Urinkultur
Die mikrobiologische Diagnostik von Harnwegsinfektionen (HWI; Blasen oder Nierenentzündungen) erfolgt standardisiert über die Urinkultur mit anschließender Resistenzbestimmung (Resistogramm). Dabei wird eine quantifizierende Bakterienanzucht auf einem geeigneten Nährboden durchgeführt, um signifikante Erregernachweise und deren Antibiotikaempfindlichkeit zu bestimmen. Die Urinkultur ist insbesondere bei Verdacht auf komplizierte Harnwegsinfekte bei Kindern, Männern und im Rahmen eines Rezidivmonitorings (Überwachung wiederholter Infektionen) essenziell.
Das Verfahren
- Benötigtes Material
- Mittelstrahlurin
- Katheterurin
- Urethral- oder Zervixabstrich (Abstrich aus Harnröhre oder Gebärmutterhals; z. B. bei Verdacht auf Chlamydien oder Mykoplasmen)
- Bei Neugeborenen und Säuglingen: Katheterurin oder Urin aus suprapubischer Punktion
- Vorbereitung des Patienten
- Hygienisch einwandfreie Gewinnung des Urins
- Zügiger Transport und Bearbeitung der Probe
- Störfaktoren
- Keine spezifischen bekannt; zeitverzögerte Bearbeitung kann zu falsch-negativen Ergebnissen führen
- Normwerte
- Kein signifikanter Keimnachweis (< 10²-10³ KBE/ml, abhängig von der Probenart und klinischen Symptomatik)
Indikationen
- Verdacht auf Harnwegsinfektion (auch asymptomatisch)
- Komplizierte HWIs
- Harnwegsinfektionen bei:
- Männern
- Kindern unter 12 Jahren
- Funktionellen/anatomischen Uropathien
- Niereninsuffizienz (Nierenschwäche)
- Rezidiven (≥ 2 innerhalb 6 Monaten bzw. ≥ 3 im Jahr)
- Pyelonephritis
- Z. n. urologischen Eingriffen
- Schwangerschaft
- Höherem Lebensalter
- Therapiekontrolle (außer bei unkomplizierter Zystitis/Blasenentzündung)
- Ausbleibende Therapieansprache unter Antibiotikum
Nachweisverfahren
Von einer signifikanten Bakteriurie spricht man ab einer Keimzahl von > 10⁵ koloniebildenden Einheiten (KBE)/ml. Der Nachweis erfolgt mittels Urinkultur. Bei positivem Erregernachweis wird stets ein Resistogramm (Antibiogramm) zur gezielten Antibiotikatherapie angeschlossen.
Kriterien zur mikrobiologischen Diagnose
- Harnwegsinfektion
- ≥ 10⁵ KBE/ml aus korrekt gewonnenem Mittelstrahlurin
- 10³-10⁴ KBE/ml bei klinischer Symptomatik und Nachweis typischer uropathogener Erreger (Bakterien, die Harnwegsinfekte verursachen) in Reinkultur
- ≥ 10² KBE/ml bei suprapubischer Harnblasenpunktion (direkte Blasenpunktion zur Uringewinnung; mind. 10 identische Kolonien)
- Asymptomatische Bakteriurie (ABU)
- ≥ 10⁵ KBE/ml desselben Erregers in zwei konsekutiven Proben ohne klinische Symptome
- Bei Kindern
- Kombination aus Leukozyturie (weiße Blutkörperchen im Urin) und ≥ 10⁵ KBE/ml eines uropathogenen Erregers in Katheter- oder Punktionsurin erforderlich
- Bei schwangeren Frauen
- Ein generelles Screening auf ABU wird nicht empfohlen (Evidenzgrad Ib-B) [S3-Leitlinie]
- Vor urologischen Eingriffen
- Ein Screening und ggf. eine Therapie asymptomatischer Bakteriurien ist indiziert [1]
Typische Erreger in der Urinkultur
- Uropathogene Bakterien
- Escherichia coli (bis zu 80 % aller HWI)
- Staphylococcus saprophyticus
- Klebsiella pneumoniae
- Proteus mirabilis
- Enterokokken (häufig in Mischinfektionen)
- Enterobacter-Arten
- Pseudomonas aeruginosa
- Typische Hautkontaminanten (nicht pathognomonisch)
- Staphylococcus epidermidis (bis zu 90 %)
- Koagulase-negative Staphylokokken
- Staphylococcus aureus
- Corynebacterium spp.
- Propionibacterium acnes
- Normale Flora der vorderen Harnröhre
- Staphylococcus epidermidis
- Acinetobacter spp.
Interpretation
- Erhöhte Werte
- Hinweis auf Harnwegsinfektion bei entsprechender klinischer Symptomatik
- Erniedrigte Werte
- In der Regel nicht krankheitsrelevant
- Bei klinischer Symptomatik dennoch Verdacht auf atypische Erreger wie:
- Chlamydia trachomatis
- Mycoplasma hominis/Ureaplasma urealyticum
- Mycobacterium tuberculosis
Resistenzbestimmung (Resistogramm)
Bei positivem Nachweis bakterieller Erreger in der Urinkultur erfolgt stets eine Antibiotika-Resistenztestung (Resistogramm; Antibiogramm), um die gezielte antimikrobielle Therapie zu ermöglichen. Dabei wird das Wachstum des identifizierten Erregers unter Einwirkung standardisierter Konzentrationen verschiedener Antibiotika geprüft.
- Methode: In der Regel erfolgt die Resistenztestung mittels Agar-Diffusionstest (z. B. nach EUCAST) oder automatisierter Verfahren (z. B. VITEK, BD Phoenix).
- Bewertung: Die Ergebnisse werden gemäß EUCAST-Kriterien als sensibel (S), intermediär (I) oder resistent (R) eingestuft.
- Klinische Relevanz: Nur bei relevanten uropathogenen Erregern (z. B. E. coli, Klebsiella pneumoniae, Proteus mirabilis) und einer Keimzahl ≥ 10⁵ KBE/ml ist die Resistenztestung therapeutisch bedeutsam.
- Besondere Hinweise:
- Der alleinige Nachweis resistenter Hautkeime (z. B. Staphylococcus epidermidis) ist nicht gleichzusetzen mit einem Behandlungsbedarf.
- Bei multiresistenten Erregern (z. B. ESBL-bildenden Enterobacterales oder Pseudomonas aeruginosa) ist eine interdisziplinäre Abstimmung zur Therapie erforderlich.
Die Resistenztestung ist insbesondere bei komplizierten Harnwegsinfekten, nicht erfolgreicher empirischer Therapie oder bei Patienten mit relevanter Komorbidität (Begleiterkrankung) entscheidend für eine zielgerichtete Behandlung.
Literatur
- Hecker MT, Donskey CJ: Is antibiotic treatment indicated in a patient with a positive urine culture but no symptoms? Cleveland Clinic Journal of Medicine 2014; 81: 721-724
Leitlinien
- S1-Leitlinie: Gewinnung, Lagerung und Transport von Proben zur mikrobiologischen Infektionsdiagnostik. (AWMF-Registernummer: 029 - 018), Januar 2014. Langfassung
- S3-Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Management unkomplizierter bakterieller ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. (AWMF-Registernummer: 043-044), 30. April, 2017 Kurzfassung Langfassung