Lungenkrebs (Bronchialkarzinom) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das Bronchialkarzinom (Lungenkrebs) entwickelt sich schrittweise über mehrere Stadien der Zellveränderung, die durch den Einfluss von Karzinogenen (krebserregende Stoffe) gefördert werden. Vor allem das Nikotin und andere in Zigaretten enthaltene Schadstoffe spielen eine zentrale Rolle bei der Entstehung. Auch Tumorpromoteren können das Fortschreiten der Tumorentwicklung fördern.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Inhalative Karzinogene: Der wichtigste Faktor bei der Entstehung von Lungenkrebs sind inhalative Karzinogene (eingeatmete krebserzeugende Stoffe). Diese Schadstoffe schädigen die Zellen des Lungenepithels, was zu Mutationen im Erbgut führt und schließlich zur malignen Transformation von Zellen.

Zu den wichtigsten Karzinogenen gehören:

  • Arsen
  • Asbest (Asbestose)
  • Beryllium
  • Cadmium
  • Chrom-VI-Verbindungen
  • Dieselabgase (insbesondere polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, PAH)
  • Halogenierte Ethern („Haloethern“), insbesondere Dichlordimethylether
  • Kohlestaub (Bergleute)
  • Nickelstaub
  • Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), z. B. Benzol, Benzo(a)pyren
  • Quarzstaub (Silikose)
  • Radioaktive Stoffe (Uran, Radon)
  • Radon (etwa 6 % aller Todesfälle durch Lungenkrebs; insbesondere durch unfreiwillige Inhalation in Wohnräumen)
  • Senfgas
  • Hartmetallstäube (Wolfram- und kobalhaltige Staubpartikel)
  • Feinstaub (Luftverschmutzung)
  • Tabakrauch: Der Hauptrisikofaktor für die Entstehung von Lungenkrebs ist das Rauchen. Das Risiko steigt mit der kumulativen (angehäuften) Dosis an Tabakrauch.
Sekundäre pathophysiologische Veränderungen
  • Zelluläre Mutationen: Karzinogene verursachen Mutationen im Erbgut der Epithelzellen der Lunge, was die Kontrolle des Zellwachstums und die Reparaturmechanismen beeinträchtigt. Durch diese Veränderungen kommt es zu unkontrolliertem Zellwachstum und zur Bildung von Tumoren.
  • Tumorprogression: Nach der Entstehung des Primärtumors kann das Bronchialkarzinom in das umliegende Lungengewebe einwachsen und metastasieren (Streuung von Tumorzellen). Besonders häufig betroffen sind die Lymphknoten, das Gehirn, die Leber, die Knochen und die Nebennieren.
Klinische Manifestation
  • Frühe Symptome: In den frühen Stadien bleibt Lungenkrebs oft symptomlos. Zu den ersten Anzeichen gehören chronischer Husten, blutiger Auswurf (Hämoptyse), Atemnot und wiederkehrende Infektionen der Atemwege.
  • Späte Symptome: In fortgeschrittenen Stadien kommt es zu Symptomen wie Gewichtsverlust, allgemeiner Schwäche, Brustschmerzen und Anzeichen von Metastasen wie Knochen- oder Kopfschmerzen.
Progression und Organbeteiligung
  • Lokale Invasion: Das Bronchialkarzinom wächst invasiv in das umgebende Lungengewebe und kann die Pleura (Lungenfell) und benachbarte Strukturen infiltrieren.
  • Metastasierung: In fortgeschrittenen Stadien breitet sich das Bronchialkarzinom häufig über die Blut- und Lymphbahnen aus. Metastasen (Tochtergeschwülste) treten typischerweise in den Lymphknoten, dem Gehirn, der Leber, den Knochen und den Nebennieren auf.
Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden
  • Lungenfunktionsstörung: Der Tumor kann durch sein Wachstum die Atemwege blockieren, was zu einer Beeinträchtigung der Lungenfunktion, Atemnot und verminderter Sauerstoffaufnahme führt.
  • Strukturelle Schäden: Die Tumorinfiltration kann zur Zerstörung von Lungengewebe und zur Entwicklung von Pleuraergüssen (Flüssigkeitsansammlung zwischen Lunge und Brustwand) führen.
Regenerative und kompensatorische Prozesse
  • Versuche der Regeneration: Trotz der Schädigung des Lungengewebes versucht der Körper, das beschädigte Gewebe zu regenerieren, was jedoch bei malignen Tumoren ineffektiv ist.
  • Immunsystem-Aktivierung: Das Immunsystem versucht, den Tumor zu bekämpfen, jedoch reichen die Abwehrmechanismen oft nicht aus, um das Tumorwachstum zu stoppen.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Das Bronchialkarzinom entsteht durch das Einatmen von Karzinogenen, insbesondere durch das Rauchen und andere inhalative Schadstoffe. Rauchen ist der Hauptrisikofaktor, jedoch sind auch Passivrauchen, berufliche Exposition und Luftverschmutzung bedeutsame Faktoren. Die Erkrankung bleibt oft lange symptomlos und wird erst in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert, was die Prognose verschlechtert. 

Beachte: Ca. 84 % der Frauen und 90 % der Männer mit neu diagnostiziertem Lungenkrebs sind aktive oder ehemalige Raucher.
D. h. aber auch, dass ca. jede 6. Frau und jeder 10. Mann sind ein Lungenkrebspatient, der nicht geraucht hat [15]. Mögliche zu beachtende Risikofaktoren von Nichtrauchern sind Passivrauchen, berufliche Exposition, Luftschadstoffe oder genetische Faktoren.

Ätiologie (Ursachen)

Des Weiteren sind folgende Ursachen für Lungenkrebs bekannt:

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung – ist ein Elternteil erkrankt, steigt das Risiko um das zwei- bis dreifache
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: DCAF4, HYKK
        • SNP: rs12587742 im Gen DCAF4
          • Allel-Konstellation: AG (erhöht) (bestätigt bislang nur für die europäische Population)
          • Allel-Konstellation: AA (erhöht) (bestätigt bislang nur für die europäische Population)
        • SNP: rs8034191 im Gen HYKK
          • Allel-Konstellation: CT (1,27-fach für Raucher)
          • Allel-Konstellation: CC (1,80-fach für Raucher)
    • Bei Nichtrauchern mit Lungenkrebs ließen sich drei unterschiedliche genetische Signaturen nachweisen [16].
  • Arbeitsplatz – ca. 5 % aller Bronchialkarzinome sind durch berufliche Karzinogene (s. o.) bedingt; Hochrisikoberufe sind u. a. Baustellenarbeiter, Dachdecker, Kohleminenarbeiter, Minenarbeiter
  • Sozioökonomische Faktoren – niedriger sozioökonomischer Status (korreliert invers mit Ausbildung und Einkommen)

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • zu geringer Obst- und Gemüseverzehr (wissenschaftlich nicht vollständig geklärt ist die Rolle eines Mangels an Vitamin A)
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Unzureichende Vitalstoff-Zufuhr
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol (Frauen mehr als 10 g pro Tag; Männer mehr als 20 g pro Tag) – fördert u. a. die Entwicklung des Bronchialkarzinoms
    • Tabak (Rauchen, Passivrauchen)
      • Ca. 85 % aller Bronchialkarzinome entstehen bei Rauchern!
      • Das Risiko eines Mannes, der 20 Jahre lang pro Tag zwei Packungen geraucht hat, beträgt das 60- bis 70-fache eines Nichtrauchers. Nach Beendigung des Rauchens sinkt zwar das Risiko, erreicht aber nie wieder das Niveau eines Nichtrauchers [1, 2].
      • Ein Viertel aller Raucher, die Träger des „Brustkrebsgens“ BRCA2 sind, erkranken im Verlauf ihres Lebens [4]
      • E-Zigaretten (Vaper):  Exraucher, die auf E-Zigaretten gewechselt sind, erkrankten in Südkorea häufiger an Lungenkrebs als Exraucher, die eine komplette Abstinenz erreichten [18].
  • Körperliche Aktivität
    • Bewegungsmangel; hohe kardiorespiratorische Fitness (Durchschnitt 13,0 MET ≈ 13-Fache des Grundumsatzes) im mittleren Lebensalter führte zu einer um 55 % reduzierten Lungenkrebsmortalität (Lungenkrebssterberate) [6]
  • Psycho-soziale Situation
    • Hoher Arbeitsstress: + 24 % Bronchialkarzinom (Lungenkrebs) [12]
    • Nachtdienst (+ 28 %) [10]

Krankheitsbedingte Ursachen

  • chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) – insbesondere in Kombination mit Rauchen
  • Lungennarben, welche z. B. nach Tuberkulose oder Operationen entstehen können
  • Zweittumorrisiko ist erhöht nach Chemotherapie wg.:
    • Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) – Hautkrebs (mit Ausnahme des Melanoms) und Lungenkrebs

Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten

  • Thrombozyten (Blutplättchen) – jeder Anstieg der Zahl der Thrombozyten um 100 x 109/l ist mit einem um 62 % höheren Risiko für die Entwicklung eines nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms assoziiert (Odds-Ratio [OR]: 1,62; 95%-Konfidenzintervall: 1,15-2,27; p = 0,005) (Daten auf Grundlage einer Mendelschen Randomisierung mit Daten von fast 50.000 Europäern) [13]

Medikamente

  • ACE-Hemmer – Angiotensin-konvertierende Enzym metabolisiert neben Angiotensin I auch Bradykinin, einen aktiven Vasodilatator;  Bronchialkarzinome exprimieren Bradykininrezeptoren; Bradykinin kann die Freisetzung von vaskulären endothelialen Wachstumsfaktoren stimulieren (= Förderung der Angiogenese und damit des Tumorwachstums). Bei Patienten, die ACE-Hemmer erhalten hatten, betrug die Inzidenz 1,6 pro 1.000 Personenjahre gegenüber 1,2 pro 1.000 Personenjahre bei den anderen Hochdruckpatienten; die ACE-Hemmer Therapie erhöhte das Risiko relativ um 14 % [11].
    ACE-Hemmer und Lungenkrebs: Kausalzusammenhang nach Bewertung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur nicht belegt [14].
  • Sartane (Angiotensin-Rezeptorblocker): signifikante Korrelation zwischen dem Grad der kumulativen Exposition gegenüber Sartanen und dem Risiko für Bronchialkarzinome (slope = 0,16; 95%-Kl: 0,05–0,27], p = 0,003) [17]
  • Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (selective serotonin reuptake inhibitors, SSRI) ? [7]
  • Trizyklische Antidepressiva (tricyclic anti-depressants, TCA) ? [7]

Umweltbelastung (inklusive Arbeitsplatzbelastungen) – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Beruflicher Kontakt
    • mit Karzinogenen – z. B. Asbest, künstliche Fasern (engl. man made mineral fibers, MMMF), Kokereirohgase, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Arsen, Chrom-VI-Verbindungen, Nickel, halogenierten Ethern („Haloethern“), insbesondere Dichlordimethylether, Acrylnitril, radioaktive Stoffe etc.
    • Kokereirohgase
    • Umgang mit Teer und Bitumen (Straßenbau)
    • Inhalation von Kohlestaub (Bergleute)
    • Inhalation von Nickelstaub, Quarzstaub (Stäube, die kristallines Siliciumdioxid (SiO2) enthalten; Quarzfeinstaub gilt als Gruppe 1-Karzinogen)
  • Arsen [9]
    • Männer: Mortalitätsrisiko (Sterberisiko)/relatives Risiko (RR) 3,38 (95-Prozent-Konfidenzintervall  3,19-3,58)
    • Frauen: Mortalitätsrisiko/relatives Risiko 2,41 (95-Prozent-Konfidenzintervall 2,20-2,64)
  • Tetrachlorethen (Perchlorethylen, Perchlor, PER, PCE)?, bei Frauen [5]
  • Dieselmotoremissionen (DME)/Dieselabgase (wg. polyzyklischer Kohlenwasserstoffe, PAH)
  • Luftschadstoffe: Feinstaub (durch Autoabgase, Verbrennungsprozesse in der Industrie und Hausbrand) – bereits Feinstaubkonzentration unterhalb des europäischen Grenzwerts erhöht die Wahrscheinlichkeit, an Lungenkrebs zu erkranken [3]
  • Ionisierende Strahlen, d. h. elektromagnetische Strahlung (Röntgen- und Gammastrahlung) und Teilchenstrahlung (z. B. Alpha-, Beta- und Neutronenstrahlung) – unter anderem Erzgewinnung und -verarbeitung insbesondere in Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen (v. a. SDAG, Wismut); Arbeiten mit Uran und Thorium; zu Heilzwecken betriebene Radonbäder
  • Radon – nach dem Rauchen ist das unfreiwillige Einatmen von radioaktivem Radon in den eigenen vier Wänden der häufigste Auslöser von Lungenkrebs; es ist in Deutschland für ca. 5 % aller Lungenkrebstodesfälle verantwortlich [8]

Literatur

  1. Deutsches Krebsforschungszentrum. Tabakatlas Deutschland 2015. Heidelberg,
  2. Secretan B, Straif K, Baan R et al.: A review of human carcinogens – Part E: tobacco, areca nut, alcohol, coal smoke, and salted fish. Lancet Oncol. 2009 Nov;10(11):1033-4.
  3. Weinmayr G et al.: Air pollution and lung cancer incidence in 17 European cohorts: prospective analyses from the European Study of Cohorts for Air Pollution Effects (ESCAPE). Lancet Oncology, doi: 10.1016/S1470-2045(13)70279-1; 2013 
  4. Wang Y et al.: Rare variants of large effect in BRCA2 and CHEK2 affect risk of lung cancer. Nature Genetics (2014) doi:10.1038/ng.3002
  5. Mattei F et al.: Exposure to chlorinated solvents and lung cancer: results of the ICARE study. Occup Environ Med. 2014 Jul 11. pii: oemed-2014-102182. doi: 10.1136/oemed-2014-102182.
  6. Lakoski SG et al.: Midlife Cardiorespiratory Fitness, Incident Cancer, and Survival After Cancer in Men. JAMA Oncol, online 26. März 2015; doi:10.1001/jamaoncol.2015.0226
  7. Boursi B et al.: Anti-depressant therapy and cancer risk: A nested case-control study. Eur Neuropsychopharmacol. 2015 Apr 17. pii: S0924-977X(15)00113-3. doi: 10.1016/j.euroneuro.2015.04.010.
  8. Bundesamt für Strahlenschutz 1989 - 2014
  9. Smith AH et al.: Lung, Bladder, and Kidney Cancer Mortality 40 Years After Arsenic Exposure Reduction. JNCI: Journal of the National Cancer Institute, djx201, https://doi.org/10.1093/jnci/djx201
  10. Yuan X et al.: Night Shift Work Increases the Risks of Multiple Primary Cancers in Women: A Systematic Review and Meta-analysis of 61 Articles. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev; 27(1); 25-40. doi: 10.1158/1055-9965.EPI-17-0221
  11. Hicks BM et al.: Angiotensin converting enzyme inhibitors and risk of lung cancer: population based cohort study. BMJ 2018; 363 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.k4209 (Published 24 October 2018)
  12. Yang T et al.: Work stress and the risk of cancer: A meta-analysis of observational studies. Int J Cancer 2018 https://doi.org/10.1002/ijc.31955
  13. Zhu Z et al.: Elevated platelet count appears to be causally associated with increased risk of lung cancer: A Mendelian randomization analysis. CEBP 2019. doi: https://dx.doi.org/10.1158/1055-9965.EPI-18-0356
  14. EMA: Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC): Minutes of PRAC meeting on 11-14 February 2019: https://www.ema.europa.eu/en/documents/minutes/minutes-prac-meeting-11-14-february-2019_en.pdf. London
  15. Siegel DA et al.: Proportion of Never Smokers Among Men And Women With Lung Cancer in 7 US States. JAMA Oncol 2020; https://doi.org/10.1001/jamaoncol.2020.6362
  16. Zhang T et al.: Genomic and evolutionary classification of lung cancer in never smokers. Nature Genetics 2021;53:1348-1359
  17. Sipahl I: Risk of cancer with angiotensin-receptor blockers increases with increasing cumulative exposure: Meta-regression analysis of randomized trials s. PLoS ONE 2022;17(3): e0263461. https://doi.org/10.1371/journal. pone.0263461
  18. Kim YW et al.: Association of Electronic Cigarette Use After Conventional Smoking Cessation With Lung Cancer Risk: A Nationwide Cohort Study American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine 2024;209:A3051

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) der Berufskrankheitenverordnung. (AWMF-Registernummer: 020 - 010), Juni 2016 Langfassung
  2. S2k-Leitlinie: Diagnostik und Begutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten. (AWMF-Registernummer: 002 - 038), November 2020 Langfassung