Lungenüberblähung (Lungenemphysem) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Ein Lungenemphysem ist eine dauerhafte Überblähung der Lungenbläschen (Alveolen) und stellt einen irreversiblen Schaden des Lungengewebes dar. Die Entstehung eines Lungenemphysems wird überwiegend durch chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) verursacht. Im Rahmen dieser Erkrankung kommt es zu entzündlichen Prozessen, die das Gleichgewicht zwischen Proteasen (abbauende Enzyme) und Antiproteasen (schützende Enzyme) stören und zur Zerstörung des Lungengewebes führen. Zusätzlich spielt auch das Alter eine Rolle, da mit fortschreitendem Alter eine Erweiterung der Lufträume auftreten kann (Altersemphysem).
Primäre pathophysiologische Mechanismen
Proteasen/Antiproteasen-Ungleichgewicht
Gemäß dem Proteasen/Antiproteasen-Konzept entsteht das Lungenemphysem durch ein Ungleichgewicht zwischen den abbauenden Proteasen (wie Elastase) und den schützenden Antiproteasen (wie Alpha-1-Antitrypsin). Bei chronischen Entzündungsprozessen in den Atemwegen, wie sie bei der COPD auftreten, werden vermehrt Proteasen von Entzündungszellen wie Neutrophilen und Makrophagen (Fresszellen) freigesetzt.
- Proteasenübergewicht: Durch die chronische Entzündung und die Exposition gegenüber Schadstoffen wie Zigarettenrauch kommt es zu einem Proteasenübergewicht, was bedeutet, dass die abbauenden Enzyme das Bindegewebe der Lunge schneller zerstören, als es von den Antiproteasen geschützt werden kann.
- Zerstörung der Alveolen: Die Proteasen bauen die elastischen Fasern der Alveolen und des umliegenden Gewebes ab, was zur Zerstörung der Lungenbläschen und der Verlust der Elastizität des Lungengewebes führt. Dies führt dazu, dass die Lunge überbläht wird, da sie sich nicht mehr richtig zusammenziehen kann, um die Luft vollständig auszuatmen.
Inflammation und oxidativer Stress
Der anhaltende Entzündungsprozess bei COPD geht mit der Bildung von freien Radikalen einher, die den Gewebeschaden zusätzlich verstärken. Der oxidative Stress schädigt ebenfalls die schützenden Antiproteasen, sodass diese ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen können.
- Freie Radikale und oxidative Schädigung: Die bei der Entzündung freigesetzten freien Radikale schädigen die Strukturproteine der Lunge und behindern die normale Regeneration des Lungengewebes.
Sekundäre pathophysiologische Veränderungen
Überblähung der Alveolen und Verlust der Elastizität
Die Zerstörung der elastischen Fasern der Alveolen führt zu einer irreversiblen Überblähung der Lungenbläschen. Diese Überblähung bewirkt, dass die Lunge nicht mehr in der Lage ist, sich vollständig zusammenzuziehen, um die eingeatmete Luft auszuatmen.
- Erweiterung der Lufträume: Die Lufträume in den Alveolen (Lungenbläschen) werden vergrößert, und es entsteht eine Luftfalle, bei der die Luft in den Alveolen verbleibt und nicht vollständig ausgeatmet werden kann.
- Reduzierter Gasaustausch: Die Überblähung und Zerstörung der Alveolarwände verringert die Fläche, die für den Sauerstoffaustausch zur Verfügung steht, was zu einer gestörten Sauerstoffaufnahme führt.
Altersemphysem
Mit zunehmendem Alter kommt es auch ohne Erkrankung zu einer Vergrößerung der Lufträume distal der terminalen Bronchiolen, einem sogenannten Altersemphysem. Dies entsteht durch einen natürlichen Abbau der elastischen Fasern und eine allgemeine Abnahme der regenerativen Kapazität des Lungengewebes.
- Verlust der Lungenelastizität im Alter: Die natürliche Alterung führt zu einer Reduktion der elastischen Fasern, was die Lungenbläschen weniger widerstandsfähig gegenüber Druckveränderungen macht. Dies führt ebenfalls zu einer Überblähung der Lungenbläschen und einer eingeschränkten Ausatmung.
Klinische Manifestation
Leitsymptome
- Atemnot (Dyspnoe): Zunehmende Atemnot, die sich bei Anstrengung und in fortgeschrittenen Stadien auch in Ruhe zeigt, ist das Hauptsymptom eines Lungenemphysems.
- Husten: Häufig begleitet von Schleimproduktion, besonders bei begleitender COPD.
Fortgeschrittene Symptome
- Fassthorax: Durch die Überblähung der Lunge kann der Brustkorb dauerhaft erweitert sein, was zu einem Fassthorax führt.
- Zyanose: Blaufärbung der Lippen und Nägel aufgrund von Sauerstoffmangel.
Progression und Organbeteiligung
Lungenumbau und Rechtsherzbelastung (Cor pulmonale)
Durch die Überblähung der Lunge und die Schädigung der Alveolarwände kommt es zu einem erhöhten Druck im Lungenkreislauf, was das rechte Herz zusätzlich belastet. Langfristig führt dies zu einer Rechtsherzinsuffizienz (Cor pulmonale).
Systemische Auswirkungen bei chronischen Verläufen
- Gewichtsverlust und Muskelschwäche: Durch die chronische Atemnot und die gesteigerte Atemarbeit kommt es zu einem Verlust von Muskelmasse und allgemeiner Erschöpfung.
- Erhöhtes Risiko für Infektionen: Die gestörte Lungenstruktur und die mangelnde mukoziliäre Clearance (Selbstreinigungsmechanismus) machen die Patienten anfälliger für bakterielle Infektionen.
Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden
- Eingeschränkter Gasaustausch: Die Zerstörung der Alveolen verringert die Austauschfläche für Sauerstoff und Kohlendioxid, was zu einer chronischen Hypoxie (Sauerstoffmangel) und Hyperkapnie (erhöhter Kohlendioxidgehalt im Blut) führt.
- Reduzierte Lungenelastizität: Die Lunge verliert ihre Fähigkeit, sich vollständig zusammenzuziehen, was die Ausatmung erschwert und zur Luftfalle führt.
Regenerative und kompensatorische Prozesse
Fehlende Regeneration der Alveolen
Einmal zerstörte Alveolen können nicht regeneriert werden. Der Verlust der elastischen Fasern und die irreversible Zerstörung des Lungengewebes führen zu einer dauerhaften Funktionseinschränkung.
Kompensatorische Mechanismen
- Erhöhte Atemarbeit: Der Körper versucht, den Sauerstoffmangel durch eine verstärkte Atemfrequenz und tiefere Atemzüge zu kompensieren, was jedoch zu schneller Erschöpfung führt.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Das Lungenemphysem entsteht durch ein Ungleichgewicht von Proteasen und Antiproteasen infolge chronischer Entzündungsprozesse, insbesondere bei COPD. Die Zerstörung des elastischen Lungengewebes führt zur Überblähung der Lungenbläschen und einer deutlichen Einschränkung des Gasaustauschs. Dies führt zu chronischer Atemnot, einer erhöhten Atemarbeit und langfristig zu einer Belastung des rechten Herzens (Cor pulmonale). Altersbedingte Veränderungen können ebenfalls zur Vergrößerung der Lufträume führen. Eine frühzeitige Diagnose und Therapie sind entscheidend, um die Progression zu verlangsamen und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern, vor allem beim Alpha-1-Antitrypsin-Mangel
- Genetische Erkrankungen:
- Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATD; α1-Antitrypsin-Mangel; Synonyme: Laurell-Eriksson-Syndrom, Proteaseinhibitormangel, AAT-Defizit) – relativ häufige genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, bei der aufgrund eines Polymorphismus (Auftreten mehrerer Genvarianten) zu wenig Alpha-1-Antitrypsin gebildet wird. Ein Mangel an Proteaseinhibitoren zeigt sich an der mangelnden Hemmung der Elastase, wodurch das Elastin der Lungenalveolen zersetzt wird. Infolgedessen kommt es zur chronisch-obstruktiven Bronchitis mit Lungenemphysem (COPD, progrediente (fortschreitende), nicht vollständig reversible (umkehrbare) Obstruktion (Verengung) der Atemwege). An der Leber führt der Mangel an Proteaseinhibitoren zu einer chronischen Hepatitis (Leberentzündung) mit Übergang zur Leberzirrhose (nicht umkehrbare Schädigung der Leber mit ausgeprägtem Umbau des Lebergewebes).
Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) des homozygoten Alpha-1-Antitrypsin-Mangels wird in der europäischen Bevölkerung auf 0,01-0,02 Prozent geschätzt.
- Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATD; α1-Antitrypsin-Mangel; Synonyme: Laurell-Eriksson-Syndrom, Proteaseinhibitormangel, AAT-Defizit) – relativ häufige genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, bei der aufgrund eines Polymorphismus (Auftreten mehrerer Genvarianten) zu wenig Alpha-1-Antitrypsin gebildet wird. Ein Mangel an Proteaseinhibitoren zeigt sich an der mangelnden Hemmung der Elastase, wodurch das Elastin der Lungenalveolen zersetzt wird. Infolgedessen kommt es zur chronisch-obstruktiven Bronchitis mit Lungenemphysem (COPD, progrediente (fortschreitende), nicht vollständig reversible (umkehrbare) Obstruktion (Verengung) der Atemwege). An der Leber führt der Mangel an Proteaseinhibitoren zu einer chronischen Hepatitis (Leberentzündung) mit Übergang zur Leberzirrhose (nicht umkehrbare Schädigung der Leber mit ausgeprägtem Umbau des Lebergewebes).
- Genetische Erkrankungen:
- Lebensalter – im höheren Alter tritt physiologisch das atrophische Emphysem ("Altersemphysem") auf
- Berufe – bes. Berufe mit Quarz-Exposition (jahrelangen Einatmens von quarzhaltigen Stäuben; Quarzfeinstaub gilt als Gruppe 1-Karzinogen)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Inhalative Schadstoffe wie Nikotin – Tabak (Rauchen)
Krankheitsbedingte Ursachen
- Chronische Bronchitis (Entzündung der größeren verzweigten Atemwege (Bronchien) mit Husten und Auswurf)
- Nicht näher genannte Virusinfektionen der Lunge
Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Umweltbelastung durch Luftverunreinigung
- diverse Gase, Stäube (bes. Quarz; Quarzfeinstaub gilt als Gruppe 1-Karzinogen)
- Ozon und Stickoxide [1]
Weitere Ursachen
- Nach Lungenteilresektion ("Überdehnungsemphysem")
Literatur
- Wang M et al.: Association Between Long-term Exposure to Ambient Air Pollution and Change in Quantitatively Assessed Emphysema and Lung Function. JAMA. 2019;322(6):546-556. doi:10.1001/jama.2019.10255