Hepatische Enzephalopathie – Einleitung

Die hepatische Enzephalopathie (HE) ist eine Funktionsstörung des zentralen Nervensystems (ZNS), die durch eine akute oder chronische Lebererkrankung verursacht wird. Sie entsteht aufgrund der unzureichenden Entgiftungsfunktion der Leber, wodurch neurotoxische Stoffe, insbesondere Ammoniak, im Blut akkumulieren. Dies führt zu einer Reihe neurologischer und psychiatrischer Auffälligkeiten.

Synonyme und ICD-10: hepatische Enzephalopathie; Hepatoenzephalopathie; hepatoportale Enzephalopathie; minimale hepatische Enzephalopathie; portosystemische Enzephalopathie (PSE); ICD-10-GM K72.7-: Hepatische Enzephalopathie und Coma hepaticum

Charakteristische Laborbefunde

  • Erhöhte Ammoniakspiegel im Blut: Häufig korrelieren hohe Ammoniakwerte mit dem Schweregrad der Enzephalopathie.
  • Erhöhte Leberwerte: Erhöhung von Transaminasen (ALT, AST) und Bilirubin.
  • Verminderte Albuminkonzentration: Hinweis auf eine beeinträchtigte Leberfunktion.
  • Prothrombinzeit verlängert: Indikator für eine gestörte Gerinnung und Leberinsuffizienz.
  • Elektrolytstörungen: Hyponatriämie (niedriger Natriumspiegel) und Hypokaliämie (niedriger Kaliumspiegel) können auftreten.

Formen der Erkrankung

Die hepatische Enzephalopathie kann in verschiedene Schweregrade eingeteilt werden, je nach den klinischen Manifestationen:

  • Minimal hepatische Enzephalopathie: Subtile kognitive Beeinträchtigungen ohne klinisch manifeste Symptome.
  • Grad I: Leichte Bewusstseinsstörungen, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen.
  • Grad II: Ausgeprägte Verhaltensänderungen, Desorientierung, Asterixis (Flapping Tremor).
  • Grad III: Stupor, aber noch ansprechbar, schwere Desorientierung, grobschlägiges Zittern.
  • Grad IV: Koma, keine Reaktion auf Schmerzreize, Verlust der Reflexe.

Ursachen

Die hepatische Enzephalopathie tritt typischerweise als Komplikation folgender Erkrankungen auf:

  • Leberzirrhose (Leberschrumpfung): Häufigste Ursache. 22-74 % der Patienten mit Leberzirrhose haben bereits eine "minimale hepatische Enzephalopathie" (Synonym: latente (verborgene) hepatische Enzephalopathie) (siehe unter "Klassifikation") [1]. 
  • Akutes Leberversagen: Kann zu einem schnellen und schweren Verlauf führen.
  • Portosystemische Shunts: Umgehung der Leber durch Blutgefäße.
  • Infektionen: Verschlimmern die hepatische Enzephalopathie durch systemische Entzündungsreaktionen.
  • Elektrolytstörungen: Wie Hypokaliämie (Kaliummangel), die die Leberfunktion weiter beeinträchtigen.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen.

Häufigkeitsgipfel
: Häufigkeit steigt mit dem Alter und dem Fortschreiten der Lebererkrankung.

Prävalenz
(Krankheitshäufigkeit): 22-74 % der Patienten mit Leberzirrhose entwickeln eine minimale hepatische Enzephalopathie.

Inzidenz
(Häufigkeit von Neuerkrankungen): Die Inzidenz der Leberzirrhose, einer häufigen Ursache der HE, liegt bei ca. 250 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr in Europa und den USA.

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Akuter Verlauf: Bei akuten Lebererkrankungen kann die HE fulminant verlaufen, was innerhalb von Tagen zu einem Leberausfallkoma führen kann.
  • Chronischer Verlauf: Bei chronischen Lebererkrankungen zeigt sich die HE oft als episodisch auftretende Erkrankung. Jede Episode kann zu einer weiteren Verschlechterung der kognitiven Funktionen führen.

Prognose

  • Reversibilität: Die HE ist bei adäquater Therapie potenziell reversibel, insbesondere bei frühzeitiger Behandlung.
  • Lebensqualität: Bereits im latenten Stadium ist die Lebensqualität durch kognitive Beeinträchtigungen erheblich eingeschränkt.
  • Mortalität (Sterberate): Mit jeder Episode der HE steigt das Mortalitätsrisiko, insbesondere bei Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose. Ein chronisch-progredienter Verlauf ist selten, aber möglich.

Literatur

  1. Dhiman RK, Saraswat VA, Sharma BK, Sarin SK, Chawla YK, Butterworth R et al.: Minimal hepatic encephalopathy: consensus statement of a working party of the Indian National Association for Study of the Liver. J Gastroenterol Hepatol. 2010 Jun;25(6):1029-41. doi: 10.1111/j.1440-1746.2010.06318.x.