Mikroblutuntersuchung (MBU)

Unter der Mikroblutuntersuchung (MBU) (Synonyme: Fetalblutanalyse (FBA), fetale Skalpblutanalyse (FSBA)) versteht man die Blutgasanalyse des Fetus unter der Geburt. Sie ist als zusätzliche Untersuchungsmethode Goldstandard, um bei unklaren CTG (Herzton-Wehenschreiber)-Aufzeichnungen oder einem protrahierten (verzögerten) Geburtsverlauf mittels der Analyse des Säure-Basen-Status eine kindliche Zustandsdiagnostik durchzuführen.

Durch diese Zusatzuntersuchung lassen sich unnötige operative Eingriffe (Sectio caesarea/Kaiserschnitt, Vakuum- oder Zangengeburten) verhindern.

Voraussetzungen

  • Gesprungene Fruchtblase
  • Teileröffnung des Muttermundes (2-3 cm)
  • Erreichbarkeit des kindlichen Kopfes bzw. Steißes

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Persistierende (fortbestehende) unklare oder pathologische (krankhafte) CTG-Befunde, z. B. unklare Bradykardien (Herzfrequenz < 100/Minute), persistierende mittelschwere und schwere variable Dezelerationen (wehenabhängiges Absinken der Herzfrequenz des Kindes) → leichte, mittelschwere und schwere späte Dezelerationen, andauernde Tachykardie (Herzfrequenz > 160/Minute), längerfristige Abnahme der Oszillationsfrequenz, der Oszillationsamplitude, anhaltende saltatorische Oszillationen ohne lebhafte fetale Bewegungsaktivität, sinusoidale fetale Herzfrequenzmuster
  • Protrahierter (verzögerter) Geburtsverlauf bei unklarem CTG-Muster
  • Grünes Fruchtwasser
  • Verdacht auf Anämie (Blutarmut; Hämoglobin < 10 g/dl oder 6 mmol/l) oder Thrombozytopenie (< 100.000/μl/verminderte Anzahl von Blutplättchen) des Kindes (Hb-Bestimmung, Thrombozytenzählung)

Kontraindikationen (Gegenanzeigen) 

  • Virusinfektionen der Mutter (HIV, Hepatitis, Herpes simplex)
  • Amnioninfektionssyndrom (AIS; Infektion der Eihöhle, Plazenta (Mutterkuchen), Eihäute und eventuell des ungeborenen Kindes während der Schwangerschaft oder Geburt mit Gefahr der Sepsis (Blutvergiftung) für das Kind)
  • Verdacht auf fetale Gerinnungsstörungen
  • Schwangerschaftsalter < 34 + 0 Schwangerschaftswoche (SSW)

Das Verfahren

  • Steinschnittlage der Schwangeren
  • Desinfektion des Introitus vaginae (Scheideneingang)
  • Einstellung des Muttermundes bzw. des vorangehenden Teiles mit einem größtmöglichen Spiegel bzw. Amnioskop (Endoskop, das der Fruchtwasserspiegelung dient)
  • Entfernen von Blut, Schleim und Vernix (auch: Fruchtschmiere bzw. Käseschmiere) aus dem Bereich des vorangehenden Teiles mittels eines sterilen Tupfers.
  • Benetzen der Entnahmestelle mit sterilem Paraffinöl (Veränderung der Oberflächenspannung, die die Tropfenbildung des austretenden Blutes fördert) oder Chloräthyl (Hyperämisierung (Steigerung der Durchblutung) der Kopfhaut).
  • Stichinzision (chirurgische Eröffnung mittels eines kleinen Schnitts, 2-3 mm) in die Kopfhaut
  • Entnahme des austretenden Blutes mithilfe einer Saugpipette oder einer heparinisierten Glaskapillare
  • Kompression der Punktionsstelle mit einem sterilen Stiltupfer

Störfaktoren

  • Falsch positive Werte: pH-Wert der Kopfhaut ↓ als der arterielle Blut-pH-Wert
    • durch ungenügende Hyperämisierung des Gewebes, z. B. Entnahme aus einer größeren Kopfgeschwulst mit Stauungsödem
    • Verunreinigung der Probe mit Fruchtwasser (pH 8,0)
    • Zusatz großer Heparinmengen
  • Falsch negative Werte (sehr selten): bei langem und großflächigem Kontakt des Blutes mit Luft: pCO2 ↓, pO2 ↑: Hinweis für ein Artefakt: pCO2 < 30 mmHg, pO2 > 30 mmHg

Interpretation

Wichtigster Wert ist der pH-Wert, der sich besser zur Beurteilung der Hypoxiegefährdung (mögliche Unterversorgung mit Sauerstoff) eignet als die pO2- oder pCO2-Werte, die stärkeren Kurzzeitvariationen unterliegen. Anhand des Basenüberschusses (Base Excess) kann zwischen respiratorischen (atmungsbedingten) und metabolischen (stoffwechselbedingten) Störungen oder einer Kompensation unterschieden werden. Die Tabelle ergibt die respiratorischen und metabolischen Veränderungen des Säurebasenhaushaltes einer Fetalblutanalyse an.

Säure-Basen-Störung pH-Wert pCO2 pO2 Bicarbonat
Base Excess
Metabolische Azidose ± ↑/↓
Respiratorische Azidose ± primär ±
Gemischte Azidose

Normwerte: pH ≥ 7,25, pCO2 ≤ 50 mmHg, pO2 ≥ 20 mmHg, Bicarbonat ≥ 20 mmol/l, Base-Excess < -6 mmol/l

Ein pH-Wert-Abfall im Blut des Kindes bzw. im Nabelschnurblut kann zweierlei Gründe haben:

  • metabolisch: durch Hypoxie (Sauerstoffunterversorgung) im intrazellulären Raum infolge einer anaeroben Glykolyse (metabolische Azidose)
  • respiratorisch: durch Anhäufung von CO2 im Blut bei gestörter Blutzirkulation, z. B. Nabelschnurkomplikationen

Nach Saling wird die Azidose-Gefährdung in Abhängigkeit vom pH-Wert in verschiedene Stadien eingeteilt:

pH-Wert Stoffwechsellage
≥ 7,30 normaler Zustand
7,29-7,25 reduzierter Zustand
7,24-7,20 Präazidose
7,19-7,15 leichte Azidose
7,14-7,10 mittelgradige Azidose
7,09-7,0 fortgeschrittene Azidose
< 7,0 schwere Azidose

Zur Entscheidungsfindung operative Entbindung oder Abwarten haben sich folgende pH-Werte bewährt:

  • pH-Wert 7,25 in der Eröffnungsperiode
  • pH-Wert 7,20 in der Austreibungsperiode (gelegentlich auch pH-Wert ≤ 7,15)

Wichtig ist, dass ein einzelner Wert nicht unbedingt prognostisch aussagekräftig ist, sondern nur einen Anhaltspunkt für eine mögliche Gefahrensituation gibt. Deshalb ist in vielen Fällen der Verlauf für die Entscheidung des Procederes entscheidend: operative Geburtsbeendigung oder Abwarten.

Entscheidungskriterium des Procederes der Mikroblutuntersuchung (MBU):

Die gemessenen Werte der Blutgasanalyse, insbesondere des pH-Wertes und des Base excess', müssen in Verbindung mit dem CTG (Herzton-Wehenschreiber) und dem Geburtsfortschritt interpretiert werden.

pH-Wert Base Excess Interpretation und Empfehlung
 ≥ 7,25   MBU sollte bei persistierend fetalen Herzfrequenz-Abnormalitäten nach etwa 30 Minuten wiederholt werden.
 7,21-7,24   MBU sollte innerhalb von 30 Minuten wiederholt werden. Bei einem raschen pH-Abfall seit der letzten Messung sollte die Entbindung erwogen werden.
 ≤ 7,0 > -9,8 Metabolische Azidose: es sollte eine baldige Entbindung erfolgen.

Beurteilung der MBU für den Geburtsverlauf

Die MBU ist ein wichtiger Bestandteil der Geburtshilfe, weil sie:

  • ein wichtiges differentialdiagnostisches Mittel zum Prozedere bei fraglicher Pathologie (z. B. CTG-Veränderungen, grünes Fruchtwasser) ist
  • die Zahl der operativen Entbindungen insbesondere die Sectio-Rate signifikant senken kann und damit die mütterliche Morbidität (Krankheitshäufigkeit)
  • die perinatale Morbidität und Mortalität (Sterberate) signifikant senken kann durch die operative Geburtsbeendigung im Falle einer schweren Azidose

Ängste vonseiten der Mutter wegen der Invasivität des Eingriffes beim Kind können im Allgemeinen mit Hinweisen auf die Sicherheit für das Kind und die Reduktion unnötiger Operationen entkräftet werden.

Mögliche Komplikationen

  • Mutter: sehr selten und nicht belastend (Verletzungen)
  • Kind: selten (etwa 1 %)
    • Blutung (0,5 %)
    • Hämatombildung (Blutergussbildung; Rückbildung innerhalb weniger Tage)
    • Infektion der Einstichstelle

Literatur

  1. S3-Leitlinie: Anwendung des CTG während Schwangerschaft und Geburt. (AWMF-Registernummer: 015-036), August 2013  Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V
  2. Gnirs J: Geburtsüberwachung. In: Schneider H, Husslein P, Schneider KTM, Hrsg: Die Geburtshilfe 2. Auflage, Springer 2004, S. 604 ff

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Anwendung des CTG während Schwangerschaft und Geburt. (AWMF-Registernummer: 015-036), August 2013 Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.