Interferon-Gamma-Release-Assays (IGRA)
Der Interferon-Gamma-Release-Assay (IGRA; Interferon-Gamma-Freisetzungstest; Synonym: γ-Interferon-Test) ist ein immunologisches Verfahren zum Nachweis einer Infektion mit Mycobacterium tuberculosis. Er misst die in vitro-Freisetzung von Interferon-Gamma (IFN-γ) durch T-Zellen nach spezifischer Stimulation mit TB-Antigenen. Als modernes Alternativverfahren zum klassischen Tuberkulin-Hauttest hat sich IGRA insbesondere bei Jugendlichen ab 15 Jahren und Erwachsenen etabliert – etwa im Rahmen von Screenings vor immunsuppressiver Therapie mit TNF-α-Inhibitoren bei rheumatologischen Erkrankungen.
Grundlagen des Tests
- Prinzip: Nach ex vivo-Kontakt von Blutlymphozyten mit spezifischen Antigenen (z. B. ESAT-6, CFP-10) sezernieren sensibilisierte T-Zellen IFN-γ. Diese Freisetzung wird quantitativ mittels ELISA (z. B. QuantiFERON®) oder zellulär via ELISPOT (z. B. T-SPOT.TB®) erfasst.
- Untersuchte Probenart: Heparinisiertes Vollblut
- Wichtig: Der IGRA ist nicht geeignet zum Nachweis einer aktiven Tuberkulose, kann aber Hinweise auf latente Infektionen liefern und in Screening-Algorithmen für aktive TB integriert werden.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Latente Tuberkulose-Infektion (TBI) bei Risikogruppen (z. B. Migranten, immunsupprimierte Patienten)
- Screening vor immunsuppressiver Therapie (z. B. TNF-α-Blockade)
- Diagnostik bei Kontaktpersonen von TB-Fällen
- Ergänzender Test im Rahmen der TB-Differenzialdiagnostik (z. B. extrapulmonale TB/außerhalb der Lungen)
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Kinder < 2 Jahren (Evidenz begrenzt)
- Akute Infektionen mit systemischer Immunaktivierung
- Immunsuppressive Zustände mit ausgeprägter T-Zell-Depletion (z. B. bei manifester HIV-Erkrankung) – potenziell falsch-negative Ergebnisse
Bewertung der Testergebnisse
- Positiv: Hinweis auf stattgehabten Kontakt mit M. tuberculosis; Differenzierung zwischen aktiver und latenter Infektion nicht möglich
- Negativ: Kein immunologischer Nachweis einer TB-Infektion; falsch-negative Ergebnisse möglich bei Immunsuppression oder Frühinfektion
- Indeterminiert: Unzureichende IFN-γ-Produktion oder unspezifische Aktivierung; häufig bei schwer erkrankten oder immunsupprimierten Patienten
Vorteile gegenüber dem Tuberkulin-Hauttest
- Keine Kreuzreaktion mit BCG-Impfstoff
- Spezifischere Antigene → höhere Spezifität
- Nur ein Patientenkontakt erforderlich (kein "Ablesen" nach 48-72 h)
- Kein subjektives Ablesen des Hautreaktionsdurchmessers
Limitationen
- Erkennung der aktiven Tuberkulose allein nicht möglich
- Geringere Sensitivität bei schwer immunsupprimierten Patienten
- Testkosten und Laborkapazitäten als logistischer Faktor bei breitem Einsatz
Aktuelle Studienlage
Eine systematische Übersichtsarbeit aus 2025 (Zenner et al., University College London) analysierte 437 Originalstudien zu 13 TB-Diagnostika. Die höchsten diagnostischen Odds-Ratio und positiv prädiktiven Werte wurden für IGRA-haltige Algorithmen in Kombination mit Thoraxröntgen und molekulardiagnostischem Nachweis erzielt:
- IGRA (z. B. QuantiFERON®) + Thoraxröntgen: diagnostische Odds-Ratio von 24.670
- T-SPOT.TB + Thoraxbildgebung + PCR (Xpert/Ultra): ebenfalls hohe Sensitivität und Spezifität
Diese Ergebnisse legen nahe, dass IGRA auch in erweiterten diagnostischen Algorithmen zur aktiven TB-Erkennung eingesetzt werden kann, insbesondere bei schwer zugänglichen TB-Formen wie extrapulmonaler TB oder pädiatrischer Tuberkulose.
Interpretation im klinischen Kontext
Die alleinige IGRA-Testung ist nicht diagnostisch für eine aktive TB. In Zusammenschau mit klinischer Symptomatik, Bildgebung und direktem Erregernachweis kann IGRA jedoch zur diagnostischen Präzisierung beitragen – insbesondere in Hochrisikogruppen.
Sensitivität und Spezifität
- Sensitivität (latente TB): ca. 80-90 %
- Spezifität (latente TB): > 95 %
- Kein Einfluss durch vorangegangene BCG-Impfung
Weiterführende Diagnostik bei positivem IGRA
- Thoraxröntgen bzw. -Computertomographie
- Mikroskopie, PCR (Xpert/Ultra), Kultur aus Sputum/Bronchiallavage
- ggf. molekulare Resistenzbestimmung
Literatur
- Zenner D, Haghparast-Bidgoli H, Chaudhry T et al.: How to diagnose TB in migrants? A systematic review of reviews and decision tree analytical modelling exercise to evaluate properties for single and combined TB screening tests. Eur Respir J 2024; 64(suppl 68): OA1979. doi: https://doi.org/10.1183/13993003.congress-2024.OA1979
- World Health Organization (WHO). End TB Strategy. WHO 2024. Online abrufbar unter: https://www.who.int/teams/global-tuberculosis-programme/the-end-tb-strategy