Brustdrüsenvergrößerung (Gynäkomastie) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Gynäkomastie bezeichnet eine Vergrößerung der männlichen Brustdrüse, die durch eine übermäßige Östrogenwirkung und/oder eine relative Androgeninsuffizienz ausgelöst wird. Die zugrunde liegende Pathogenese beruht auf einem Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtshormonen Östradiol (weibliches Geschlechtshormon) und Testosteron (männliches Geschlechtshormon). Diese hormonelle Dysbalance führt zu einer Stimulation des Brustdrüsengewebes, die sich durch eine einseitige oder beidseitige Hypertrophie (Gewebsvergrößerung) manifestiert. In bestimmten Fällen kann es zu einer irreversiblen Vermehrung von Bindegewebe (Fibrosierung) kommen.

Physiologie und hormonelle Regulation

Das Wachstum und die Differenzierung der männlichen Brustdrüse werden hauptsächlich durch Östradiol vermittelt, das über die Östrogenrezeptoren auf das Brustgewebe wirkt. Testosteron, das dominierende männliche Hormon, wirkt inhibierend (hemmend) über Androgenrezeptoren und antagonisiert die Östrogenwirkung. Jede Störung dieses Gleichgewichts – sei es durch eine erhöhte Östrogenproduktion, eine vermehrte Umwandlung von Androgenen in Östrogene (Aromatisierung) oder eine verminderte Androgenwirkung – kann eine Gynäkomastie auslösen.

Pathomechanismen der Gynäkomastie

Die Gynäkomastie kann auf unterschiedliche pathophysiologische Mechanismen zurückgeführt werden:

  • Erhöhte Östrogenproduktion:
    • Ein Östrogenüberschuss führt zu einer vermehrten Stimulation der Östrogenrezeptoren in der Brustdrüse. Diese Stimulation resultiert in einer Proliferation (Vermehrung) des Drüsengewebes.
    • Mögliche Ursachen:
      • Hormonproduzierende Tumoren wie Leydig-Zell-Tumoren des Hodens, Nebennierenadenome oder Hodenkrebs.
      • Lebererkrankungen (z. B. Leberzirrhose), die den Abbau von Östrogenen reduzieren und somit zur Östrogenanreicherung im Blut führen.
  • Aromataseaktivität:
    • Eine erhöhte Umwandlung von Androgenen (Testosteron) zu Östrogenen durch das Enzym Aromatase kann zu einem Anstieg der Östrogenkonzentration führen.
    • Häufige Ursachen:
      • Adipositas (Übergewicht): Im Fettgewebe wird Testosteron vermehrt in Östradiol umgewandelt, was eine relative Erhöhung der Östrogenspiegel im Verhältnis zu den Androgenen verursacht.
  • Androgenmangel:
    • Eine verminderte Testosteronwirkung oder niedrige Androgenspiegel führen zu einem relativen Übergewicht der Östrogenwirkung.
    • Dies kann durch einen primären oder sekundären Hypogonadismus (Hodenunterfunktion) bedingt sein.
    • Erkrankungen wie das Klinefelter-Syndrom (genetisch bedingter Hypogonadismus) führen zu einer Verdrängung des Androgeneffektes durch einen Östrogenüberschuss.
  • Medikamenteninduzierte Gynäkomastie:
    • Verschiedene Medikamente (z. B. Antiandrogene, Östrogene, Anabolika, Digitalis, Spironolacton und bestimmte Antidepressiva) können eine Gynäkomastie durch Störung des Hormonhaushaltes auslösen.
  • Idiopathische Gynäkomastie:
    • In etwa 50 % der pathologischen Gynäkomastien liegt eine idiopathische (ohne erkennbare Ursache) Gynäkomastie vor. Hierbei ist die exakte Ursache nicht klar identifizierbar; vermutlich spielen genetische und hormonelle Faktoren eine Rolle.

Unterscheidung: Echte Gynäkomastie und Pseudo-Gynäkomastie

Die echte Gynäkomastie ist durch eine Proliferation des Drüsengewebes bedingt. Davon abzugrenzen ist die Pseudo-Gynäkomastie, die durch eine Vermehrung von Fettgewebe (Lipomastie) im Bereich der Brust gekennzeichnet ist und meist bei Adipositas auftritt. Es gibt auch Mischformen (Lipo-Gynäkomastie), die sowohl eine Vermehrung von Drüsen- als auch von Fettgewebe zeigen.

Pathologie

  • Die echte Gynäkomastie ist ein proliferativer Prozess, bei dem es zu einer Hyperplasie (Gewebsvermehrung) und Hypertrophie (Vergrößerung) der männlichen Brustdrüse kommt. Im Frühstadium ist die Proliferation des duktalen (Gang-) Systems charakteristisch. In späteren Stadien kann es zu einer Fibrosierung (Vermehrung des Bindegewebes) kommen, was die Rückbildung des Brustdrüsengewebes erschwert.

Lokalisation und Symptomatik

  • Die Gynäkomastie manifestiert sich meistens symmetrisch an beiden Brüsten. Sie kann aber auch einseitig auftreten.
  • Typisch sind Schwellung, Druckempfindlichkeit und eine verhärtete Brustdrüse, die sich vor allem im Bereich um die Brustwarze (Mamille) tastbar macht.
  • Bei fortgeschrittener Fibrosierung kann die Brust verhärtet sein und schmerzlos wirken.

Zusammenfassung

Die Pathogenese der Gynäkomastie ist komplex und multifaktoriell. Sie beruht auf einem Ungleichgewicht zwischen Östrogen- und Androgenwirkung. Östrogene fördern das Brustdrüsenwachstum, während Testosteron diese Wirkung normalerweise hemmt. Genetische, hormonelle und medikamentöse Einflüsse sowie Adipositas spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung. Bei der echten Gynäkomastie ist eine Proliferation des Drüsengewebes charakteristisch, während bei der Pseudo-Gynäkomastie eine Fettgewebsansammlung im Vordergrund steht. Eine frühzeitige Diagnose und therapeutische Intervention sind entscheidend, um Langzeitschäden zu verhindern.

Ätiologie (Ursachen) der echten Gynäkomastie

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern
    • Genetische Erkrankungen
      • Klinefelter-Syndrom  genetische Erkrankung mit meist sporadischem Erbgang: numerische Chromosomenaberration (Aneuploidie) der Geschlechtschromosomen (Gonosomen-Anomalie), die nur bei Jungen bzw. Männern auftritt; in der Mehrzahl der Fälle durch ein überzähliges X-Chromosom (47, XXY) gekennzeichnet; klinisches Bild: Großwuchs und Hodenhypoplasie (kleiner Hoden), bedingt durch einen hypogonadotropen Hypogonadismus (Keimdrüsenunterfunktion); hier meist spontaner Pubertätsbeginn, jedoch schlechter Pubertätsfortschritt 
      • McCune-Albright-Syndrom (MAS)  zählt zu den neurokutanen Syndromen; klinische Trias: fibröse Knochendysplasie (FD), Café-au-lait-Flecken der Haut (CALF; hellbraune, gleichmäßige Hautflecken unterschiedlicher Größe) und Pubertas praecox (PP; vorzeitiges Einsetzen der Pubertät); später Endokrinopathien mit Überfunktion auftretend, z. B. Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) und vermehrte Ausschüttung von Wachstumshormon, Cushing-Syndrom und renaler Phosphatverlust
  • Kindheit: Die Gynäkomastie ist in dieser Lebensphase weitverbreitet und verschwindet üblicherweise spontan in der Regel während des ersten Lebensjahres (physiologische Gynäkomastie: ca. 90 % der männlichen Neugeborenen = Neugeborenengynäkomastie).
  • Hormonelle Faktoren
    • Pubertät (Pubertätsgynäkomastie; pubertäre Gynäkomastie; Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) im Alter von 14 Jahren 60 %; bildet sich spontan innerhalb von 2 bis 3 Jahren zurück)
    • im Alter durch zunehmendes Körperfett und starke Aromataseaktivität

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Alkoholabusus (Alkoholabhängigkeit)
  • Drogenkonsum
    • Amphetamine
    • Cannabis (Haschisch und Marihuana)
    • Heroin
    • Methadon
  • Gebrauch von Lavendel-/Teebaumöl-haltigen Shampoos, Seifen, Lotions, Balsams, Gels etc. führen bei präpubertären Jungen zur Gynäkomastie; Ursache: Inhaltsstoffe haben eine östrogenartige Wirkung [1]
    • Eucalyptol, Terpin-4-ol, Dipenten/Limonen und Alpha-Terpineol waren sowohl in Lavendel- als auch in Teebaumölen enthalten
    • Linalylacetat, Linalool, Alpha-Terpinen und Gamma-Terpinen waren in einem der beiden Mittel enthalten

Krankheitsbedingte Ursachen

Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien (Q00-Q99)

  • Klinefelter-Syndrom (s. u. "Biographische Ursachen")
  • Kryptorchismus (Fehlen von einem oder beider Hoden im Skrotum (nicht tastbar) oder der Hoden hat eine intraabdominelle Lage (Retentio testis abdominalis; Bauchhoden) oder ist nicht vorhanden (Anorchie)), verbunden mit einem Hypogonadismus (Keimdrüsenunterfunktion)
  • McCune-Albright-Syndrom (MAS) (s. u. "Biographische Ursachen")
  • Reifenstein-Syndrom – genetisch bedingte Erkrankung (s. o. unter partielle Androgenresistenz)
  • Pseudohermaphroditismus – Zustände, bei denen das chromosomale Geschlecht und das gonadale Geschlecht (die die inneren Genitalien bestimmen) nicht mit dem genitalen Geschlecht (den äußeren Genitalien) sowie den sekundären Geschlechtsmerkmalen übereinstimmen

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Androgeninaktivitätssyndrom
  • Akromegalie – Hypersekretion von Wachstumshormon; es kommt zu einer Größenzunahme der Körperendglieder bzw. der Akren
  • Hyperprolaktinämie – pathologische (krankhafte) Erhöhung des Prolaktinspiegels
  • Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)
  • Hypogonadismus (Keimdrüsenunterfunktion: primärer (hypergonadotroper) Hypogonadismus; sekundärer und tertiärer (hypogonadotroper) Hypogonadismus)
  • Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)
  • Morbus Basedow – Form der Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion), die durch eine Autoimmunerkrankung bedingt ist
  • Partielle Androgenresistenz (Synonyme: Partial androgen insensitivity syndrome, PAIS; Reifenstein-Syndrom) – genetisch bedingte Erkrankung, bei der aufgrund einer Mutation im Erbgut des erkrankten männlichen Menschen der Androgenrezeptor nur unzureichend funktioniert. Dieses führt dazu, dass das Individuum genetisch ein Mann (XY-Geschlechtschromosomen) ist, die Geschlechtsorgane männlich ausdifferenziert sind, und auch Androgene gebildet werden; der Wirkort dieser Hormone, der Androgenrezeptor, funktioniert jedoch unzureichend oder gar nicht.
    Symptome: Gynäkomastie, Hypospadie (angeborene Anomalie der Harnröhre; diese endet nicht an der Spitze der Eichel sondern abhängig von der Schwere des Grades an der Unterseite des Penis),
    Mikropenis (kleiner Penis), Azoospermie (Fehlen von Samenzellen im Samen) und/oder Kryptorchismus (Hodenhochstand) oder Leistenhoden
  • Unterernährung

Haut und Unterhaut (L00-L99)

  • Lymphadenosis cutis benigna (Bäfverstedt-Syndrom) – Auftreten knotiger oder flächenhafter Hautinfiltrate; treten nach Zeckenbiss, Verletzungen oder Virusinfektionen auf

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Venöse/lymphatische Abflussstörungen im Bereich der Brust

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Entzündungsreaktionen im Bereich der Mamma (Brust)
  • Lepra (wg. Hodenatrophie; "Schrumpfhoden")

Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)

  • Leberzirrhose – bindegewebiger Umbau der Leber, der mit Funktionseinschränkung einhergeht

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Bronchialkarzinom (Lungenkrebs; im Rahmen eines paraneoplastischen Syndroms)
  • Gutartige Neubildungen der Mamma (Brust) wie Fibrome, Lipome, Zysten
  • Hodenkarzinom (7 % der Fälle, vor allem bei Nichtseminomen)
  • Hodentumoren (z. B. Leydig-Zell- oder Sertoli-Zell-Tumoren)
  • Hypernephrom (Nierenzellkarzinom)
  • Keimzelltumoren: Chorionkarzinome, embryonale Karzinome, Teratome
  • Leberzellkarzinom (Leberkrebs)
  • Leydig-Zelltumoren des Hodens
  • Mammakarzinom (Brustkrebs)
  • Nebennierentumor, nicht näher bezeichnet (z. B. östrogenproduzierende Nebennierenkarzinome)

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Alkoholabusus (Alkoholabhängigkeit)

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Chronisches Nierenversagen (chronische Niereninsuffizienz)
  • Familiäre Gynäkomastie
  • Mumps-Orchitis (mumpsbedingte Hodenentzündung), bds.

Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)

  • Verletzung der Brust, die zur Bildung eines Hämatoms (Bluterguss) führt

Medikamente

  • Antidepressiva
  • Antihypertensiva
    • ACE-Hemmer
    • Nifedipin (Calciumantagonist)
  • Antimykotika (Itraconazol)
    • Azole (Voriconazol)
    • Triazolderivate (Fluconazol)
  • Antivirale Medikamente, die bei HIV-Infektion eingesetzt werden
  • Captopril (ACE-Hemmer)
  • Cimetidin  (H2-Antihistaminikum)
  • Diazepam
  • Herzglykoside (Digitalis) – Digitoxin, Digoxin
  • Hormone
    • Anabolika (anabole Steroide
    • Androgenmissbrauch
    • Antiandrogene (Bicalutamid, Cyproteronacetat, Flutamid)/Androgendeprivation wg. fortgeschrittenem Prostatakarzinom
    • Gonadotropine
    • Östrogene; Östrogentherapie beim Prostatakarzinom (Prostatakrebs)
  • Finasterid
  • Ketoconazol (Antimykotikum)
  • Methadon (Opioid; Heroin-Ersatzstoff)
  • Metoclopramid (Antiemetikum)
  • Metronidazol (Antibiotikum)
  • Omeprazol (Protonenpumpenhemmer)
  • Penicillamin (Medikament, das bei Morbus Wilson (Kupferspeicherkrankheit) eingesetzt wird)
  • Phenytoin (Antikonvulsivum) 
  • Psychopharmaka, nicht näher bezeichnet (z. B. Diazepam, Antidepressiva, Haloperidol und antipsychotische Medikamente)
  • Spironolacton (Diuretikum)
  • Tuberkulostatika (INH) u. a.
  • Siehe auch unter Arzneimittelnebenwirkungen "Hyperprolaktinämie durch Medikamente"   

Weitere Ursachen

  • Hämodialyse (Blutreinigungsverfahren)
  • Zustand nach beidseitiger Orchiektomie (Hodenentfernung)

Ätiologie (Ursachen) der Pseudo-Gynäkomastie

Krankheitsbedingte Ursachen

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Adipositas (Fettsucht)

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Lipom (Fettgeschwulst)
  • Fibrom (Bindegewebsgeschwulst)

Literatur

  1. Ramsey JT et al.: OR22-6 - Steroid Receptor Hormonal Actions of Lavender and Tea Tree Oil Components ENDO 2018, Session OR22 - What's New in Endocrine Disruption