Urinsediment
Die mikroskopische Untersuchung des Urinsediments (Harnsediment; verkürzt: Sediment) ist eine etablierte, kostengünstige und diagnostisch vielseitige Methode zur Beurteilung des unteren Harntrakts (Harnwege), der Nierenfunktion und entzündlicher oder glomerulärer Prozesse (Nierenerkrankungen mit Beteiligung der Nierenkörperchen). Sie ergänzt die chemische Urinuntersuchung (Teststreifen) und erlaubt die Differenzierung von Hämaturieursachen (Blut im Urin), die Beurteilung der Leukozyturie (weiße Blutkörperchen im Urin) und den Nachweis zellulärer Bestandteile sowie zylindrischer Strukturen (Zylinderformen aus Eiweiß und Zellen).
Das Verfahren
- Methode
Die Untersuchung wird als Sediment-Gesichtsfeld-Methode durchgeführt:- 10 ml frischer Urin (nicht älter als zwei Stunden) werden zentrifugiert (geschleudert, um feste Bestandteile abzuscheiden).
- Der Bodensatz (Sediment) wird mikroskopisch bei 400-facher Vergrößerung in Hellfeldtechnik (Lichtmikroskopie) beurteilt.
- Ungefärbte Zellen und Strukturen werden ausgezählt und hinsichtlich ihrer Form beurteilt.
- Voraussetzungen
- Frischer Mittelstrahlurin (Urin aus der Mitte des Harnstrahls) ohne Konservierungsstoffe
- Keine Störungen durch Blutauflösung (Hämolyse), Verunreinigungen oder Kontrastmittel
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Harnwegsinfektionen (z. B. Blasenentzündung oder Nierenbeckenentzündung)
- Einschließlich akuter Zystitis (Blasenentzündung) und Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung)
- Mikrohämaturie (nicht sichtbares Blut im Urin)
- Abklärung einer Leukozyturie (weiße Blutkörperchen im Urin)
- Verdacht auf glomeruläre oder tubuläre Nierenschädigung (Schädigung der Nierenfilter oder -kanälchen)
- Unterscheidung zwischen renaler (von der Niere ausgehend) und postrenaler (nachgeschaltete Harnwege) Ursache der Hämaturie
- Nachweis spezieller Zylinderformen bei Verdacht auf Nierenbeckenentzündung (Pyelonephritis), interstitielle Nephritis oder Glomerulonephritis (Entzündung der Nierenkörperchen)
- Zusatzdiagnostik bei Eiweiß im Urin (Proteinurie), eingeschränkter Nierenfunktion (Niereninsuffizienz) oder systemischen Erkrankungen mit Nierenbeteiligung (z. B. Lupus)
Normalbefund
- Erythrozyten (rote Blutkörperchen): < 0–5/ml (0–1 pro Gesichtsfeld); max. 1.500/Min (das bedeutet: bis zu 1.500 rote Blutkörperchen dürfen pro Minute mit dem Urin ausgeschieden werden, ohne dass dies krankhaft ist)
- Leukozyten (weiße Blutkörperchen): < 0–3/ml (< 5 pro Gesichtsfeld); max. 3.000/Min (entspricht der normalen Ausscheidung weißer Blutkörperchen pro Minute)
- Zylinder (Eiweißformen aus den Nierenkanälchen): vereinzelt hyaline Zylinder
- Bakterien (Keime): keine
- Epithelien (Zellen aus der Harnwegsschleimhaut): nur wenige, runde oder vieleckige Zellen
Interpretation pathologischer Befunde
- Erythrozyten (rote Blutkörperchen)
- Nicht sichtbares Blut im Urin kann durch Entzündungen, Steine, Tumoren oder Nierenerkrankungen verursacht sein.
- Erythrozytenzylinder (rote Blutkörperchen in Zylinderform) weisen auf eine Blutungsquelle in der Niere hin (z. B. bei Glomerulonephritis).
- Leukozyten (weiße Blutkörperchen)
- Zeichen einer Entzündung oder Infektion
- Alleiniger Nachweis ohne Keime spricht gegen eine Harnwegsinfektion
- Leukozytenzylinder deuten auf eine Nierenbeckenentzündung oder interstitielle Nephritis hin
- Zylinder
- Hyaline Zylinder (durchsichtig, eiweißhaltig): unspezifisch, auch bei Flüssigkeitsmangel möglich
- Erythrozytenzylinder (rote Blutkörperchen in Zylinderform): typisch für Glomerulonephritis
- Leukozytenzylinder (weiße Blutkörperchen in Zylinderform): bei Pyelonephritis und interstitieller Nephritis
- Granulierte oder epitheliale Zylinder: Hinweis auf akutes Nierenversagen oder schwere Entzündung
- Hämoglobinzylinder (rote Blutfarbstoff-Zylinder): deuten ebenfalls auf eine Erkrankung der Nierenkörperchen hin
- Epithelien (Zellen aus den Nierenkanälchen)
- Bei vermehrtem Auftreten Hinweis auf eine Schädigung der Niere
- Bakterien (Keime)
- Form und Anordnung liefern Hinweise auf den Typ des Erregers
- Der Nachweis im Sediment ist nicht beweisend für eine Infektion – es muss zusätzlich eine Urinkultur gemacht werden
- Kristalle (Salzkristalle)
- Meist harmlos, selten Hinweis auf Stoffwechselstörungen (z. B. Cystinurie)
- Parasiten und seltene Erreger
- Trichomonaden, Schistosomen (Bilharziose), Spirochäten (Schraubenbakterien), Mykobakterien (Tuberkulose) können im Urin sichtbar werden
Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die wichtigsten Zylindertypen und deren Bedeutung:
Vergleich der Zylindertypen im Urinsediment
Zylindertyp | Mikroskopisches Aussehen | Bedeutung / Vorkommen |
---|---|---|
Hyaliner Zylinder (Eiweißzylinder) | Klar, durchsichtig, homogen | Normalbefund möglich; bei Flüssigkeitsmangel oder nach körperlicher Belastung |
Granulierter Zylinder (körniger Eiweißzylinder) | Feinkörnig oder grobkörnig, matt | Hinweis auf Nierenschädigung wie akutes Nierenversagen oder Entzündung der Nierenkanälchen |
Erythrozytenzylinder (rote Blutkörperchen in Zylinderform) | Gelb-bräunlich, enthält rote Blutkörperchen (Erythrozyten) | Typisch bei Glomerulonephritis (Entzündung der Nierenkörperchen) oder Blutung aus der Niere |
Hämoglobinzylinder (roter Blutfarbstoff in Zylinderform) | Braunschwarz, kein Zellkern sichtbar | Bei starker Zerstörung roter Blutkörperchen (z. B. hämolytische Erkrankungen) |
Leukozytenzylinder (weiße Blutkörperchen in Zylinderform) | Enthält viele Leukozyten (weiße Blutkörperchen) | Hinweis auf Nierenbeckenentzündung (Pyelonephritis) oder interstitielle Nephritis |
Epithelzylinder (Nierenzellen in Zylinderform) | Zellkerne rundlich, in den Zylinder eingebettet | Bei akuter Schädigung der Nierentubuli (z. B. durch Gifte, Medikamente, Entzündungen) |
Wachszylinder (stark abgelagerte Eiweißzylinder) | Breit, stumpf begrenzt, stark lichtbrechend | Zeichen einer fortgeschrittenen chronischen Nierenerkrankung |
Fetttropfenzylinder (Fetttröpfchen in Eiweißzylinder) | Enthält Fetttröpfchen, im polarisierten Licht Malteserkreuz sichtbar | Typisch beim nephrotischen Syndrom (hoher Eiweißverlust über die Niere) |
Klinische Besonderheiten
- Eine isolierte Hämaturie (nur Blut im Urin ohne weitere Auffälligkeiten) muss durch einen Nierenspezialisten (Nephrologen) abgeklärt werden.
- Das gleichzeitige Auftreten von Blut im Urin und Erythrozytenzylindern weist sicher auf eine Erkrankung der Nierenkörperchen hin.
- Das gleichzeitige Auftreten von weißen Blutkörperchen im Urin und Leukozytenzylindern ist typisch für eine Nierenbeckenentzündung.
- Schon kleine Mengen Blut im Urin können ihn sichtbar verfärben (Makrohämaturie).
Abgrenzung zur Harnwegsinfektion
- Eine Harnwegsinfektion (z. B. Blasenentzündung) liegt nur dann sicher vor, wenn:
- Bakterien in hoher Zahl in der Urinkultur nachgewiesen werden
- weiße Blutkörperchen im Urin gefunden werden
- gleichzeitig Beschwerden auftreten (z. B. Brennen beim Wasserlassen)