Liquorpunktion

Unter einer Liquorpunktion (LP) versteht man die Entnahme von Liquor cerebrospinalis (kurz Liquor genannt; Synonyme: Zerebrospinalflüssigkeit, engl  Cerebrospinal fluid (CSF); Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit, auch bezeichnet als "Nervenwasser", "Hirnwasser" oder "Gehirnwasser"). Die Punktion des Duralsacks erfolgt im Regelfall im Bereich der Lendenwirbel (= Lumbalpunktion). Sie erfolgt vor allem zur Diagnostik von Erkrankungen des zentralen Nervensystems; ggf. auch aus therapeutischen Gründen (z. B. zur Reduktion des Liquorvolumens bzw. des Liquordrucks; intrathekale Applikation von Medikamenten).

Der Liquor cerebrospinalis ist eine klare farblose Flüssigkeit, die nur wenige Zellen enthält und im Subarachnoidalraum das zentrale Nervensystem umspült. Die ca. 120-200 ml Liquor werden durch den Plexus choroideus (80 %), das zerebrale Parenchym und die Ependymzellen der Ventrikel und des Spinalkanals (Rückenmarkskanal) (20 %) gebildet und zirkulieren unter ständiger Produktion und Resorption im Liquorraum. Der Abfluss erfolgt über die Arachnoidalzotten. Täglich werden ca. 500 ml Liquor produziert.

Indikationen

Die Liquorpunktion wird durchgeführt bei bzw. bei Verdacht auf:

  • Entzündungen des zentralen Nervensystems (ZNS)
  • Infektiöse Erkrankungen des zentralen Nervensystems (bakterielle, virale, mykotische, parasitäre Infektionen) – z. B. Meningitis (Hirnhautentzündung), Enzephalitis (Gehirnentzündung)
  • Liquorzirkulationsstörungen
  • Autoimmunerkrankungen – z. B. Multiple Sklerose (MS)
  • Erkrankungen des Zentralnervensystems mit bzw. ohne Erkrankung des peripheren Nervensystems – z. B. Creutzfeld-Jakob-Erkrankung, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
  • Neoplasien des zentralen Nervensystems – z. B. solide Tumoren, Leukämien (Blutkrebs), Lymphome (Sammelbegriff für Lymphknotenvergrößerungen beziehungsweise Lymphknotenschwellungen und Tumoren des Lymphgewebes)
  • Neurodegenerative Erkrankungen – z. B. Morbus Alzheimer
  • CT-negative Subarachnoidalblutung (SAB)
  • Traumata
  • Unklare Bewusstseinsstörungen
  • Idiopathische intrakranielle Hypertension (IIH; Pseudotumor cerebri) → Liquordruckmessung
    Cave: Besteht der Verdacht auf einen erhöhten Hirndruck mit Einklemmungsgefahr bei lumbaler Druckentlastung, so muss dieser vor Durchführung der Liquorpunktion ausgeschlossen werden. Als Methode der Wahl gilt hierbei das craniale CT (alternativ MRT) [4].
    Der Nachweis eines fehlenden Papillenödems (Stauungspapille) durch Beurteilung des Augenhintergrundes vor Durchführung der Liquorpunktion ist von eingeschränkter Aussagekraft. Umgekehrt ergibt sich beispielsweise aus dem Nachweis eines Papillenödems beim Pseudotumor cerebri keine Kontraindikation für die Punktion [4].

Therapeutische Indikationen

  • Reduktion des Liquorvolumens bzw. des Liquordrucks – z. B. bei Pseudotumor cerebri (intrakranielle ("innerhalb des Schädels") Druckerhöhung, bei der kein Hydrocephalus (krankhafte Erweiterung der mit Liquor gefüllten Flüssigkeitsräume (Hirnventrikel) des Gehirns) und keine intrakranielle Raumforderung zugrunde liegt)
  • Applikation von Medikamenten

Kontraindikationen 

  • Absolute Kontraindikationen
    • Intrakranielle Druckerhöhung
    • Mittellinienverlagerung unter die Falx cerebri (im CT)
    • Axiale Druckerhöhung mit Verschwinden suprachiasmaler und zirkummesenzephaler Zisternen (im CT)
    • Thrombozytopenie: < 20.000/μL
    • Oberflächliche Entzündungen im Punktionsbereich
    • Tiefe Entzündungen der Unterhaut/Muskulatur im Punktionsbereich
  • Relative Kontraindikationen
    • Gerinnungsstörungen – Thrombozytopenie < 50.000/μL 
    • Antikoagulation – Marcumarisierte Patienten sind übergangsweise auf Heparin umzustellen, da dies rascher antagonisiert werden kann.
      Beachte: Eine Punktion unter Acetylsalicylsäure gilt als unbedenklich.

Vor der Liquorpunktion

  • Erhebung der Anamnese inkl. der Medikamentenanamnese; falls der Patient mit oralen Antikoagulantien und/oder doppelter Plättchenaggregationshemmung behandelt wird siehe bzgl. Empfehlungen in die aktuelle S1-Leitlinie „Diagnostische Liquorpunktion“.
  • Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) des Schädels zum Ausschluss eines erhöhten intrakraniellen Drucks (Hirndruck) vor der Punktion [Nachweis vorliegender indirekter Hirndruckzeichen]
    Beachte: Bei Verdacht auf eine bakterielle Meningitis, sollte die Lumbalpunktion bereits vor der Bildgebung durchgeführt werden, soweit keine klinischen Anzeichen für einen erhöhten Hirndurck (z. B. Übelkeit, Erbrechen oder Vigilanzstörung/Bewusstseinsstörung, bei der die Daueraufmerksamkeit (Vigilanz) beeinträchtigt ist) bestehen.
  • Ggf. auch augenärztliche Untersuchung (Stauungspapille?); nicht verlässlich im höheren Alter und bei akutem Hirndruck
  • Bestimmung der Thrombozytenanzahl (kleines Blutbild) und der Gerinnung.
  • Lagerung des Patienten:
    • Sitzende Position (= bevorzugte Lagerung)
      • Vorteile: Wirbelsäule ist in der Vertikalachse gerade
      • Nachteile: Liquordruckmessung nicht möglich
    • Seitenlagerung
      • Vorteile: bei allen Patienten (inkl. geschwächten Patienten, Schwangeren) möglich; Liquordruckmessung möglich
      • Nachteile: Rundrückenposition ("Katzenbuckel") ist teilweise schwieriger einzunehmen

Das Verfahren

Die Liquorpunktion kann im Patientenzimmer im Bett oder in der Ambulanz durchgeführt werden.

Übliche Maßnahmen zur Desinfektion und Hygiene sind einzuhalten.

Jede Punktion findet unter sterilen Bedingungen statt, das bedeutet die Desinfektion der Hände und Hautflächen, Abdecken der Umgebung mit einem sterilen Tuch, Verwendung steriler Handschuhe und steriler Einmal-Liquorpunktionsnadeln sowie das Anlegen eines Mundschutzes.

Beachte: Bei den Liquorpunktion sollten atraumatische Kanülen (z. B. Sprotte-Kanüle) Verwendung finden!

Tragen steriler Handschuhe durch den Punktierenden. Tragen von Schutzkleidung und Handschuhen durch die assistierende Person. 

Eine Gesichtsmaske sollte getragen werden bei [S1-Leitlinie]:

  • Vorliegen eines respiratorischen Infektes beim Punktierenden, dem Assistenzpersonal oder dem Patienten
  • Injektion von Flüssigkeiten in den Liquorraum, insbesondere bei immunkompromittierten Patienten
  • Liquorpunktion unter Ausbildungsbedingungen (begleitet von Erklärungen oder Anweisungen)
  • Durchführung weiterer diagnostischer Maßnahmen (z. B. Liquordruckmessung) mit erhöhtem Zeitaufwand

Für die Durchführung einer Liquorpunktion stehen mehrere Methoden der Liquorpunktion zur Verfügung. 

  • Lumbalpunktion (LP) – Die Lumbalpunktion stellt die häufigste Form der Liquorpunktion dar. Der Punktionsort befindet sich zwischen den Dornfortsätzen des 3. und 4. oder des 4. und 5. Lendenwirbelkörpers und wird mithilfe der Verbindungslinie zwischen den Beckenkämmen ermittelt. Die optimale Position des Patienten ist die Embryohaltung. Dazu wird eine sitzende Position mit maximaler Krümmung des Rückens (mit Unterstützung eines Helfers) eingenommen. 
    Die Verwendung eines Lokalanästhetikums ist möglich, aber nicht notwendig. 
    Zunächst erfolgt die Markierung des Punktionsortes mit anschließender Desinfektion. Die Spinalnadel wird nun in schräger Richtung nach kranial zum Bauchnabel gerichtet durch die Haut gestochen. Jetzt wird die Nadel bis zum Liquorraum unter Passage der Dura mater vorgeschoben. Zur Kontrolle der korrekten Lage der Spinalnadel wird aspiriert, sodass Liquortropfen austreten. Ist dies nicht der Fall, muss die Lage der Nadel korrigiert werden. Der Liquor wird in Röhrchen gesammelt und die Nadel wieder herausgezogen. Die Punktionsstelle wird zum Schluss mit einem sterilen Pflaster abgedeckt und einige Minuten komprimiert. 
  • Subokzipitale Punktion – Diese Punktion erfolgt medial am Unterrand des Okziputs. Da aber aufgrund der komplizierten anatomischen Verhältnisse das Risiko für Komplikationen sehr hoch ist, wird diese Methode nur in Ausnahmesituationen durchgeführt. 
    Indikationen sind [S1-Leitlinie]:
    • wenn bei dringender Indikation lumbal kein Liquor gewonnen werden kann oder
    • pathologisch-anatomische Gegebenheiten (z. B. lokaler Abszess) eine Kontraindikation für die lumbale Durchführung darstellen.
  • Laterale Cervikalpunktion – Diese Punktion erfolgt seitlich zwischen dem 1. und 2. Halswirbelkörper. Da aber aufgrund der komplizierten anatomischen Verhältnisse das Risiko für Komplikationen sehr hoch ist, wird diese Methode nur in Ausnahmesituationen, wenn eine Lumbalpunktion nicht möglich ist, durchgeführt.
    Gilt generell als sicherer subokzipitaler Zugangsweg, sollte ebenfalls unter radiologischer Kontrolle durchgeführt werden. Auch diese Punktion sollte von mit der Methode vertrauten Ärzten durchgeführt werden [S1-Leitlinie].
  • Ventrikelpunktion bzw. Ventrikelkatheter – Ventrikulärer Liquor kann durch die Punktion des dazugehörigen Reservoirs gewonnen werden, wobei zunächst 1 ml verworfen werden muss.
    Indikation: Die Ventrikelpunktion erfolgt im Rahmen eines operativen Eingriffes. Hauptindikationsgebiete sind vor allem therapeutische Maßnahmen und Verlaufsuntersuchungen [S1-Leitlinie].

In Kombination mit der Liquorpunktion kann eine Liquordruckmessung erfolgen. Dabei wird ein kleines Steigrohr eingeführt, das den Druck in Millimeter Wassersäule misst. Die Druckmessung wird bei Verdacht auf eine intrakranielle Druckerhöhung ohne Nachweis in der Bildgebung (z. B. Computertomographie) oder bei Verdacht auf Hydrocephalus durchgeführt.

Bei der Liquorpunktion sollten mindestens 10 ml Liquor gewonnen werden. Liquor- und zeitgleich abgenommene Serumprobe sollten unverzüglich in ein spezialisiertes Labor geschickt werden.

Nach der Liquorpunktion

  • Um Komplikationen zu vermeiden, sollte der Patient noch 1-2 Stunden auf dem Bauch liegen und einen Sandsack auf die Punktionsstelle aufgelegt bekommen. Des Weiteren sollte dem Patienten empfohlen werden, viel zu trinken. Die nächsten 24 Stunden sollten in horizontaler Position oder in Kopftieflage im Bett verbracht werden.

Mögliche Komplikationen

  • Blutung mit spinalem Hämatom
  • Infektionen (Keimverschleppung durch Punktion):
    • lokale Infektion (seltene Nebenwirkung: < 3 %)
    • epiduraler Abszess
  • Kreislaufreaktionen (seltene Nebenwirkung: < 3 %)
  • Synkope (Bewusstseinsstörung) (seltene Nebenwirkung: < 3 %)
  • Nervenverletzungen
  • Auftreten von Entzündungen der Rückenmarkshaut (sehr seltene Nebenwirkung)
  • Auftreten eines subdurales Hämatoms (sehr seltene Nebenwirkung)
  • Auftreten von Blutungen in die Rückenmarkshäute (sehr seltene Nebenwirkung)
  • Liquorunterdrucksyndrom/postpunktionelles Syndrom (1-2 Tage danach; kann für einige Tage/ selten einige Wochen anhalten) (häufige Nebenwirkung: > 3 %):
    • diffuse Kopfschmerzen (postpunktionelle Kopfschmerzen (PPKS; engl. post-dural puncture headache (PDPH); post-lumbar puncture headache (PLPH))
    • Nackensteifigkeit
    • Tinnitus (Ohrgeräusche)
    • Hörminderung
    • Neigung zur Ohnmacht
    • Nausea (Übelkeit)
    • Photophobie (Lichtscheu)
    Das Risiko postpunktioneller Kopfschmerzen steigt mit zunehmendem Nadeldurchmesser bei Verwendung konventioneller Nadeln:
    • 16-19 G: über 70 %
    • 20-22 G: 20-40 %
    • 24-27 G: 2-12 %
  • Weitere Komplikationen:
    • persistierende neurologische Symptomatik (Sehstörung; Hörminderung)
    • Meningitis (Hirnhautentzündung)
    • vorübergehende Ausfälle einzelner Hirnnerven (sehr seltene Nebenwirkung)
    • Bei erhöhtem Hirndruck: Einklemmung mit Störung von Kreislauf und Atmung (sehr seltene Nebenwirkung) (ggf. letal)

Literatur

  1. Wildemann B: Neurologische Labordiagnostik Referenz-Reihe Neurologie. Georg Thieme Verlag 2006
  2. Poeck K, Hacke W: Neurologie. Springer Verlag 2006
  3. Petereit HF, Sindern E, Wick M: Leitlinien der Liquordiagnostik und Methodenkatalog der Deutschen Gesellschaft für Liquordiagnostik und Klinische Neurochemie. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2007.

Leitlinien

  1. S1-Leitlinie: Diagnostische Liquorpunktion. (AWMF-Registernummer: 030-107) September 2012 Langfassung
  2. S1-Leitlinie: Hygienemaßnahmen bei Liquorpunktionen, Liquorableitungen und Injektionen am ZNS. (AWMF-Registernummer: 029-041), August 2017 Langfassung
  3. S1-Leitlinie: Diagnostik und Therapie des postpunktionellen und spontanen Liquorunterdruck-Syndroms. (AWMF-Registernummer: 030 - 113), März 2018 Langfassung
  4. S1-Leitlinie: Idiopathische intrakranielle Hypertension (IIH). (AWMF-Registernummer: 030 - 093), März 2019 Langfassung