Hodengeschwülste (Hodenmalignome) – Operative Therapie

Die Art der Therapie hängt vom histologischen (feingeweblichen) Bild des Tumors ab:

Vorgehen in folgenden Schritten:

  • Verdacht auf einen Keimzelltumor (KZT) → Hoden inguinal ("zur Leistengegend gehören") freilegen: danach nur Ablatio testis bei sicherem Nachweis eines KZT
    Beachte: Bei einem KZT liegt im umliegenden Gewebe immer einer Keimzellneoplasie in situ (Germ Cell Neoplasia in situ, GCNIS) vor, die eine obligate Präkanzerose (Gewebe, das sich in Tumorgewebe umwandelt) ist, somit ist die Ablatio testis des betroffenen Hodens immer indiziert.
  • Bei markernegativen, kleinen Tumoren → Exzision (chirurgische Entfernung) des Tumors und Schnellschnittuntersuchung

In allen Stadien wird eine Semikastration (Entfernung eines Hodens) durchgeführt und eine Doppelbiopsie des kontralateralen Hodens. Letzteres dient zum Ausschluss einer TIN (testikuläre intraepitheliale Neoplasie), wenn Risikofaktoren wie früherer Kryptorchismus, geringes Hodenvolumen < 12 ml, eingeschränkte Spermatogenese und ein Alter < 40 Jahren vorliegen [4, 5].

 Weitere Empfehlungen gemäß S3-Leitlinie:

  • "Bei Vorliegen eines gesunden kontralateralen Hodens soll keine organerhaltende Exzision bei Vorliegen eines malignen Keimzelltumors (KZT) (mit Ausnahme eines Teratoms ohne begleitende GCNIS (Germ cell neoplasia in situ; Keimzelltumor in situ)) durchgeführt werden".
  • "Bei Patienten mit bilateralem KZT, Tumor im Einzelhoden, Stromatumoren oder anderen benignen Tumoren (Epidermoidzyste, monodermales Teratom) soll eine organerhaltende Tumorexzision in Betracht gezogen werden".
  • "Bei Patienten mit Mikrolithiasis (Bildung von kleinen kristallinen Ablagerungen) im sonographischen Befund ohne weitere Risikofaktoren soll keine Hodenbiopsie durchgeführt werden.
    Bei Patienten mit Mikrolithiasis mit zusätzlich einem der folgenden Parameter: Infertilität, vorangegangene Tumorerkrankung des Hodens, erstgradiger Verwandter mit KZT, anamnestisch Maldescensus testis (Hodenhochstand) oder Hodenatrophie mit sonographischem Hodenvolumen < 12 ml, kann eine Hodenbiopsie empfohlen werden".

Danach kommen folgende ergänzende Verfahren zum Einsatz:

Stadienadaptierte Therapie von Keimzelltumoren (KZT) [2]

Seminom

Stadium* Häufigkeit (%) Therapie
 I  75-80 %
  • Active Surveillance (aktive Überwachung; mit Abdomen-CT) mit Blick auf das Gesamtüberleben ist ein sicheres Verfahren, um Übertherapien zu vermeiden; Rezidive allerdings sind dann häufiger [9]
    Weiteres s. u..
    Beachte: Bei Tumorgröße > 4 cm und Rete-testis-Infiltration liegt in 32 % der Fälle eine Metastasierung (Bildung von Tochtergeschwülsten) vor
    entweder/oder:
  • Carboplatin AUC 7 (für Patienten mit Risikofaktoren; bei Tumoren > 5 cm ist wahrscheinlich ein Zyklus nicht ausreichend [3]
  • Adjuvante Bestrahlung des paraortalen/paracavalen Felder mit 20 Gy
 IIA 7-14 %
  • Strahlentherapie (Radiotherapie, Radiatio) der regionalen (paraaortal/parakaval) Lymphknoten (30 Gy) oder 3 x PEB
 IIB 3,5 %
  • 3 x PEB
 IIC/III  
  • 3 x PEB (4 x PE bei Kontraindikationen/Gegenanzeigen gegen Bleomycin)
 Gute Prognose bzw. intermediäre Prognose  
  • 4 x PEB
 Residualtumor nach Chemotherapie  
  • Engmaschige Beobachtung bei Residuen ("Resten") > 3 cm
  • Resektion (operative Entfernung) in ausgewählten Fällen


* Lugano-Klassifikation

Rezidiv

  • Systemisches Rezidiv: Chemotherapie (PEB)
  • Lokoregionäres Rezidiv: Strahlentherapie (Radiotherapie) oder Chemotherapie (PEB) (Entscheidung je nach Größe)

Legende

  • AUC = Area under the curve
  • PEB = Cisplatin, Etoposid, Bleomycin
  • PE = Cisplatin, Etoposid

Weitere Hinweise

  • Surveillance bei Seminomen im Stadium 1: Eine Studie konnte zeigen, das Surveillance mit MRT-Schnittbildgebung des Abdomens 6, 18 und 36 Monate nach Orchiektomie eine evidenzbasierte effektive Strategie darstellt [10].
  • Bei Stadium-II-Seminom mit einer Lymphadenopathie von < 3 cm ist die retroperitoneale Lymphadenektomie als mögliche Therapieoption eine attraktive Behandlungsoption mit reduzierter langfristiger Toxizität im Vergleich zu Radio- und/oder Chemotherapie (Quelle: Richtlinien der EAU).

Nicht-Seminom

Stadium Therapie
 I  
  • Surveillance (Niedrigrisiko)
  • 2 x PEB (Hochrisiko)
  • Surveillance ohne Risikostratifikation

 

 II / II  
 Gute Prognose 3 x PEB oder 4 x PE
 Intermediäre Prognose 4 x PEB
 Ungünstige Prognose 4 x PEB
 Residualtumor nach Chemotherapie
  • Resektion von Residuen > 1 cm


Weitere Hinweise

  • Patienten mit bereits einem diagnostizierten Hodentumor haben ein erhöhtes Risiko, auch am kontralateralen ("auf der entgegengesetzten Körperseite") Hoden zu erkranken.
  • Die European Society of Medical Oncology lässt den Patienten nach Aufklärung selbst entscheiden, ob er eine Biopsie wünscht.
  • Die European Association of Urology empfiehlt die Biopsie (Gewebeentnahme) bei Hochrisikopatienten (mit atrophischen Hoden, Mikrokalzifikationen (Mikroverkalkungen) oder Infertilität/Unfruchtbarkeit).
  • Gemäß einer Studie wurden bei Biopsien (Zweifachentnahme) des kontralateralen Hodens intraepitheliale Neoplasien (Präkanzerosen/Krebsvorstufen), sogenannte TIN (testikuläre intraepitheliale Neoplasien), in 4,8 % der Seminompatienten und in 5,3 % der Nicht-Seminompatienten gefunden; besonders Patienten unter 35 Jahren profitierten von diesem Vorgehen [1].
  • Bei Patienten mit Hodentumor im Stadium I nach radikaler inguinaler Orchiektomie (Entfernung der Hoden über die Leiste) ist wahrscheinlich zunächst keine adjuvante Therapie erforderlich. Eine strenge nicht risikoadaptierte aktive engmaschige Überwachung führt zu einer Überlebensrate von Hodenkrebspatienten von nahezu 100 % [6].
    Überwachung wie folgt: Anfänglich je nach Tumortyp im ersten Jahr teils zweimonatliche Kontrolluntersuchungen (klinisch, laborchemisch und radiologisch). Im Verlaufe der Zeit können die Zeitabstände vergrößert werden. Im fünften Jahr sind nur noch Kontrolluntersuchungen im Abstand von sechs Monaten (Nichtseminome) bzw. nur einmal jährlich (Seminome) nötig.
  • Wg. partieller statt einer radikaler Orchiektomie: Indikation für eine partielle Orchidektomie ist laut der US-amerikanische Urologenvereinigung AUA geben, wenn:
    • Raumforderung < 2 cm
    • gesunder Hoden zeigt im Ultraschall keine Auffälligkeiten
    • keine erhöhten Tumormarker-Werte
    Bei 77 Männern im mittleren Alter von 31 Jahren, bei denen gemäß obiger Indikation eine partieller Orchiektomie (d. h. kompletter Enukleation/Entfernung eines begrenzten Gewebebereichs der Raumforderung) durchgeführt wurde, zeigte sich bei einem Drittel aller Männer ein benigner (gutartiger) Tumor, unter den malignen (bösartigen) Tumoren (alle pT1) wurden Seminome am häufigsten beobachtet. Die benignen Tumoren wurden bei der Hälfte der Männer mit Tumoren unter 10 mm nachgewiesen. Nach einer medianen nach Beobachtungszeit von 3, 7 Jahren mussten sich insgesamt 16 Patienten (21 %) schließlich doch noch einer radikalen Orchiektomie unterziehen, zehn aufgrund eines Lokalrezidivs (örtliches Wiederauftreten des Tumors; insg. 13 % aller Männer), vier wegen positiver Resektionsränder (kein Sicherheitssaum), zwei aufgrund anderer Hinweise auf ein hohes Rezidivrisiko (Risiko des Wiederauftretens) [7].
  • Patienten mit sehr kleinen Tumoren: organsparende Operation (engl. testis‐sparing surgery, TSS), bei nicht palpablen Tumoren unter 2 cm oder bei beidseitigen Tumoren (ggf. kann so eine Anorchie/vollständige Fehlen beider Hoden vermieden werden); allerdings ist in solchen Fällen eine engmaschige klinische Nachsorge erforderlich [8].

Literatur

  1. Ruf CG et al.: Contralateral biopsies in patients with testicular germ cell tumours: patterns of care in Germany and recent data regarding prevalence and treatment of testicular intra-epithelial neoplasia. Andrology 2014, online 22. August; doi: 10.1111/j.2047-2927.2014.00260.x
  2. Gerl A, Hentrich M: Aktuelle Therapie- und Nachsorgestrategien bei Hodentumoren. URO-NEWS 2015; 19 (4)
  3. Dieckmann KP, Dralle-Filiz I, Matthies C et al.: Testicular seminoma clinical stage 1: treatment outcome on a routine care level. J Cancer Res Clin Oncol. 2016;142:1599-607. doi:10.1007/s00432-016-2162-z
  4. Albers P, Albrecht W, Algaba F et al.: Guidelines on Testicular Cancer: 2015 Update. Euro Urol. 2015;68:1054-68.
  5. Dieckmann KP, Kulejewski M, Heinemann V, Loy V: Testicular biopsy for early cancer detection — objectives, technique and controversies. Int J Androl. 2011 Aug;34(4 Pt 2):e7-13. doi: 10.1111/j.1365-2605.2011.01152.x. Epub 2011 May 25.
  6. Pierorazio PM et al.: Non-risk-adapted Surveillance for Stage I Testicular Cancer: Critical Review and Summary. Eur Urol 2018, online 12. Januar https://doi.org/10.1016/j.eururo.2017.12.030
  7. Nason GJ et al.: Partial orchiectomy: The Princess Margaret cancer centre experience. Urol Oncol. 2020 Apr 10;S1078-1439(20)30099-5. doi: 10.1016/j.urolonc.2020.03.012.
  8. Ory J et al.: Outcomes of organ-sparing surgery for adult testicular tumors: A systematic review of the literature. BJUI Compass 2021; https://doi.org/10.1002/bco2.77https://doi.org/10.1002/bco2.77
  9. Ruf CG et al.: Testicular germ cell tumours’ clinical stage I: comparison of surveillance with adjuvant treatment strategies regarding recurrence rates and overall survival—a systematic review World J Urol 2022;40, 2889-2900 https://doi.org/10.1007/s00345-022-04145-6
  10. Joffe JK et al.: Imaging modality and frequency in surveillance of stage I seminoma testicular cancer: results from a randomized, phase III, noninferiority trial (TRISST). J Clin Oncol 2022;40(22):2468-2478 doi: 10.1200/JCO.21.01199.

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens. (AWMF-Registernummer: 043 - 049OL), Mai 2019 Kurzfassung Langfassung