Antibiogramm – Methodik, Interpretation und klinische Relevanz
Das Antibiogramm ist ein zentrales diagnostisches Instrument in der klinischen Mikrobiologie (Lehre von krankheitsverursachenden Mikroorganismen) zur Bestimmung der Empfindlichkeit bakterieller Erreger gegenüber Antiinfektiva (Medikamente gegen Infektionserreger). Es liefert entscheidungsrelevante Daten für die gezielte antiinfektive Therapie (Behandlung von Infektionen mit Medikamenten) und dient darüber hinaus als Grundlage für epidemiologische Surveillance (Überwachung von Krankheitsverbreitung) sowie für Resistenzstatistiken auf lokaler und überregionaler Ebene.
Im medizinischen Sprachgebrauch wird „Resistenzbestimmung“ als übergeordnete Bezeichnung für die Durchführung dieser Testverfahren verwendet, während „Antibiogramm“ konkret das Ergebnis dieser Untersuchungen bezeichnet. Der historisch ebenfalls verwendete Begriff „Resistogramm“ findet sich heute nur noch selten in der Fachliteratur und wurde weitgehend durch den Begriff „Antibiogramm“ ersetzt. Die klinische Relevanz ergibt sich aus der zunehmenden Prävalenz (Häufigkeit) multiresistenter Erreger (gegen mehrere Antibiotika unempfindliche Bakterien) und der Notwendigkeit zur rationalen Antibiotikatherapie (sinnvoller Einsatz von Antibiotika) im Rahmen von Antibiotic-Stewardship-Programmen (Maßnahmen zur Optimierung des Antibiotikaeinsatzes).
Grundlagen der Resistenzbestimmung
Ziel der Resistenzbestimmung ist die standardisierte Beurteilung der Wirksamkeit von Antibiotika gegen isolierte bakterielle Erreger. Die Differenzierung zwischen bakteriostatischer (wachstumshemmender) und bakterizider (abtötender) Wirkung ist therapeutisch relevant, insbesondere bei schweren Infektionen mit eingeschränkter Immunabwehr (z. B. bei Krebserkrankungen).
Zentrale Konzepte:
- Wildtyp-Erreger (natürlich empfindliche Bakterien ohne Resistenzen) – keine erworbenen oder mutierten Resistenzmechanismen
- Mutantenselektion (Auswahl von widerstandsfähigen Bakterien unter Medikamentenwirkung) – Selektion resistenter Subpopulationen unter Antibiotikawirkung
- Resistenzmechanismen (biologische Schutzmechanismen der Bakterien) – enzymatische Inaktivierung (z. B. Beta-Laktamasen), Zielstrukturmodifikation (z. B. PBP-Alterationen), Effluxmechanismen und Porinverlust
Methoden der Antibiotikaempfindlichkeitsprüfung
Die Resistenztestung erfolgt über genotypische (erbgutbasierte) und vor allem phänotypische (äußerlich beobachtbare) Methoden, die gemäß EUCAST oder CLSI standardisiert durchgeführt werden.
- Agar-Diffusionstest (Kirby-Bauer-Methode)
– Bestimmung der Hemmhofdurchmesser (Bereich ohne Bakterienwachstum) rund um antibiotikahaltige Scheiben
– Kostengünstig, visuell auswertbar, geeignet für viele Routinefragestellungen - Mikrodilution (Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration, MIC)
– Quantitatives Verfahren zur Ermittlung der niedrigsten Konzentration eines Antibiotikums, das das Bakterienwachstum hemmt
– Goldstandard für viele klinische Fragestellungen - E-Test (Gradiententest)
– Kombination aus Diffusion und Verdünnung auf einem Teststreifen mit Konzentrationsgradient
– Besonders geeignet bei spezifischen klinischen Fragestellungen oder für Erreger mit intermediären (bedingt empfindlichen) Resistenzprofilen - Automatisierte Systeme (z. B. VITEK, BD Phoenix, MicroScan WalkAway)
– Hoher Probendurchsatz, standardisierte Auswertung, Integration in Labormanagementsysteme
– Eingeschränkte Aussagekraft bei seltenen Erregern oder Spezialsubstanzen - Genotypische Verfahren (z. B. PCR, Whole Genome Sequencing)
– Nachweis spezifischer Resistenzgene (Erbmerkmale für Antibiotikaresistenz)
– Keine Aussage über tatsächliche Wirkung – daher nur ergänzend verwendbar
Internationale Standards zur Bewertung
Die Interpretation erfolgt auf Basis vordefinierter Breakpoints (Grenzwerte), die von EUCAST (Europe) und CLSI (USA) publiziert werden. Diese unterscheiden sich teils erheblich in Methodik und Grenzwerten.
- EUCAST
– In Europa verbreitet, Verwendung von klinisch relevanten Grenzwerten basierend auf PK/PD (Verhältnis von Wirkstoffkonzentration und Wirksamkeit), klinischer Erfahrung und Resistenzdaten
– Einführung der Kategorie „I“ (sensibel bei erhöhter Exposition) mit klaren Dosierungsempfehlungen - CLSI
– In den USA etabliert, andere Testbedingungen und Bewertungsgrenzen als EUCAST - ECOFFs (epidemiologische Cut-off-Werte)
– Trennung von Bakterien mit und ohne erworbene Resistenz – unabhängig von klinischer Wirksamkeit
– Nützlich zur Überwachung von Resistenzentwicklungen
Interpretation des Antibiogramms im klinischen Kontext
Die drei standardisierten Kategorien sind:
- S – sensibel (empfindlich): Hohe Wahrscheinlichkeit klinischer Wirksamkeit bei Standarddosierung
- I – sensibel bei erhöhter Exposition (nur bei hoher Dosis wirksam): Wirksamkeit bei angepasster Dosierung oder längerer Anwendung
- R – resistent (unempfindlich): Keine ausreichende Wirkung bei zugelassener Dosierung
Einflussfaktoren:
- Pharmakokinetik/-dynamik (PK/PD) – Zusammenhang zwischen Antibiotikaspiegel im Körper und Wirkung
- Infektionslokalisation – Erreichbarkeit der betroffenen Körperstelle durch das Medikament (z. B. Gehirn, Harnwege, Biofilm an Implantaten)
- Inokulum-Effekt – viele Bakterien machen eine Therapie oft schwieriger
- Erregerkombinationen – mehrere Erreger können sich in ihrer Wirkung beeinflussen
Grenzen und Fallstricke
- In-vitro ≠ In-vivo – gute Labordaten garantieren nicht automatisch klinischen Erfolg
- Heteroresistenz – unterschiedliche Resistenz innerhalb einer Bakterienkultur
- Induzierbare Resistenz – bei manchen Bakterien tritt die Resistenz erst unter Therapie auf
- Fehlerquellen – z. B. zu geringe Bakterienmenge, falsche Lagerung oder Messfehler
Antibiogramm und Antibiotic Stewardship
Das Antibiogramm ist ein zentrales Werkzeug im Rahmen des Antibiotic Stewardship (kontrollierter Einsatz von Antibiotika zur Vermeidung von Resistenzen):
- Initialtherapie – Einsatz lokaler Resistenzdaten zur Auswahl der ersten Behandlung
- Deeskalation – Anpassung der Therapie nach Vorliegen der Ergebnisse
- Cumulative Antibiogram – jährliche Zusammenfassung aller Laborergebnisse für Krankenhäuser
- Entscheidungshilfen – Einsatz in klinischen Algorithmen zur Therapieplanung
Fazit
Das Antibiogramm ist eine unverzichtbare Entscheidungshilfe bei bakteriellen Infektionen. Es hilft, die bestmögliche Therapie zu wählen, Nebenwirkungen zu vermeiden und Resistenzen zu verhindern. Voraussetzung ist jedoch die fachkundige Interpretation der Ergebnisse im klinischen Zusammenhang.
Literatur
- The European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing (EUCAST). Clinical breakpoints. 2025 Verfügbar unter: https://www.eucast.org/clinical_breakpoints
- Clinical and Laboratory Standards Institute (CLSI). M100: Performance Standards for Antimicrobial Susceptibility Testing. https://clsi.org/standards/products/microbiology/documents/m100/
- Tacconelli E et al.: Discovery, research, and development of new antibiotics: the WHO priority list. Lancet Infect Dis. 2018;18(3):318–327. https://doi.org/10.1016/S1473-3099(17)30753-3