Gelbsucht (Ikterus) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Der Ikterus (Gelbsucht) entsteht durch eine Hyperbilirubinämie (erhöhte Konzentration von Bilirubin im Blut). Bilirubin ist ein Abbauprodukt des Hämoglobins (roter Blutfarbstoff), das vor allem in der Leber und Milz beim Abbau von alten Erythrozyten (rote Blutkörperchen) produziert wird. Normalerweise beträgt die tägliche Bilirubin-Synthese etwa 300 mg, wovon 80 % durch den Abbau von Hämoglobin entsteht.
Bilirubin-Stoffwechsel
- Unkonjugiertes Bilirubin (indirektes Bilirubin, wasserunlöslich) wird im Blut an Albumin gebunden und zur Leber transportiert.
- In den Hepatozyten (Leberzellen) wird es durch das Enzym UDP-Glucuronosyltransferase an Glucuronsäure gebunden und in konjugiertes Bilirubin (direktes Bilirubin, wasserlöslich) umgewandelt.
- Das konjugierte Bilirubin wird über die Galle in den Darm abgegeben, wo es zu Urobilinogen und Stercobilin abgebaut wird.
- Ein Teil des Urobilinogens wird resorbiert und über den enterohepatischen Kreislauf (Rückführung zur Leber) oder über die Nieren ausgeschieden.
Unterscheidung der Hyperbilirubinämien
- Unkonjugierte Hyperbilirubinämie: Der Bilirubinwert im Blut ist erhöht, aber der Anteil des konjugierten Bilirubins beträgt weniger als 15 % des Gesamtbilirubins. Dies tritt bei vermehrtem Hämoglobinabbau oder Störungen der Leberaufnahme auf.
- Konjugierte Hyperbilirubinämie: Der Anteil des konjugierten Bilirubins im Blut beträgt mehr als 2 mg/dl oder über 20 % des Gesamtbilirubins. Hierbei liegt eine Störung der Ausscheidung in den Gallengang vor.
Arten des Ikterus
- Prähepatischer Ikterus:
- Ursache: Erhöhter Hämoglobinabbau, zum Beispiel durch Hämolysen (Zerstörung roter Blutkörperchen) bei Sichelzellenanämie oder Sphärozytose (Kugelzellenanämie).
- Mechanismus: Es wird vermehrt unkonjugiertes Bilirubin gebildet, das die Kapazität der Leber zur Konjugation übersteigt.
- Merkmale: Erhöhtes unkonjugiertes Bilirubin, keine Störung der Leberfunktion.
- Intrahepatischer Ikterus:
- Ursache: Schädigung der Hepatozyten durch Erkrankungen wie Hepatitis (Leberentzündung), Leberzirrhose (Schrumpfleber) oder Medikamenten-induzierte Leberschäden.
- Mechanismus: Die Konjugation und Ausscheidung von Bilirubin ist gestört, was sowohl unkonjugiertes als auch konjugiertes Bilirubin erhöht.
- Merkmale: Erhöhtes Gesamtbilirubin, oft begleitet von Leberfunktionsstörungen.
- Posthepatischer Ikterus (Verschlussikterus):
- Ursache: Mechanische Blockade der Gallengänge durch Gallensteine, Tumoren oder Gallengangsstrikturen.
- Mechanismus: Der Abfluss des konjugierten Bilirubins in den Darm ist blockiert, was zu einem Rückstau des konjugierten Bilirubins ins Blut führt.
- Merkmale: Erhöhtes konjugiertes Bilirubin, dunkler Urin (aufgrund von Bilirubinausscheidung über die Nieren) und heller Stuhl (mangelnde Sterkobilinproduktion).
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Der Ikterus ist ein Symptom, das durch verschiedene Ursachen wie Hämolyse, Lebererkrankungen oder Gallengangsobstruktion entstehen kann. Die Unterscheidung in prähepatischen, intrahepatischen und posthepatischen Ikterus ist für die gezielte Diagnostik und Therapie entscheidend. Eine frühzeitige Erkennung und Behandlung der zugrunde liegenden Ursache kann das Fortschreiten der Erkrankung verhindern.
Ätiologie (Ursachen)
Man unterscheidet drei Formen/Ursachen eines Ikterus:
- Prähepatischer Ikterus – ineffektive Hämatopoese (Blutbildung) → verstärkter Hb (Hämoglobin)-Abbau/Hämolyse → Anstieg des Bilirubins (besonders des indirekten Bilirubins; Anteil des indirekten Bilirubins > 80 % am Gesamt-Bilirubin) – z. B. durch hämolytische Anämie, große Hämatome (Blutergüsse), Rhabdomyolyse (Muskelauflösung), Verbrennungen etc.
- Intrahepatischer Ikterus – intrahepatische Cholestase (Gallestau in der Leber) oder gestörter Bilirubinstoffwechsel → Störung der Aufnahme bzw. Konjugation, Sekretion → Anstieg des Bilirubins (besonders des indirekten Bilirubins)
- Primäre Störungen des Bilirubinstoffwechsels (z. B. Morbus Meulengracht; Crigler-Najjar-Syndrom Typ 1; Dubin-Johnson-Syndrom; Rotor-Syndrom)
- Sekundäre Störungen des Bilirubinstoffwechsel (Leberparenchmyschäden z. B. durch intrahepatische Cholestase/Cholangitis; Virushepatitis; Fettleber; Leberzirrhose; Leberzellkarzinom; Intoxikationen (s. u.); Leptospirose, Salmonellen)
- Posthepatischer Ikterus – extrahepatische Cholestase (Gallestau außerhalb der Leber) → Anstieg des direkten Bilirubins (z. B. durch Choledocholithiasis; cholangiozelluläres Karzinom (CCC, Cholangiokarzinom, Gallengangskarzinom, Gallengangskrebs); Pankreaskarzinom; Gallengangsatresie; Ascaris-Infektion)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung
- Genetische Erkrankungen
- Alagille-Syndrom – genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang, die durch Lebergallengang-Fehlbildungen und weitere Organfehlbildungen auffällt; Cholestase (Gallenstau), die bereits beim Neugeborenen zu einem Ikterus führt; typische Auffälligkeiten der Gesichts (breite Stirn, tiefliegende Augen, Hypertelorismus/übergroßer Augenabstand, schmales Kinn) und des Skelettanomalien (Schmetterlingswirbel, kurze distale Phalangen, Klinodaktylie/seitliche Abknickung eines oder mehrerer Finger- oder Zehenglieder, verkürzte Ulna/Elle)
- Familiäre Hyperbilirubinämie (Erhöhung der Bilirubinwerte im Blut)
- Morbus Meulengracht (Gilbert-Syndrom) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang; gutartige Form der Hyperbilirubinämieämie [erhöhtes indirektes Bilirubin]
- Crigler-Najjar-Syndrom Typ 1 – angeborene Störung im Stoffwechsel des Bilirubins mit autosomal-rezessivem Erbgang; Neugeborenenikterus (Neugeborenengelbsucht), der durch gänzlich fehlende oder minimale Aktivität der Bilirubin-UDP-Glukuronyltransferase bedingt ist [erhöhtes indirektes Bilirubin]
- Dubin-Johnson-Syndrom (Synonym: Dubin-Johnson-Sprinz-Syndrom) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die zu Ausscheidungsstörungen des Bilirubins führen; direkten Hyperbilirubinämie (starke Erhöhung der Bilirubinwerte im Blut); typisch ist ein milder Ikterus ohne Pruritus (Gelbsucht ohne Juckreiz); makroskopisch: schwarze Leber durch Bilirubinpigmentspeicherung in den Lysosomen (Zellorganellen) [erhöhtes direktes Bilirubin]
- Rotor-Syndrom – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang; Bilirubinstoffwechselstörung [erhöhtes direktes Bilirubin]
- Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit): Angeborene bzw. hereditäre Hämochromatose (HH; primäre Hämochromatose) – genetisch bedingt, autosomal-rezessiv vererbt (es werden heute 4 (5) Typen unterschieden, wobei der Typ 1 (Mutation im HFE-Gen) in Europa am häufigsten vorkommt: 1 : 1.000)
- Morbus Byler (progressive familiäre intrahepatische Cholestase (PFIC)) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang; Cholestase (Gallenstau), die zur biliären Zirrhose (gallenblasenbedingten narbigen Schrumpfung der Leber und Untergang von Funktionsgewebe) führt
- Morbus Wilson (Kupferspeicherkrankheit) – autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, bei der durch eine oder mehrere Genmutationen der Kupferstoffwechsel in der Leber gestört ist
- Mukoviszidose (Zystische Fibrose, ZF) ‒ genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die durch die Produktion von zu zähmen Sekret in verschiedenen Organen gekennzeichnet ist.
- Summerskill-Tygstrup-Syndrom (idiopathische rezidivierende Cholestase/Gallenstau) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang; benigne Form der Hyperbilirubinämie (erhöhtes Bilirubin im Blut) mit intermittierend auftretendem intrahepatischen Verschlussikterus bei Kindern und jungen Erwachsenen; familiäre Hyperbilirubinämie-Syndrome mit Erhöhung des direkten Bilirubins; Ikterus (Gelbsucht) in den Skleren (weiße Teil des Auges) und Schleimhäuten, bei stärkerem Auftreten auch deutlich der Haut
- Zellweger-Syndrom (Zerebral-hepatisches-renales Syndrom, Cerebro-hepato-renales Syndrom) – genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die durch das Fehlen von Peroxisomen (kugelförmige membranbegrenzte Organellen) charakterisiert ist; Syndrom mit Fehlbildungen des Gehirns, der Nieren (multizystische Nierendysplasie), des Herzens (insbesondere Ventrikelseptumdefekte) sowie Hepatomegalie (Lebervergrößerung); schwere kognitive Behinderung
- Genetische Erkrankungen
Verhaltensbedingte Ursachen
- Genussmittelkonsum
- Alkohol – (Frau: > 20 g/Tag; Mann: > 30 g/Tag)
Krankheitsbedingte Ursachen
- AIDS-Cholangiopathie – Veränderungen der Gallengänge, die durch die AIDS-Erkrankung bedingt sind
- Biliäre Atresie – angeborene Fehlbildung, die das Fehlen von Gallengängen beschreibt
- Budd-Chiari-Syndrom – thrombotischer Verschluss der Lebervenen
- Cholangitis (Gallengangsentzündung)
- Cholangiozelluläres Karzinom (Gallengangskrebs)
- Choledocholithiasis – Gallensteine im Ductus Choledochus (Hauptgallengang)
- Cholestase oder Fettleber in der Schwangerschaft
- Hämolytische Anämie (Blutarmut) wie Sphärozytose (Kugelzellanämie) oder Sichelzellenanämie (med.: Drepanozytose; auch Sichelzellanämie, engl.: sickle cell anemia)
- Hepatitis (Leberentzündung) jeder Genese
- Herzinsuffizienz (Herzschwäche)
- Idiopathische Duktopenie – Anlageanomalie der Gallengänge, deren Ursache unbekannt ist
- Idiopathischer postoperativer Ikterus – Gelbsucht unklarer Ursache, der nach einer Operation auftritt
- Leberabszess – Bildung einer abgekapselten Eiteransammlung in der Leber
- Leberkarzinom (Leberkrebs)
- Lebermetastasen
- Leberzirrhose (bindegewebiger Umbau der Leber mit Funktionseinschränkung; insbesondere alkoholische Leberzirrhose)
- Leptospirose – Infektionserkrankung, die durch Leptospiren verursacht wird
- Mirizzi-Syndrom – Verengung des gemeinsamen Lebergallenganges
- Neugeborenenikterus (Icterus neonatorum) wg. geringe Aktivität der Glucuronyltransferase in den ersten Lebenstagen (physiologisch)
- Pankreaskarzinom (Bauchspeicheldrüsenkrebs)
- Pankreaspseudozysten – zystische Bildung im Bereich der Bauchspeicheldrüse
- Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung) – akut und chronisch
- Papillenstenose – Verengung der Einmündung des Gallenganges in den Dünndarm
- Parasitose – Parasiten im Bereich der Gallengänge
- Pericholezystitis – Entzündung der Gallenblase, die auch das umgebende Gewebe infiltriert
- Primär-biliäre Zirrhose – Form der Leberzirrhose, die durch eine nichteitrige Gallengangsentzündung auftritt; tritt meist bei Frauen auf
- Primär-sklerosierende Cholangitis – chronisch entzündliche Gallengangsentzündung
- Sarkoidose (Synonyme: Morbus Boeck; Morbus Schaumann-Besnier) – systemische Erkrankung des Bindegewebes mit Granulombildung (Haut, Lunge und Lymphknoten)
- Schwangerschaftscholestase – Gallestau, der in der Schwangerschaft auftritt
- Sepsis ("Blutvergiftung")
- Stauungsleber
- Störungen in der Erythropoese (Blutbildung)
- Strikturen (Verengungen) der Gallengänge
- Tuberkulose (Schwindsucht)
- Tumoren im Bereich der Gallengänge
Medikamente
- Isoniazid (Antibiotikum aus der Gruppe der Tuberkulostatika/Arzneimittel zusammengefasst, die in der Therapie der Tuberkulose verwendet werden)
- Hormone
- anabole Steroide (synthetische Abkömmlinge des männlichen Sexualhormons Testosteron)
- Sexualhormone
- Methyldopa (Antihypertonikum/Arzneimittel, die in der Therapie des Bluthochdrucks verwendet werden)
- Paracetamol-Überdosierung (Analgetikum; Schmerzmittel)
- Phenothiazine (Antipsychotika/Neuroleptika) – Medikamente wie Chlorpromazin, die unter anderem bei psychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie eingesetzt werden
- Quinacrin – ehemaliges Malaria-Medikament
- Thyreostatika – Medikamente wie Thiamazol, die bei zum Beispiel bei Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) eingesetzt werden
Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Phenolexposition
- Pilzvergiftung
Weitere differentialdiagnostischen Überlegungen
- Parenterale Ernährung – über die Vene – mit Fettüberladung
Pseudoikterus
- Exzessiver Genuss von Gemüse wie Möhren, Blattgemüse, Zucchini
- Exzessiver Genuss von Obst wie Orangen oder Pfirsichen
- Zustand nach Fluoreszenzangiographie