
- prä-, intra- oder postoperativ bei Augenoperationen – z. B. Goniotomie
- Rubeosis iridis – Kammerwinkelneovaskularisierung
- Tumorverdacht
- Uveitis – Entzündung der mittleren Augenhaut bestehend aus Choroidea (Aderhaut), Corpus ciliare (Ziliarkörper) und Iris (Regenbogenhaut). Je nach Lokalisation liegt entweder eine anteriore (vordere), intermediäre (mittig gelegene) oder posteriore (hintere) Entzündung oder bei kompletter Erkrankung aller Strukturen eine Panuveitis vor.
- Zysten im Bereich des Kammerwinkels
Kontraindikationen
- Akute Augeninfektionen: Durchführung der Gonioskopie könnte das Risiko einer weiteren Verbreitung der Infektion erhöhen.
- Schwere Augenverletzungen: Wenn eine schwere Verletzung vorliegt, insbesondere im Bereich der Hornhaut oder des vorderen Augenabschnitts, könnte die Anwendung eines Gonioskops die Verletzung verschlimmern.
- Extreme Photophobie: Bei Patienten, die extrem lichtempfindlich sind, kann die Untersuchung unangemessen schmerzhaft oder technisch schwierig sein.
- Unkooperative Patienten: Bei Patienten, die aufgrund von kognitiven Beeinträchtigungen oder aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, während der Untersuchung stillzuhalten, könnte die Gonioskopie zu ungenau oder unmöglich sein.
- Hypersensitivität gegenüber topischen Anästhetika: Da zur Betäubung der Augenoberfläche Anästhetika verwendet werden, ist bei bekannten Allergien gegen diese Substanzen Vorsicht geboten oder alternative Methoden sind zu erwägen.
Vor der Untersuchung
- Vor der Untersuchung wird das Auge lokal betäubt, um Beschwerden während der Anwendung des Gonioskops zu minimieren. Patienten sollten über die Art der Untersuchung, mögliche Unannehmlichkeiten und die Bedeutung der Untersuchung für die Diagnose und Behandlung informiert werden.
Das Verfahren
Vor der eigentlichen Untersuchung wird das Auge anästhesiert (betäubt). Der Augenarzt setzt das Gonioskop direkt auf das Auge, dabei kann die Verwendung von Kontaktgel notwendig sein (Substanz, die zwischen Gonioskop und Hornhaut aufgetragen wird, sodass beide Oberflächen optimal aufeinanderliegen). Die Gonioskopie kann in ein direktes und ein indirektes Verfahren unterteilt werden. Die direkte Gonioskopie wird z. B. mithilfe eines Barkan-Gonioskop durchgeführt. Das Gerät wird bei Hydrophthalmus (kindliches Glaukom) oder bei einer Goniotomie (operative Methode bei der Behandlung des kongenitalen Glaukoms) zur Erzeugung eines aufrechten Bildes des Kammerwinkels eingesetzt.
Die indirekte Gonioskopie wird vor allem zur allgemeinen Diagnostik von pathologischen Veränderungen des Kammerwinkels und bei der Laser-Goniotomie eingesetzt. Das Goldmann- oder Zeiss-Gonioskop aus einer Linse mit eingebautem Spiegel und erzeugt ein Spiegelbild des gegenüberliegenden Kammerwinkels.
Eine Variante ist die Intendationsgonioskopie bzw. Eindellungsgonioskopie. Dabei wird parallel zur Gonioskopie eine Hornhauteindellung durchgeführt, um festzustellen, ob ein verengter oder verschlossener Kammerwinkel (z. B. beim Winkelblockglaukom) durch den Druck des Kammerwassers eröffnet werden kann.
Bei der Untersuchung des Kammerwinkels wird auf die folgenden pathologischen Veränderungen geachtet, die besonders bei Verdacht auf Glaukom wichtig sind:
- Neovaskularisierung (Gefäßneubildung) bedingt ein sogenanntes Neovaskularisierungsglaukom
- Öffnungswinkel des Kammerwinkels, wenn dieser zu klein ist, kann ein Winkelblockglaukom entstehen
- Pigmentierung des Trabekelwerks, die auf ein Pigmentglaukom hinweist
- Verklebung des Kammerwinkels: hier besteht ebenfalls die Gefahr eines Winkelblockglaukoms
Durch die Gonioskopie können krankhafte Veränderungen des Kammerwinkels des Auges erfasst werden. Gegebenenfalls kann der Schweregrad der Erkrankung festgestellt werden. Die Gonioskopie ist ein nicht belastendes diagnostisches Verfahren in der Augenheilkunde, welches wichtige diagnostische Informationen vor allem bei Verdacht auf Glaukom liefern kann.
Mögliche Befunde
- Kammerwinkelweite
- Offener Kammerwinkel: Ein offener Kammerwinkel ist normal und weist auf keinen unmittelbaren Verdacht auf ein Winkelblockglaukom hin.
- Enger Kammerwinkel: Ein verengter Kammerwinkel kann ein erhöhtes Risiko für ein Winkelblockglaukom anzeigen. Das Risiko eines akuten Glaukomanfalls, bei dem der Kammerwinkel plötzlich verschlossen wird, ist hierbei erhöht.
- Verschlossener Kammerwinkel: Ein verschlossener Kammerwinkel ist ein Notfall, der sofortige medizinische Maßnahmen erfordert, um den Augeninnendruck zu senken und das Sehvermögen zu bewahren.
- Pigmentierung
- Normale Pigmentierung: Die normale Pigmentierung variiert von Person zu Person, jedoch sollte das Trabekelwerk nicht übermäßig pigmentiert sein.
- Übermäßige Pigmentierung: Kann auf ein Pigmentdispersionssyndrom oder Pigmentglaukom hinweisen, bei dem Pigmentgranula aus der Iris das Trabekelwerk verstopfen und den Augeninnendruck erhöhen.
- Neovaskularisationen
- Diese sind neue, abnormale Blutgefäße, die im Kammerwinkel wachsen und auf Erkrankungen wie das Neovaskularisationsglaukom hinweisen. Dieses kann durch zugrunde liegende Systemerkrankungen wie Diabetes mellitus verursacht werden.
- Trabekelwerkblockaden
- Partielle Blockaden: Können auf frühe Stadien eines chronischen offenen Winkelglaukoms hinweisen, wo der Abfluss von Kammerwasser teilweise behindert ist.
- Komplette Blockaden: Diese sind ernstere Befunde, die einen unmittelbaren medizinischen Eingriff erfordern, um den Augeninnendruck zu kontrollieren und eine Schädigung des Sehnervs zu verhindern.
- Skleralsporn und Ziliarkörperband
- Sichtbarkeit und Zustand: Eine klare Sicht auf den Skleralsporn und das Ziliarkörperband ist normal; ihre Verdeckung oder Veränderung kann auf Pathologien hinweisen, die den Kammerwinkel betreffen.
Hinweis: Definition der Fachbegriffe siehe oben in der Einleitung.
Nach der Untersuchung
- Nachbeobachtung: Unmittelbar nach der Untersuchung sollte der Augenarzt den Patienten kurz beobachten, um sicherzustellen, dass keine unmittelbaren Komplikationen wie eine erhöhte Reizung oder eine allergische Reaktion auf die verwendeten Anästhetika auftreten.
- Anweisungen zur Selbstbeobachtung: Patienten sollten angeleitet werden, auf bestimmte Symptome wie anhaltende Rötung, Schmerzen, Sehverschlechterung oder Lichtempfindlichkeit zu achten. Falls solche Symptome auftreten, sollten sie sofortigen medizinischen Rat suchen.
- Vermeidung von Reizstoffen: Nach der Untersuchung kann das Auge für kurze Zeit empfindlicher sein. Patienten sollten daher angewiesen werden, für einige Stunden nach der Untersuchung reizende Substanzen wie Staub, Rauch oder Chlorwasser zu meiden.
- Rückkehr zu normalen Aktivitäten: In der Regel können die Patienten ihre normalen Aktivitäten sofort nach der Untersuchung wieder aufnehmen, es sei denn, der Arzt gibt andere spezifische Anweisungen.
- Folgetermine: Wenn während der Gonioskopie Auffälligkeiten festgestellt wurden, können weitere Untersuchungen oder Behandlungen notwendig sein. Der Arzt sollte einen Folgetermin vereinbaren oder den Patienten an einen Spezialisten überweisen, um die festgestellten Bedingungen weiter zu evaluieren und zu behandeln.
- Ergebnisbesprechung: Der Arzt sollte die Ergebnisse der Gonioskopie mit dem Patienten besprechen, insbesondere wenn Anomalien oder potenzielle gesundheitliche Probleme festgestellt wurden. Es ist wichtig, dass der Patient versteht, was die Befunde bedeuten und welche Schritte als nächstes unternommen werden sollten.
Literatur
- Augustin AJ: Augenheilkunde. Springer Verlag 2007
- Barnes E, Burk A: Atlas der klinischen Ophthalmologie. Elsevier, Urban & Fischer Verlag 2006
- Grehn F: Augenheilkunde. Springer Verlag 2008