Sterilität des Mannes – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der Sterilität des Mannes dar.

Familienanamnese

  • Besteht eine ungewollte Kinderlosigkeit in Ihrer Familie?
  • Gibt es Erberkrankungen Ihrer Familie?
  • Gibt es Tumorerkrankungen in Ihrer Familie (Keimzelltumor, Prostata- oder Brustkrebs)

Soziale Anamnese

  • Welchen Beruf üben Sie aus?
  • Sind Sie in Ihrem Beruf schädigenden Arbeitsstoffen ausgesetzt?
  • Arbeiten Sie in Bereichen mit erhöhter Umgebungstemperatur (Arbeit am Hochofen, Bäckerei)?
  • Gibt es Hinweise auf psychosoziale Belastungen oder Belastungen auf Grund Ihrer familiären Situation?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Wie lange versuchen Sie schon mit Ihrer Partnerin ein Kind zu zeugen?
  • Kam es in der Vergangenheit schon einmal zu einer Schwangerschaft? Falls ja:
    • Mit dieser oder einer früheren Partnerin?
    • Wurde die Schwangerschaft ausgetragen oder kam es zu einem Abort (Fehlgeburt)?
  • War Ihre Pubertät normal oder verzögert?
  • Sexualanamnese
    • Seit wann besteht Ihre Partnerschaft?
    • Alter der Partnerin?
      • Vorerkrankungen der Partnerin?
    • Partnerschaftliche Störungen?
      • Wie stehen Sie zum Kinderwunsch?
      • Wie steht Ihre Partnerin zum Kinderwunsch?
    • Wie ist Ihre Libido (Lust auf Sex)?
    • Wie oft haben Sie Geschlechtsverkehr pro Woche/Monat?
    • Haben Sie eine Erektionsstörung?
      • Geben Sie an welcher Art diese Erektionsstörung ist: partnerbezogen?, situationsbezogen?, aktbezogen? 
      • Ist die Erektionsstörung dauerhaft?
      • Haben Sie morgendliche Erektionen?
    • Weitere Fragen, falls eine Erektionsstörung vorliegt:
      • Haben Sie eine vorzeitige oder verzögerte Ejakulation?
      • Haben Sie eine Aspermie (Ausbleiben des Ejakulats mit oder ohne Spermien (Samen) trotz Orgasmus)?

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Sind Sie über-/untergewichtig? Geben Sie uns bitte Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
  • Ernähren Sie sich ausgewogen bzw. vollwertig?
  • Treiben Sie viel (exzessiv) Sport?
  • Gehen Sie regelmäßig in die Sauna?
  • Benutzen Sie im Auto die Sitzheizung?
  • Trinken Sie gerne Kaffee, schwarzen und grünen Tee? Wenn ja, wie viele Tassen pro Tag?
  • Trinken Sie andere bzw. weitere koffeinhaltige Getränke? Wenn ja, wie viel jeweils davon?
  • Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?
  • Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen (Cannabis1+3, Morphin3, Opiate3) und wie häufig pro Tag bzw. pro Woche?

Eigenanamnese

  • Vorerkrankungen (Diabetes mellitus, Hormonstörungen, Erkrankungen des Urogenitaltraktes (Varikozele, Urethritis/Harnröhrenentzündung, Prostatitis/Prostataentzündung, Epididymitis/Nebenhodenentzündung), Hodenschäden (z. B. Maldescensus testis (fehlerhafter Abstieg des Hodens in den Hodensack) Hodenverletzungen (z. B. Hodentorsion/Stieldrehung von Hoden und Nebenhoden mit Unterbrechung der Blutzirkulation), Mumps, Neigung zu Atemwegserkrankungen (zystische Fibrose), Autoimmunerkrankungen, Nierenerkrankungen, kardiovaskuläre Erkrankungen, Lebererkrankungen, Nierenfunktionsstörungen, neurologische Erkrankungen (Multiple Sklerose), psychiatrische oder psychosomatische Erkrankungen, Infektionserkrankungen (hier: fieberhafte Erkrankungen in den zurückliegenden 3 Monaten wegen vorübergehenden Einfluss auf die Spermatogenese), Malignome (Chemotherapie, Radiatio), Geschlechtskrankheiten, Schilddrüsenerkrankungen, Traumata (Verletzungen), vor allem im Genital‑, Becken- und Schädelbereich)
  • Operationen (Hodenhochstand, Inguinalhernie (Leistenbruch))
  • Strahlentherapie (im Bereich des kleinen Beckens bzw. der Fortpflanzungsorgane oder des Kopfes)
  • Allergien
  • Umweltanamnese (s. u. "Umweltbelastungen – Intoxikationen“)

Medikamentenanamnese

  • Antibiotika1
    • Anthracycline
    • Cotrimoxazol
    • Gentamycin
    • Nitrofurantoin
    • Sulfonamide
  • Antihypertensiva (können zu einer Beeinträchtigung der Spermatogenese (Samenzellbildung) führen)
    • Alpha-1-Rezeptorenblocker2 – Doxazosin, Prazosin, Terazosin
    • Betablocker (Betarezeptorenblocker)3 – Atenolol, Betaxolol, Bisoprolol, Carvedilol, Celiprolol, Metoprolol, Nadolol, Nebivolol, Oxprenolol, Pindolol, Propranolol
    • Reserpin3
  • Antidepressiva
    • Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) – Citalopram2, Fluoxetin2, Sertralin2
    • Trizyklische Antidepressiva (nichtselektive Monoamin-Wiederaufnahme-Hemmer, NSMRI) – Doxepin2, Opipramol2
    • Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI) – Duloxetin2, Venlafaxin2
  • Antiepileptika (Pregabalin2, Primidon3)
  • Anxiolytika2
  • Calciumkanalantagonist (Calciumkanalblocker) – Amlodipin (Einfluss auf das Fertilisierungspotenzial)
  • H2-Blocker – Cimetidin4, Famotidin4, Ranitidin4
  • Haarwuchsmittel (Finasterid3)
  • Hormone
    • Glucocorticoide3
    • Testosteronpräparate3 (Testosteron, Anabolika)
  • Ketoconazol (Störungen der Androgenbiosynthese)3
  • Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) – Ibuprofen (Testosteron/LH-Verhältnis als Funktion der Leydigzellen ↓) [3]
  • Prostatamittel2 (Dutasterid, Finasterid)
  • Rauwolfia3
  • Zytostatika1 (Substanzen, die das Zellwachstum bzw. die Zellteilung hemmen)  – z. B. Busulfan, Chlorambucil, Cisplatin, Cyclophosphamid, Methotrexat (MTX)

1Oligozoospermie (< 20 Mio. Spermatozoen pro Milliliter) bzw. gestörte Spermatogenese (Samenbildung)
2Ejakulationsstörungen inkl. vermindertes Ejakulatvolumen
3Verminderte Testosteronproduktion
4Einfluss auf die Hormonsekretion

Medikamente, die zu Erektionsstörungen führen können, finden Sie unter der Krankheit "Erektile Dysfunktion (ED) bzw. Erektionsstörungen".

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Ionisierende Strahlen
  • Elektromagnetische Felder
    • Mikrowellenstrahlung (Radarstation)
    • Häufige Nutzung von Mobiltelefonen reduziert die Spermienkonzentration (-21 %); Motilität und Morphologie der Spermien wurde jedoch nicht beeinflusst. Bei Wechsel von 2G auf 3G und von 3G auf 4G) wurde der Zusammenhang jedoch schwächer [4].
  • Überwärmung der Hoden Arbeit am Hochofen, Bäckerei, häufige Saunagänge; Sitzheizung im Auto: langes und häufiges Fahren mit beheizten Autositzen kann die Zeugungsfähigkeit mindern. Die Spermien werden in der Anzahl weniger (Oligozoospermie), langsamer (Asthenozoospermie) und sind häufiger fehlgebildet (Teratozoospermie) [Oligo-Astheno-Teratozoospermie, OAT-Syndrom]
  • Luftschadstoffe
    • Feinstaubgehalt (PM2,5) der Luft; Zunahme der Feinstaub­konzen­tration um jeweils 5 µg/m3 [2]
      • Rückgang der Spermien mit normaler Form und Größe um 1,29 Prozent
      • Anteil der Spermien im untersten Zehnten der Spermienmorphologie stieg um 26 Prozent
      • leichte Zunahme der Spermienkonzentration
  • Umweltnoxen (Berufsstoffe, Umweltchemikalien):
    • Bisphenol A (BPA)
    • Chlororganika (z. B. Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT), Dioxine, polychlorierte Biphenyle*, PCB)
    • Lösungsmittel (z. B. Glykolether; Kohlenstoffdisulfid)
    • Nichtionische Tenside (z. B. Alkylphenole)
    • Pestizide, Herbizide (z. B. Dibromchlorpropan (DBCP), Ethylendibromid)
    • Schwermetalle (Blei-, Quecksilber-Verbindungen)
    • Sonnenschutzmittel wie 4-Methylbenzylidencampher (4-MBC), Kunststoff-Weich­macher Di-n-butylphthalat (DnBP), das antibakteriell wirkende Triclosan (z. B. in Zahnpasta und Kosmetika) [1]
      Triclosan ist enthalten in Desinfektionsmitteln, Zahnpasta, Deodorants, Mundwasser, Seifen, Kosmetika, Händedesinfektionsmitteln, Haushaltsreiniger oder Waschmittel sowie in Textilien, Schuhen und Spielzeug.
    • Weichmacher (Phthalate*)

*gehören zu den endokrinen Disruptoren (Synonym: Xenohormone), die bereits in geringsten Mengen durch Veränderung des Hormonsystems die Gesundheit schädigen können.

Literatur

  1. Schiffer C, Müller A, Egeberg DL, Brenker C, Rehfeld A, Frederiksen H, Wäschle B, Kaupp UB, Balbach M, Wachten D, Skakkebaek NE, Almstrup K, Strünker T: Direct action of endocrine disrupting chemicals on human sperm. EMBO reports (doi 10.15252/embr.201438869)
  2. Lao XQ et al.: Exposure to ambient fine particulate matter and semen quality in Taiwan. Occup Environ Med. 2017 Nov 13. pii: oemed-2017-104529. doi: 10.1136/oemed-2017-104529.
  3. Kristensen DM et al.: Ibuprofen alters human testicular physiology to produce a state of compensated hypogonadism. PNAS 2018 January, 115 (4) E715-E724. https://doi.org/10.1073/pnas.1715035115
  4. Rahban R et al.: Association between self-reported mobile phone use and the semen quality of young men Sciene Direct Fertility and Sterility 1 November 2023 https://doi.org/10.1016/j.fertnstert.2023.09.009