COVID-19 – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Beschreibung des Erregers
Die Erkrankung wird durch das SARS-CoV-2-Virus verursacht, auch bekannt als das neuartige Coronavirus (2019-nCoV). Es gehört zur Linie B der Beta-Coronaviren und ist ein behülltes (+)ssRNA-Virus (einzelsträngiges RNA-Virus). Das natürliche Reservoir für SARS-CoV-2 sind wahrscheinlich Fledertiere (Flughunde), während der Zwischenwirt bisher nicht zweifelsfrei identifiziert wurde.
Infektion der Zellen und Eintrittsmechanismen
Um eine Zelle infizieren zu können, benötigt SARS-CoV-2 den ACE2-Rezeptor (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2) und eine Protease wie TMPRSS2 oder CTSL (Cathepsin L). Die ersten Zielzellen des Virus sind höchstwahrscheinlich die schleimproduzierenden Becherzellen und Flimmerzellen in der Nasenhöhle [7]. SARS-CoV-2 nutzt denselben zellulären Rezeptor wie das SARS-Virus (SARS-CoV-1), um in die Zielzellen einzudringen [1].
Tropismus und Vermehrung
Das ACE2-Enzym, das als Eintrittsrezeptor dient, wird besonders in Herz und Lunge stark exprimiert, aber auch in den Nieren, im Endothel (Gefäßinnenwände) und im Gastrointestinaltrakt. Die ACE2-Expression in der Nasenschleimhaut nimmt mit dem Alter zu und ist bei unter Zehnjährigen am geringsten. Dies könnte ein Grund für das seltenere Auftreten von COVID-19 bei sehr jungen Menschen sein [12]. Die Myokardzellen (Herzmuskelzellen) steigern im Alter die Expression der Proteine ACE2 und TMPRSS2, über die das Coronavirus SARS-CoV-2 in die Zellen gelangt [14].
Beeinflussende Faktoren
Ein weiterer Faktor, der den Eintritt von SARS-CoV-2 erleichtern könnte, ist Neuropilin-1 (NRP1). Dieses Molekül findet sich in den Schleimhäuten der Atemwege und könnte in Zusammenarbeit mit ACE2 die Virusinfektion erleichtern [18]. Besonders reich an den viralen Eintrittsproteinen (ACE2 und TMPRSS2) sind ältere Menschen, Raucher und Männer, was zu einem höheren Risiko schwerer Verläufe führen kann [20].
Schädigung von Geweben und Organen
SARS-CoV-2 führt in der Lunge zu einer atypischen Pneumonie (Lungenentzündung), die als COVID-19 bekannt ist. Dabei schädigt das Virus nicht nur die Alveolen (Lungenbläschen), sondern auch die Endothelzellen (Zellen der inneren Blutgefäßwände), was eine Thrombosierung in den kleinen Blutgefäßen auslöst. Es konnte zudem eine intussuszeptive Angiogenese (Bildung neuer Blutgefäße durch Gefäßteilung) nachgewiesen werden [11].
Immunantwort und Thrombosebildung
Die schweren Verläufe von COVID-19 werden wahrscheinlich durch eine überschießende Immunantwort verursacht, die zu einer Immunthrombose führt. Neutrophile Granulozyten (eine Art von weißen Blutkörperchen) setzen sogenannte „Neutrophil Extracellular Traps“ (NETs) frei, die eigentlich Viren abfangen sollen, aber stattdessen eine Thrombose begünstigen können [13].
Beeinflussung des Immunsystems
SARS-CoV-2 erhöht die Produktion von Prostaglandin E2 (PGE2) im Lungenepithel, was zu einer Reduktion der T- und B-Zellen führt, die normalerweise für die Abwehr des Virus benötigt werden [24]. T-Zellen zerstören virusinfizierte Zellen direkt, während B-Zellen Virus-neutralisierende Antikörper produzieren.
Fettgewebe als Virus-Reservoir
Das Virus scheint zudem das Fettgewebe zu infizieren, wo es eine relativ geringe Immunabwehr vorfindet. Adipozyten (Fettzellen) können zu einem Reservoir für SARS-CoV-2 werden, und die Infektion des Fettgewebes führt zur Freisetzung entzündungsfördernder Zytokine, die systemische Entzündungen verstärken [25].
Zusammenfassung
Die Pathogenese von SARS-CoV-2 ist komplex und umfasst mehrere Mechanismen, die von der Bindung an den ACE2-Rezeptor und die Vermehrung in Zellen der Atemwege über systemische Entzündungsreaktionen bis zu Immunthrombosen und Organschäden reichen. Besonders gefährdete Gruppen, wie ältere Menschen und Raucher, zeigen eine erhöhte Expression der viralen Eintrittsproteine, was schwerere Verläufe begünstigt. Die Immunantwort kann sowohl schützend als auch pathologisch wirken, insbesondere durch überschießende Reaktionen wie die NET-Bildung, die Thrombosen verursachen kann.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung/Disposition – höhere ACE2-Allelfrequenz in den „Expression-quantitative-trait-locus“(eQTL)-Varianten (Variation der mRNA-Expressionslevel) bei der Bevölkerung in Ostasien inkl. China; dieses ist mit einer höheren Expression der Virusrezeptor-ACE 2-Varianten im Gewebe assoziiert, was eine höhere erhöhte SARS-CoV-2-Suszeptibilität ("Empfänglichkeit") erklären könnte [2].
- Lebensalter – höheres Lebensalter und Aufenthalt in Gesundheitseinrichtungen
- Beruf – medizinisches Personal
Verhaltensbedingte Risikofaktoren
- Kontakt zu erkrankten Personen in der Phase der Ansteckung
Krankheitsbedingte Ursachen
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)
- Infektion mit dem SARS-CoV-2
Zu den Risikogruppen für eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 gehören:
- Männer – ca. 60 % aller Patienten mit COVID-19 sind Männer; bei tödlichen Verläufen liegt der Anteil bei 70 %
- In einer Kohorte von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz (Herzschwäche) hatten Männer eine höhere Konzentration des löslichen ACE2-Rezeptors als Frauen [10]
- Personen ab dem 60. Lebensjahr
- Menschen mit Komorbiditäten (Begleiterkrankungen)
- Adipositas
- BMI (Body-Mass-Index/Körpermasse-Index) > 40) – Patienten < 60 Jahre mit Adipositas mussten doppelt so häufig wegen COVID-19 in eine Klinik aufgenommen werden wie Normalgewichtige; BMI > 35: 7-fach erhöhtes Risiko [5]; adipöse Patienten COVID-19-Patienten mussten besonders häufig auf der Intensivstation betreut werden [6]
- Hospitalisierungsrisiko steigt bereits ab einem BMI von 23 kg/m2 linear an; Mortalitätsrisiko (Sterberate) ist ab einem Wert von 28 kg/m2 erhöht [22].
- Chronische Atemwegserkrankungen (z. B. chronisch obstruktive Lungenerkrankung* (COPD), obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) [17], pulmonale Hypertonie (PH; Lungenhochdruck) Cor pulmonale)
- Chronische Lebererkrankungen
- Chronische Nierenerkrankungen (z. B. Niereninsuffizienz/Nierenschwäche)
- Diabetes mellitus
- HIV (+24 %) [23]
- Kardiovaskuläre Erkrankungen** (z. B. Hypertonie** (Bluthochdruck), Koronare Herzerkrankung (KHK; Herzkranzgefäßerkrankung), Vorhofflimmern (VHF), Apoplex (Schlaganfall; durch gesteigerte ACE-2-Expression entwickelt sich eine erhöhte Bindungsaffinität für SARS-CoV-2 in der Lunge [21])
- Krebserkrankungen
- Metabolisches Syndrom (MetS) – klinische Bezeichnung für die Symptomkombination Adipositas (Übergewicht), Hypertonie (Bluthochdruck), erhöhte Nüchternglucose (Nüchternblutzucker) und Nüchterninsulin-Serumspiegels (Insulinresistenz) und Fettstoffwechselstörung (erhöhte VLDL-Triglyceride, erniedrigtes HDL-Cholesterin). Des Weiteren ist häufig auch eine Koagulationsstörung (vermehrte Gerinnungsneigung), mit einem erhöhten Risiko für Thromboembolien nachzuweisen. (4-fach erhöhtes Risiko auf eine schwere oder tödliche COVID-19) [15]
- Zahnärztliche Erkrankungen – Parodontitis (Entzündung des Zahnhalteapparates): Covid-19-Patienten mit Parodontitis wurden 3,5-mal häufiger auf die Intensivstation eingewiesen, benötigten 4,5-mal häufiger ein Beatmungsgerät und starben fast 9-mal häufiger, als diejenigen ohne Zahnfleischerkrankungen [19]
- Zerebrovaskuläre Erkrankungen (z. B. pathologische (krankhafte) Veränderungen der Hirngefäße, Verschlüsse von Hirngefäßen)
- Adipositas
- Patienten mit Immunsuppression (Unterdrückung des körpereigenen Abwehrsystems): eine hochdosierte Steroidgabe sollte vermieden werden!
- Dialysepatienten (aufgrund deren vielfältiger Komorbiditäten)
- Raucher?*
*Wegen vermehrter Exprimierung des Angiotensin-konvertierenden Enzyms 2 (ACE2) in den Atemwegen, über den SARS-CoV-2-Viren in die Zellen gelangen [3]. Gemäß einer Metaanalyse von 5 Studien besteht für aktive Raucher kein höheres Risiko für schwere Verläufe von COVID-19 [9].
**Die COPD war die stärkste prädiktive Komorbidität für die Schwere von COVID-19 (OR 6,42), gefolgt von kardiovaskulären Erkrankungen (OR 4,4) und Hypertonie (OR 3,7) [4].
Literatur
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