Nierenzellkarzinom (Hypernephrom) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das Nierenzellkarzinom (Hypernephrom) ist eine maligne (bösartige) Neubildung, die von den Epithelzellen der Nierentubuli ausgeht. Es handelt sich um die häufigste Form des Nierenkrebses bei Erwachsenen und tritt insbesondere im mittleren bis höheren Lebensalter auf.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Genetische Veränderungen: Ein charakteristisches Merkmal des Nierenzellkarzinoms sind Chromosom-3p-Deletionen. Diese Deletionen betreffen das von-Hippel-Lindau-Gen (VHL-Gen), das als Tumorsuppressorgen fungiert. Der Verlust der Funktion dieses Gens führt zur Aktivierung von Signalwegen, die das Tumorwachstum fördern.
  • Tumorwachstumsfaktoren: Die Deletionen auf Chromosom 3p bewirken die Überproduktion von Wachstumsfaktoren, insbesondere:
    • VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor): Dieser Faktor fördert die Angiogenese (Bildung neuer Blutgefäße), was den Tumor mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und sein Wachstum unterstützt.
    • PDGF (Platelet-Derived Growth Factor): Dieser Wachstumsfaktor spielt eine Rolle bei der Zellproliferation (Zellvermehrung) und der Regulation von Entzündungsprozessen, was das Tumorwachstum weiter begünstigt.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

  • Angiogenese: Die durch VEGF vermittelte Gefäßneubildung ist ein wichtiger Mechanismus bei der Progression des Nierenzellkarzinoms. Die Tumorzellen stimulieren die Bildung eines Netzwerks von Blutgefäßen, das den Tumor nährt und das Wachstum sowie die Ausbreitung der Tumorzellen erleichtert.
  • Metastasierung: Das Nierenzellkarzinom metastasiert (d. h., bildet Tochtergeschwülste) häufig hämatogen (über die Blutbahn), was bedeutet, dass es sich in entfernte Organe wie Lunge, Leber, Knochen oder Gehirn ausbreiten kann. Die Metastasierung erfolgt typischerweise spät im Krankheitsverlauf.

Klinische Manifestation

  • Frühe Symptome: Das Nierenzellkarzinom bleibt häufig lange asymptomatisch und wird oft zufällig im Rahmen bildgebender Untersuchungen diagnostiziert. Zu den seltenen frühen Anzeichen gehören Hämaturie (Blut im Urin), Flankenschmerzen und eine tastbare Masse im Nierenbereich.
  • Späte Symptome: In fortgeschrittenen Stadien können unspezifische Beschwerden wie Gewichtsverlust, Müdigkeit und Fieber auftreten. Durch die Metastasierung kann es zu Symptomen in den betroffenen Organen, wie Knochenschmerzen oder Atembeschwerden, kommen.

Progression und Organbeteiligung

  • Lokale Invasion: Das Nierenzellkarzinom wächst lokal in das Nierengewebe und kann in nahegelegene Strukturen wie die Harnleiter, Blutgefäße und das umliegende Fettgewebe eindringen. Dies führt zu einer fortschreitenden Zerstörung des Nierengewebes und einer Beeinträchtigung der Nierenfunktion.
  • Fernmetastasen: Häufige Metastasenorte des Nierenzellkarzinoms sind Lunge, Leber, Knochen und Gehirn. Diese Fernmetastasen verschlechtern die Prognose erheblich und erfordern oft eine systemische Therapie.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

  • Nierenfunktionsstörungen: Infolge des Tumorwachstums kann es zu einer Funktionsstörung der betroffenen Niere kommen, was zu einer Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und damit zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion führt.
  • Gefäßinvasion und Thrombosen: Das Nierenzellkarzinom hat die Fähigkeit, in große Blutgefäße wie die Nierenvene oder die Vena cava inferior (untere Hohlvene) einzuwachsen, was das Risiko für Thrombosen (Blutgerinnsel) erhöht.

Regenerative und kompensatorische Prozesse

  • Keine vollständige Regeneration: Im Falle einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung sind die regenerativen Fähigkeiten der Niere stark eingeschränkt. Ein Fortschreiten der Tumorinfiltration führt zu irreversiblen strukturellen und funktionellen Schäden.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Das Nierenzellkarzinom entsteht vorwiegend durch genetische Veränderungen, insbesondere Chromosom-3p-Deletionen, die das Tumorwachstum durch die Überproduktion von VEGF und PDGF fördern. Diese Tumorzellen zeichnen sich durch aggressives Wachstum, lokale Invasion und eine Neigung zur Fernmetastasierung aus. Die Erkrankung bleibt häufig lange asymptomatisch und wird oft erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Die Behandlung zielt darauf ab, das Tumorwachstum zu kontrollieren und die Ausbreitung zu verhindern, wobei die frühzeitige Erkennung für eine bessere Prognose entscheidend ist.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern  (ca. 5-8 %); Kriterien, die auf eine erbliche Variante hinweisen könnten, sind unter anderem ein Erkrankungsalter vor dem 47. Lebensjahr und die Erkrankung naher Familienangehöriger.
    • Genetische Erkrankungen
      • Birt-Hogg-Dubé-Syndrom (BHDS) – genetische Erkrankung mit autosomal dominantem Erbgang; Keimbahnmutationen im Gen FLCN wurden in Familien mit BHDS gefunden; klinisches Bild: Hautläsionen, Nierentumoren und Lungenzysten, evtl. in Verbindung mit einem Pneumothorax (Lungenkollaps aufgrund von Luft im Pleuraspalt (Raum zwischen Rippen- und Lungenfell, in dem physiologischerweise ein Unterdruck herrscht))
      • Hereditäre Leiomyomatose mit Nierenzellkarzinom – genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang; klinisches Bild: Auftreten multipler kutaner Leiomyome (benigne Weichteil-Tumore); prädominante Lokalisation: Oberarm, aber auch die Beine, der Stamm und das Gesicht können betroffen sein; häufig Auftreten auch von  Leiomyome des Uterus (Gebärmutter) und Nierenzellkarzinome
      • Hereditäres papilläres Nierenzellkarzinom (HPRCC) – genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang; führt zu papillären Nierenzellkarzinomen (basophil papilläre Histologie, Typ 1). Mutationen im MET Protoonkogen sind auf Chromosom 7 beschrieben worden.
      • Hippel-Lindau (VHL)-Syndrom – genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang; Patienten entwickeln benigne Angiome (gutartige Gefäßfehlbildungen) vornehmlich im Bereich der Retina (Netzhaut) und des Kleinhirns; hohes Risiko für ein klarzelliges Nierenzellkarzinom
      • Tuberöse Sklerose (Bourneville-Pringle-Krankheit) – genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang, die mit Fehlbildungen und Tumoren des Gehirns, Hautveränderungen und meist benignen Tumoren in anderen Organsystemen einhergeht.

Verhaltensbedingte Ursachen

Verhaltensbedingte Risikofaktoren

  • Genussmittelkonsum 
    • Tabak (Rauchen) – Steigerung des Risikos für Nierenzellkarzinome proportional zur kumulativen Rauchmenge [2, 3]
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) – Mit steigendem BMI erhöht sich das Risiko für Nierenzellkarzinome signifikant, insbesondere bei stark adipösen Patienten (BMI ≥ 30) [1, 5]

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Chronische Niereninsuffizienz [4]
  • Hypertonie (Bluthochdruck; erhöhter systolischer Blutdruck) [5]
  • Nephrolithiasis (Nierensteine) – deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für ein papilläres Nierenzellkarzinom als bei Patienten ohne Nierensteine (3,08-fach erhöhtes Risiko); keine Assoziation mit der Entwicklung eines klarzelligen Nierenkarzinoms [9]
  • Terminale Niereninsuffizienz (dauerhaftes Versagen der Nierenfunktion) (4-fach erhöhtes Risiko) [7]
  • Virusinfektionen
  • Zystische Nierenveränderungen

Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten

  • Glomeruläre Filtrationsrate (GFR) ↓ – GFR: < 60 ml/min; geringe Einschränkung der Nierenfunktion: Risikoerhöhung für Nierenkarzinome um 39 Prozent; bei schweren Einschränkungen um 129 Prozent [4]

Medikamente

  • Aristolochiasäuren, eine Gruppe strukturähnlicher aromatischer Nitroverbindungen aus Aristolochia-Arten (zu dieser Gattung zählen etwa 400-500 Arten); Bestandteil der gewöhnlichen Osterluzei; früher auch Hauptbestandteil von Frauengold) – Osterluzei ist eine vermeintliche Heilpflanze, die in Balkanregionen häufig das Getreide verunreinigt [6]; die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stuft die Aristolochiasäure als karzinogen (krebserregend) ein.

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Arsen [8]
    • Männer: Mortalitätsrisiko (Sterberisiko)/relatives Risiko (RR) 1,75 (95-Prozent-Konfidenzintervall 1,49-2,05)
    • Frauen: Mortalitätsrisiko/relatives Risiko 2,09 (95-Prozent-Konfidenzintervall 1,69-2,57)
  • Schwermetallbelastung, vor allem Blei oder Cadmium werden diskutiert#
  • Trichlorethen oder Trichlorethylen – Latenzzeit von mindestens 10 Jahren bis zum Auftreten des Nierenzellkarzinoms

Weitere Ursachen

  • Dialyse
  • Immunsupprimierte Personen
  • Zust. n. Nierentransplantation

Literatur

  1. Renehan AG et al.: Body-mass index and incidence of cancer: a systematic review and meta-analysis of prospective observational studies. Lancet, Volume 371, Issue 9612, Pages 569-578, 16 February 2008, DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(08)60269-X
  2. Deutsches Krebsforschungszentrum. Tabakatlas Deutschland 2015. Heidelberg
  3. Secretan B, Straif K, Baan R et al.: A review of human carcinogens – Part E: tobacco, areca nut, alcohol, coal smoke, and salted fish. Lancet Oncol, 2009:10, 1033-1034
  4. William T et al.: CKD and the Risk fo Incident Cancer. Incident Cancer. J Am Soc Nephrol, DOI: 10.1681/ASN.2013060604, published online 29 May 2014.
  5. Sanfilippo KM, McTigue KM, Fidler CJ, Neaton JD, Chang Y, Fried LF, Liu S, Kuller LH. Hypertension and obesity and the risk of kidney cancer in 2 large cohorts of US men and women.Hypertension. 2014 May;63(5):934-41. doi: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.113.02953.
  6. Scelo G et al.: Variation in genomic landscape of clear cell renal cell carcinoma across Europe. Nature Communications 5, Article number: 5135 doi:10.1038/ncomms6135
  7. Port FK, Ragheb NE, Schwartz AG, Hawthorne VM: Neoplasms in dialysis patients: a population-based study. Am J Kidney Dis 1989; 14: 119-23
  8. Smith AH et al.: Lung, Bladder, and Kidney Cancer Mortality 40 Years After Arsenic Exposure Reduction. JNCI: Journal of the National Cancer Institute, djx201, https://doi.org/10.1093/jnci/djx201
  9. van de Pol JAA et al.: Kidney stones and the risk of renal cell carcinoma and upper tract urothelial carcinoma: the Netherlands Cohort Study. Br J Cancer 2018; https://doi.org/10.1038/s41416-018-0356-7