Bronchiektasen – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Bronchiektasen sind dauerhafte und irreversible Erweiterungen der Bronchien, die infolge von wiederholten Infektionen oder obstruktiven Prozessen entstehen. Die Erkrankung ist durch eine fortschreitende Zerstörung der bronchialen Wandstruktur, insbesondere des respiratorischen Epithels, charakterisiert, was zu einer Störung der mukoziliären Clearance (Selbstreinigung der Bronchien) führt.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
Wiederholte schwere bronchiale Infekte
Wiederholte schwere bronchiale Infektionen (z. B. Pneumonien) in der Kindheit sind eine häufige Ursache für die Entstehung von Bronchiektasen. Diese Infekte schädigen das Bronchialepithel und führen zu einer chronischen Entzündungsreaktion, die das Gewebe der Bronchien nachhaltig zerstört. Durch die ständige Entzündung werden die Wände der Bronchien schwächer und verlieren ihre elastische Struktur, was zur Entstehung der bronchialen Ausweitungen führt.
Obstruktion der Bronchien
Eine weitere Ursache für Bronchiektasen ist eine mechanische Obstruktion (Verengung) des Bronchialbaums. Fremdkörper, Bronchialtumore oder auch verengte Atemwege durch Mukoviszidose oder andere Erkrankungen können den normalen Luft- und Schleimfluss blockieren. Durch die anhaltende Verengung der Atemwege wird der Druck in den Bronchien erhöht, was schließlich zur Ausweitung der Bronchialwände führt.
Sekundäre pathophysiologische Veränderungen
Zerstörung des Flimmerepithels
Eine zentrale pathophysiologische Veränderung bei Bronchiektasen ist die Zerstörung des respiratorischen Flimmerepithels, das für die mukoziliäre Clearance verantwortlich ist. Das Flimmerepithel besteht aus beweglichen Kinozilien, die den Bronchialschleim zusammen mit Fremdkörpern und Mikroorganismen in Richtung Rachen (Pharynx) transportieren. Bei wiederholten Entzündungen wird das Epithel durch Infiltration von Entzündungszellen geschädigt, was die Funktion der Kinozilien beeinträchtigt und schließlich zerstört.
- Gestörte mukoziliäre Clearance: Die Bewegungskoordination der Kinozilien wird unterbrochen, sodass der Schleim nicht mehr effektiv aus den Bronchien abtransportiert werden kann. Dies führt zur Sekretretention (Ansammlung von Schleim) in den erweiterten Bronchien, was den idealen Nährboden für infektiöse Erreger darstellt.
Bronchiale Ausweitungen (Bronchiektasen)
Im Rahmen der chronischen Entzündung und der Schädigung des Gewebes kommt es zu einer Ausweitung der Bronchien in Form von sackförmigen, spindelförmigen oder zylindrischen Aussackungen. Diese Bronchiektasen beeinträchtigen den Schleimabfluss weiter, da der Bronchialschleim durch die vergrößerten Hohlräume nur noch schlecht abtransportiert werden kann. Die Sekretansammlung in den erweiterten Bronchien führt zu einem Circulus vitiosus (Teufelskreis), bei dem die Ansammlung von Schleim wiederkehrende Infektionen begünstigt und die Entzündung weiter aufrechterhält.
Klinische Manifestation
Leitsymptome
Die typischen Symptome der Bronchiektasen entstehen durch die chronische Entzündung und die gestörte mukoziliäre Clearance:
- Chronischer Husten: Oft begleitet von reichlich eitrigem Auswurf, besonders morgens.
- Wiederkehrende Atemwegsinfektionen: Die Patienten leiden häufig an Infektionen, da der Schleim in den Bronchien ideale Bedingungen für das Wachstum von Bakterien bietet.
- Atemnot (Dyspnoe): Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu einer zunehmenden Einschränkung der Atemfunktion.
Fortgeschrittene Symptome
- Hämoptyse (Bluthusten): Blutige Beimengungen im Auswurf können auf eine Schädigung der Bronchialgefäße hinweisen.
- Zyanose: Blaufärbung der Haut durch Sauerstoffmangel.
- Trommelschlägelfinger: Diese können sich bei chronischer Lungenerkrankung entwickeln.
Progression und Organbeteiligung
Lokale Gewebeveränderungen
- Schädigung der Bronchialwände: Wiederholte Infektionen und Entzündungen führen zu einer dauerhaften Schädigung und Schwächung der Bronchialwände, die ihre elastischen Eigenschaften verlieren.
- Narbenbildung: Durch die chronische Entzündung wird das Gewebe der Bronchialwände durch Fibrose (Narbenbildung) irreversibel verändert.
Systemische Auswirkungen bei chronischen Verläufen
- Pulmonale Hypertonie: Langfristig können die wiederholten Entzündungsprozesse und die Sekretretention den Lungenkreislauf belasten und zu einem erhöhten Druck in den Lungengefäßen führen.
- Rechtsherzinsuffizienz: Eine chronische Überlastung des rechten Herzens infolge der pulmonalen Hypertonie (Cor pulmonale) kann zu einer Rechtsherzinsuffizienz (Rechtsherzschwäche) führen.
Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden
Beeinträchtigung der Lungenfunktion
- Restriktive und obstruktive Ventilationsstörung: Die durch die Bronchiektasen verursachte Zerstörung des Lungengewebes und die Sekretretention behindern den Luftstrom in den Bronchien und führen sowohl zu restriktiven als auch obstruktiven Atemproblemen.
- Gasaustauschstörungen: Die wiederholten Infektionen und die chronische Entzündung beeinträchtigen den Gasaustausch in der Lunge, was zu einem Sauerstoffmangel im Blut führt.
Schmerzentstehung
- Brustschmerzen: Durch die wiederholten Entzündungen und Infektionen kann es zu diffusen Brustschmerzen kommen, insbesondere bei schweren Infektionen oder bei Hämoptysen.
Regenerative und kompensatorische Prozesse
Regeneration des Flimmerepithels
- In frühen Stadien oder nach einer effektiven Behandlung der Infektion kann das Flimmerepithel sich teilweise regenerieren, insbesondere wenn die Ursache der Entzündung rechtzeitig beseitigt wird. Bei fortgeschrittenen Bronchiektasen ist die Regeneration jedoch oft unzureichend, da das Epithel durch Fibrosen ersetzt wurde.
Kompensatorische Anpassungsmechanismen
- Erhöhte Atemarbeit: Um den Sauerstoffbedarf trotz der beeinträchtigten Lungenfunktion zu decken, steigert der Körper die Atemarbeit. Dies führt jedoch langfristig zu einer Belastung der Atemmuskulatur und des Herz-Kreislauf-Systems.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Bronchiektasen sind das Resultat eines Teufelskreises aus wiederholten Infektionen, Obstruktion der Atemwege und chronischer Entzündung, die zu einer dauerhaften Zerstörung der Bronchialwände und einer Beeinträchtigung der mukoziliären Clearance führen. Die gestörte Selbstreinigungsfunktion der Bronchien fördert die Sekretretention, was das Risiko für wiederkehrende Infektionen erhöht und den Krankheitsverlauf verschlimmert. Eine frühzeitige Diagnose und konsequente Behandlung von Infektionen und entzündlichen Erkrankungen sind entscheidend, um das Fortschreiten der Bronchiektasen und die damit verbundenen Komplikationen zu verhindern.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Kongenitale (angeborene) Defekte
- Anatomisch:
- Marfan-Syndrom – genetische Erkrankung, die sowohl autosomal-dominant vererbt werden oder vereinzelt (als Neumutation) auftreten kann; systemische Bindegewebserkrankung, die vor allem durch Hochwuchs, Spinnengliedrigkeit und Überstreckbarkeit der Gelenke auffällt; 75 % dieser Patienten haben ein Aneurysma (pathologische (krankhafte) Ausbuchtung der Arterienwand)
- Skoliose (S-förmige Wirbelsäule)
- Tracheobronchomegalie – Erweiterung der Luftröhre und der großen Bronchien
- Andere angeborene Erkrankungen, die mit einer eingeschränkten mukoziliären Clearance einhergehen:
- Agammaglobulinämie – X-gebundene Immundefizienz, bei der aufgrund eines Gendefekts die B-Lymphozyten nicht vollständig ausgebildet werden können; dieses bedingt eine erhöhte Infektanfälligkeit im HNO-Bereich sowie der Lungen
- Alpha-1-Antitrypsinmangel – Leberzellen bilden das Enzym fehlerhaft oder in zu geringer Menge; ein Alpha-1-Antitrypsinmangel geht bei Erwachsenen mit einem erhöhten Risiko für eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) einher.
- Defektes ENaC-Protein – Mutation im ENaC-Gen, die zu einem defekten epithelialen Natriumkanal führt; es kommt zu einem hyperaktiven Natriumkanal, der zu einer Störung der Salz-Wasserhomöostase (Homöostase = Gleichgewicht) an der respiratorischen Mukosa (Bronchialschleimhaut) führt
- Hyper-IgE-Syndrom (HIES) – primärer Immundefekt, der klinisch gekennzeichnet ist durch die Trias hohes Serum-IGE (> 2.000 IU/ml), rezidivierende Staphylokokken-Hautabszesse und rezidivierende Pneumonien (Lungenentzündung) mit Bildung von Pneumatozelen (krankhafte Luftansammlung im Gewebe)
- Kartagener-Syndrom – angeborene Erkrankung; Trias aus Situs inversus viscerum (spiegelbildliche Anlage der Organe), Bronchiektasen (Synonyme: Bronchiektasie; Erweiterungen der Bronchien) und Aplasie (Nichtausbildung) der Nasennebenhöhlen; Erkrankungen ohne Situs inversus nennt man primäre ziliäre Dyskinesie (engl. Primary Ciliary Dyskinesia, PCD)
- Primär ziliäre Dyskinesie (PCD) (häufigste Ursache für Non-CF-Bronchiektasen (nicht durch eine zystische Fibrose verursacht)) – die Bewegung der Zilien (Flimmerhärchen) ist gestört, wodurch es zu einer verminderten Sekretclearance kommt → erhöhte Infektanfälligkeit
- Selektiver IgA-Mangel – häufigste genetisch bedingte Immundefizienz; führt vor allem zu chronisch rezidivierenden (wiederkehrenden) Infekten des Respirationstraktes
- Variables Immundefektsyndrom („Common variable immunodeficiency“ (CVID)) – angeborener Immundefekt bei welchem die Immunglobulinsynthese, besonders des Immunglobulin G, unverhältnismäßig niedrig ist, wodurch es zu einer erhöhten Infektanfälligkeit vor allem für bakterielle Infekte der Luftwege und des Gastrointestinaltraktes (Magen-Darm-Trakt) kommt
- Zystische Fibrose (CF) (Synonym: Mukoviszidose)
- Anatomisch:
Krankheitsbedingte Ursachen – erworbene Bronchiektasen
- Allergische bronchopulmonale Aspergillose (ABPA) – durch Schimmelpilze der Schlauchpilz-Gattung Aspergillus ausgelöste gemischtförmige allergische Erkrankung der Lunge (Typ-I- und Typ-III-Allergie)
- Asthma bronchiale
- Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
- Chronisch entzündliche Darmerkrankungen: Zöliakie (gluteninduzierte Enteropathie) – chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten beruht
- Diffuse Panbronchiolitis – chronisch progrediente (fortschreitende) Entzündung der Bronchiolen
- Gelbe-Fingernägel-Syndrom ("Yellow-nail-Syndrom") – gelblich verfärbte Nägel; z. B. bei chronische Bronchitis, Bronchiektasen (Synonym: Bronchiektasie), Pleuraerguss, Sinusitis (Nebenhöhlenentzündung)
- Fibrose (krankhafte Vermehrung des Bindegewebes) – Bestrahlungsfibrose, Lungenfibrose, posttuberkulöse Fibrose
- Immunologische Defekte (sekundäre)
- Chemotherapie
- Immunsuppressive Therapie
- Tumor
- Nichttuberkulöse Mykobakterien
- Obstruktion (Verengung) der Atemwege durch:
- benigne (gutartige) Tumoren
- vergrößerte Lymphknoten
- Postinfektiös (ca. 25 % der Fälle) – spielt vor allem in den Entwicklungsländern eine Rolle (häufigste Ursache); in den Industrienationen ist die Erkrankungsrate aufgrund des Einsatzes von Antibiotika und Impfprogrammen rückläufig
- Viral (Adenovirus, Influenza, Paramyxovirus): z. B. HIV, Influenza (Grippe), Masern
- Bakteriell (gramnegative Bakterien wie Pseudomonas aeruginosa, Haemophilus influenzae): z. B. Pertussis (Keuchhusten)
- Fungizid
- Atypische Mykobakterien: z. B. Tuberkulose
- Die häufigsten Erreger sind: Haemophilus influenzae, Pseudomonas spp., Streptococcus pneumoniae
- Rheumatoide Arthritis – entzündliche Multisystemerkrankung, die sich meist in Form einer Synovialitis (Gelenkinnenhautentzündung) manifestiert
- Skoliose (S-förmige Wirbelsäule) – Seitwärtsverbiegung der Wirbelsäule, bei gleichzeitiger Rotation der Wirbel, welche nicht mehr vollständig aufgerichtet werden kann
- Systemischer Lupus erythematodes (SLE) – Systemerkrankung, die die Haut und das Bindegewebe der Gefäße betrifft und so zu Vaskulitiden (Gefäßentzündungen) zahlreicher Organe wie Herz, Nieren oder Gehirn führt
- Tracheobronchiale Amyloidose (häufigste Form der pulmonalen Amyloidose/Ablagerungen von Amyloiden (abbauresistente Proteine))
- Young-Syndrom – charakterisiert durch eine chronische Bronchitis, Sinusitis (Nasennebenhöhlenentzündung) und Azoospermie (Fehlen von Samenzellen im Samen); vermutlich autosomal-rezessiv vererbt
Weitere Ursachen
- Fremdkörperaspiration (Einatmen von Fremdkörpern)