Lungenkrebs (Bronchialkarzinom) – Strahlentherapie

Bei etwa 20 % aller Patienten mit malignen Lungentumoren ist eine strahlentherapeutische Behandlung erforderlich, da deren Tumoren nicht operiert werden können (z. B. wegen Begleiterkrankungen, schlechter Lungenfunktion).

Kleinzelliges Bronchialkarzinom (SCLC; engl.: Small Cell Lung Cancer) (20-25 %) 

  • Nach operativer Resektion wird in allen Untergruppen neben der adjuvanten Chemotherapie eine prophylaktische Radiatio des Schädels empfohlen. Ein häufig eingesetztes Vorgehen sieht die Gabe von 30 Gy in 15 Fraktionen vor (Evidenzgrad 2b) [S3-Leitlinie]
    • Patienten mit bestrahlungsfähiger Primärtumorausdehnung und ohne Fernmetastasierung sollten eine Bestrahlung der Primärtumorregion erhalten (Evidenzgrad 1a) [S3-Leitlinie]
    • Die Applikation der Strahlentherapie in denTumorstadien T3-4 N0-1 und T1-4N2- 3M0 (Limited disease) sollte nach Möglichkeit simultan zur Chemotherapie mit Cisplatin und Etoposid erfolgen (Evidenzgrad 1b) [S3-Leitlinie]
  • Bei allen Patienten mit Remission nach Abschluss der Chemo-Strahlentherapie sollte eine prophylaktische Schädelbestrahlung durchgeführt werden. Bevorzugt sollte eine GHD bis 30 Gy in Einzeldosen von 1,8 bis 2,0 Gy täglich eingesetzt werden (Evidenzgrad 1a) [S3-Leitlinie].
    • Bzgl. des Gesamtüberlebens wird der Einsatz der prophylaktischen Ganzhirnbestrahlung beim extendierten Stadium kontrovers diskutiert.
  • Beim kleinzelligen Bronchialkarzinom ohne Fernmetastasen (Tumorzellen, die auf dem Blut- oder Lymphweg in andere Organe als das ursprünglich betroffene Organ gestreut und sich dort angesiedelt haben) sollte versucht werden, eine simultane (parallele) Radiochemotherapie (RCTX; Kombination aus Strahlentherapie (z. B. mit Gammastrahlung) und Chemotherapie (Gabe von Zytostatika)) durchzuführen.
    Ist dies kontraindiziert (besteht eine Gegenanzeige), so sollte die Radiochemotherapie (RCTX) sequenziell – Strahlentherapie (Radiotherapie, Radiatio) nach Chemotherapie – durchgeführt werden.
  • Patienten mit Hirnmetastasierung (Bildung von Tochtergeschwülsten im Gehirn) sollten frühzeitig im Therapieverlauf bestrahlt werden. Bei symptomatischer Hirnmetastasierung sollte die Ganzhirnbestrahlung unmittelbar nach Diagnosestellung erfolgen, bei asymptomatischer Hirnmetastasierung ist ein frühzeitiger Bestrahlungsbeginn anzustreben (Evidenzgrad 1b). Bei Verwendung eines Standard Platin/Etoposid Protokolls kann die Bestrahlung parallel zur Gabe einer Chemotherapie erfolgen [S3-Leitlinie].
  • Die Strahlentherapie besteht aus einer thorakalen Radiotherapie (TRT) gefolgt von einer prophylaktischen Ganzhirnbestrahlung (PCI; prophylactic cranial irradiation) (PCI = Therapiestandard im limitierten Stadium; im extendierten Stadium wird die PCI patientenindividuell durchgeführt).
  • Eine angepasste (unterstützende) supportive Therapie bei der Strahlentherapie (Radiotherapie, Radiatio) ist immer unerlässlich.

Weitere Hinweise

  • Beim kleinzelligen Bronchialkarzinom im Stadium III kann eine höhere Strahlendosis mit 60 Gy im Rahmen der Radiochemotherapie das mediane Gesamtüberleben deutlich verlängern (60 Gy: 41,6 Monate versus 45 Gy: 22,9 Monate) ohne erhöhter Strahlentoxizität (Strahlenschädigung). Dabei wurde allen Patienten auch eine prophylaktische Schädelbestrahlung mit einer Dosis von 25 Gy in 10 Fraktionen bis 30 Gy in 15 Fraktionen angeboten [6].

Nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom (NSCLC, "non-small-cell lung carcinoma") (10-15 %)

  • Im Stadium I, II wird nach R0-Resektion eine adjuvante Strahlentherapie nicht empfohlen [S3-Leitlinie].
  • Für Patienten mit mediastinalem ("im Mittelfeld") Lymphknotenbefall im Stadium IIIA1 bzw. IIIA2 sollte zusätzlich zur adjuvanten Chemotherapie die Indikation zur postoperativen Mediastinalbestrahlung geprüft werden [S3-Leitlinie].
  • Patienten im Stadium IIIA3 – insbesondere bei multiplem N2-Befall – können gleichermaßen mit einer Kombination aus Strahlentherapie und Chemotherapie (definitive Chemo-/Radiotherapie) behandelt werden [S3-Leitlinie].
  • Die stereotaktische Bestrahlung von intra- und extrazerebralen NSCLC-Metastasen ist sicher, wirksam und ein technisches Standardverfahren zur sicheren Ablation lokaler Tumormanifestationen.
  • In den Stadien I-II kommt die perkutane sterotaktische Radiotherapie (Strahlentherapie) zum Einsatz, wenn die Operation nicht möglich ist oder vom Patienten abgelehnt wird. Sie erzielt in 92 % der Fälle eine lokale Tumorkontrolle. Die 3-Jahres-Überlebensrat beträgt dabei 60 %.
  • Beim lokal fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (LA-NSCLC) wird meist eine Chemoradiotherapie (CRT) durchgeführt.
  • Beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom dominiert die Radiotherapie das Stadium III.
  • Es wird zunehmend ein multimodales Konzept durchgeführt, bei dem erst die (Radio-)Chemotherapie eingesetzt wird, bevor der Tumor durch eine Operation entfernt wird (neoadjuvante (Radio-)Chemotherapie).
  • Patienten mit einer isolierten Hirnmetastase soll eine stereotaktische Präzisionsstrahlentherapie oder eine Operation mit anschließender Tumorbett-Nachbestrahlung angeboten werden [S3-Leitlinie]..
  • Bei Hirnmetastasen eines nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) wird häufig eine Ganzhirnbestrahlung (whole brain radiotherapy, WBRT) vorgenommen. Die QUARTZ-Studie zeigte, dass das Weglassen einer WBRT nicht zu einem Verlust an Lebenszeit führte [2].
    S. u. "Weitere Hinweise" zur prophylaktischen Gehirnbestrahlung.
  • Die palliative thorakale Strahlentherapie ist bei Patienten, für die kurative Therapiekonzepte nicht geeignet sind, bei bestehender thorakaler Symptomatik indiziert [S3-Leitlinie].
  • Im Stadium IV wird in ausgewählten Fällen eine Kombination aus Radio- und Chemotherapie durchgeführt.

Weitere Hinweise

  • Prophylaktische craniale Radiatio (PCI; Gehirnbestrahlung): Diese geht gemäß einer Studie mit einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens einher; außerdem kommt es seltener zu HIrnmetastasen. Die Strategie hatte jedoch keinen Einfluss auf die Gesamtüberlebensrate [5].
  • Bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem nichtkleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) kam es  unter der intensitätsmodulierten Radiotherapie (IMRT) im Vergleich mit der dreidimensionalen konformalen externen Bestrahlung seltener zu einer Pneumonitis (Sammelbegriff für jede Form der Lungenentzündung (Pneumonie), welche nicht die Alveolen (Lungenbläschen), sondern das Interstitium bzw. den Zellzwischenraum betrifft) vom Grad ≥ 3 (7,9 vs. 3,5 %; p = 0,039); es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen den Methoden das für 2-Jahres-Gesamtüberleben, das progressionsfreie Überleben, das lokale Therapieversagen und das Überleben ohne Fernmetastasen [4].
  • Eine Radiotherapie vor der Operation wird beim Pancoast-Tumor (Synonym: apikaler Sulkustumor) empfohlen. Es handelt sich um ein rasch fortschreitendes peripheres Bronchialkarzinom im Bereich der Lungenspitze (Apex pulmonis); rasch übergreifend auf Rippen, Halsweichteile, Armgeflecht (ventralen Ästen der Spinalnerven der letzten vier Hals- und des ersten Brustsegments (C5–Th1)) und Wirbel der Hals- und Brustwirbelsäule (HWS, BWS)); Krankheit äußert sich häufig mit einem charakteristischen Pancoast-Syndrom: Schulter- bzw. Arm-Schmerz, Rippenschmerz, Parästhesie (Empfindungsstörungen) am Unterarm, Paresen (Lähmungen), Handmuskelatrophie, obere Einflussstauung durch Einengung der Halsvenen, Horner-Syndrom (Trias einhergehend mit Miosis (Pupillenverengung), Ptosis (Herunterhängen des oberen Augenlids) und Pseudoenophthalmus (scheinbar eingesunkener Augapfel))
  • Ein Bronchialkarzinom bei Patienten mit einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) wird mittels einer stereotaktischen ablativen Radiatio (SABR; "abtragenden Bestrahlung") behandelt.
  • In einer Studie mit 58 Patienten mit operablem Bronchialkarzinom, in der überprüft werden sollte, ob eine Radiotherapie mit SABR der Operation gleichwertig oder überlegen ist, wurde folgendes festgestellt [2]:
    • In der Gruppe der operierten Patienten starben in den ersten drei Jahren sechs von 27 Patienten, davon zwei am ursprünglichen Bronchialkarzinom und einer an einem neu entstandenen Bronchialkarzinom.
    • Unter den 31 Patienten, die eine stereotaktische ablative Bestrahlung erhalten hatten, gab es nur einen Todesfall. In diesem Fall war der Tumor trotz Radiotherapie weiter gewachsen.
  • Ösophagitis unter Strahlentherapie: mit zunehmendem Alter seltener [3].

Literatur

  1. Chang JY, Senan S, Paul MA et al.: Stereotactic ablative radiotherapy versus lobectomy for operable stage I non-small-cell lung cancer: a pooled analysis of two randomised trials. Lancet Oncol 2015; 16: 630-37. doi: 10.1016/S1470-2045(15)70168-3
  2. Mulvenna P et al.: Dexamethasone and supportive care with or without whole brain radiotherapy in treating patients with non-small cell lung cancer with brain metastases unsuitable for resection or stereotactic radiotherapy (QUARTZ). Lancet 2016, online 4. September 2015 doi: http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(16)30825-X
  3. Soni PD et al.: Lower Incidence of Esophagitis in the Elderly Undergoing Definitive Radiation Therapy for Lung Cancer. Journal of Thoracic Oncology March 2017Volume 12, Issue 3, Pages 539-546 doi: http://dx.doi.org/10.1016/j.jtho.2016.11.2227
  4. Chun SG et al.: Impact of Intensity-Modulated Radiation Therapy Technique for Locally Advanced Non–Small-Cell Lung Cancer: A Secondary Analysis of the NRG Oncology RTOG 0617 Randomized Clinical Trial. J Clin Oncol. 2017;35(1):56-62
  5. Sun A et al.: Prophylactic Cranial Irradiation vs Observation in Patients With Locally Advanced Non–Small Cell Lung Cancer A Long-term Update of the NRG Oncology/RTOG 0214 Phase 3 Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol 2019. doi: https://dx.doi.org/10.1001/jamaoncol.2018.7220
  6. Gronberg BH et al.: Randomized phase II trial comparing the efficacy of standard-dose with high-dose twice-daily thoracic radiotherapy (TRT) in limited disease small-cell lung cancer (LD SCLC). ASCO Meeting Oral Abstract Session J Clin Oncol 38: 2020 (suppl; abstr 9007) doi: 10.1200/JCO.2020.38.15_suppl.9007

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms. (AWMF-Registernummer: 020-007OL), November 2022 Kurzfassung Langfassung