Magenkrebs (Magenkarzinom) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das Magenkarzinom (Magenkrebs) ist in mehr als 90 % der Fälle ein Adenokarzinom (bösartiger Tumor aus Drüsengewebe), das sich schrittweise über Vorläuferläsionen wie Dysplasien (abnormes Zellwachstum) und intestinale Metaplasie entwickelt. Dieser Prozess wird durch genetische Mutationen sowie äußere Risikofaktoren wie Helicobacter-pylori-Infektion, Nitrosamine in der Nahrung und chronische Magenschleimhautentzündungen (Gastritis) begünstigt.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Genetische Mutationen: Es kommt zu Mutationen in Tumorsuppressorgenen und Onkogenen, die eine maligne Transformation der Zellen fördern. Insbesondere das K-RAS-Gen und p53 spielen eine Rolle in der Entstehung des Karzinoms.
  • Chronische Entzündung: Eine anhaltende Helicobacter-pylori-Infektion führt zu einer chronischen Gastritis, die die Magenschleimhaut schädigt und die Wahrscheinlichkeit von Dysplasien und Metaplasien erhöht [10].
  • Ernährungsfaktoren: Nitrate und Nitrosamine, die durch bestimmte Bakterien (u. a. Helicobacter pylori) im Magen gebildet werden, sind genotoxisch (erbgutschädigend) und fördern die Karzinogenese (Krebsentstehung).

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

  • Dysplasie-Karzinom-Sequenz: Vorläuferläsionen wie Dysplasien und intestinale Metaplasie führen zu bösartigen Veränderungen der Magenschleimhaut. Bei Vorliegen einer intestinalen Metaplasie kann der Patient von einer Helicobacter-pylori-Eradikation nicht mehr profitieren [5].
  • Invasion des umliegenden Gewebes: Das Magenkarzinom wächst invasiv in benachbarte Strukturen wie die Magenwand, den Dünndarm oder die Bauchspeicheldrüse ein und kann die Basalmembran durchdringen.

Klinische Manifestation

  • Frühe Symptome: Das Magenkarzinom bleibt oft lange asymptomatisch. Frühsymptome können unspezifisch sein und beinhalten Appetitlosigkeit, Übelkeit und Gewichtsverlust.
  • Spätsymptome: Im fortgeschrittenen Stadium treten Symptome wie Schmerzen im Oberbauch, Erbrechen und Blutungen aus dem Gastrointestinaltrakt auf. Eine Anämie (Blutarmut) durch chronischen Blutverlust kann ebenfalls ein Hinweis sein.

Progression und Organbeteiligung

  • Lokale Invasion: Der Tumor infiltriert benachbarte Organe wie den Dünndarm, die Bauchspeicheldrüse und die Leber.
  • Metastasierung: Häufig metastasiert das Magenkarzinom in die Lymphknoten, die Leber und seltener in die Lunge. Über den Blutweg (hämatogene Streuung) kann der Tumor auch andere Organe befallen.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

  • Beeinträchtigung der Verdauung: Durch die Tumorinfiltration kommt es zu einer Beeinträchtigung der Magenfunktion, was zu Malabsorption (unzureichende Nährstoffaufnahme) und Maldigestion (gestörte Verdauung) führt.
  • Obstruktion des Magenausgangs: Das fortschreitende Tumorwachstum kann den Magenausgang blockieren und zu einer Magenentleerungsstörung führen, was zu starkem Erbrechen und Gewichtsverlust führt.

Regenerative und kompensatorische Prozesse

  • Immunantwort: Eine entzündliche Reaktion des Immunsystems versucht, die Tumorentwicklung zu hemmen, ist jedoch oft unzureichend, um das Tumorwachstum zu verhindern.
  • Fehlende Regeneration: Aufgrund der anhaltenden Schädigung der Magenschleimhaut und des fortschreitenden Tumorwachstums ist eine Regeneration des Gewebes nicht möglich.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Das Magenkarzinom entwickelt sich meist durch chronische Entzündungen und Vorläuferläsionen wie Dysplasien und intestinale Metaplasie. Genetische Mutationen und externe Risikofaktoren wie Helicobacter-pylori-Infektionen und Nitrosamine aus der Nahrung tragen wesentlich zur Tumorentstehung bei. Das Magenkarzinom kann durch direkte Expansion oder aber über lymphatische und hämatogene Streuung Metastasen bilden. In einer schwedischen bevölkerungsbasierten Kohortenstudie (405.172 Patienten) wurde das Magenkarzinomrisiko bezogen auf den histologischen Ausgangsbefund erhoben; dieses ergab ein Karzinomrisiko von 1:256 bei normaler Mukosa, 1:85 bei Gastritis, 1:50 bei atrophischer Gastritis, 1:39 bei intestinaler Metaplasie und 1:19 bei Dysplasie [7].

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • durch Eltern, Großeltern (etwa 3,7-mal größeres Erkrankungsrisiko, wenn ein Familienmitglied ersten Grades – d. h. Eltern, Kinder, Geschwister – bereits an einem Magenkarzinom erkrankt ist)
    • Genetische Erkrankungen
      • mit familiären Krebssyndromen assoziiert (selten), z. B.
        • Hereditäre diffuse Magenkarzinom (HDGC)
        • Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP; Synonym: Familiäre Polyposis) – ist eine autosomal-dominant vererbbare Erkrankung. Diese führt zum Auftreten einer Vielzahl (> 100 bis Tausende) kolorektaler Adenome (Polypen). Die Wahrscheinlichkeit der malignen (bösartigen) Entartung liegt bei nahezu 100 % (durchschnittlich ab dem 40. Lebensjahr).
        • HNPCC (engl. heredetery non-polyposis colorectal cancer; hereditäres kolorektales Karzinom ohne Polyposis, auch als "Lynch-Syndrom" bezeichnet) – genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang; einhergehend mit frühzeitig auftretenden kolorektalen Karzinomen (Krebs des Dickdarms bzw. des Mastdarms) und ggf. weiteren Tumorerkrankungen)
        • Juvenile Polyposis-Syndrom 
      • Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang mit vermehrter Ablagerung von Eisen als Folge einer erhöhten Eisenkonzentration im Blut mit Gewebeschädigung; Folgeerkrankungen: Leberzirrhose (Leberschrumpfung), hepatozelluläres Karzinom, Magenkarzinom, Kardiomyopathie (Herzmuskelerkrankung), Arthropathie großer Gelenke
  • Blutgruppe – Nicht-0-Blutgruppen (Blutgruppe A, B, AB) (1,09-fach erhöhtes Risiko) [11]
  • Lebensalter – höheres Alter (Nicht-Kardiakarzinom/Kein Tumor im Mageneingang)
  • Sozioökonomische Faktoren – niedriger sozioökonomischer Status (Nicht-Kardiakarzinom/Kein Tumor im Mageneingang)

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Studien zeigen eine Assoziation zwischen dem Verzehr größerer Mengen an rotem Fleisch, d. h. Muskelfleisch von Schwein, Rind, Lamm, Kalb, Hammel, Pferd, Schaf, Ziege und dem vermehrten Auftreten von Magenkarzinomen (Magenkrebs) sowie der Gesamttumormortalität (krebsbedingte Sterblichkeit) [14-16].
      Rotes Fleisch wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als "wahrscheinlich karzinogen für den Menschen", das heißt als krebserregend, eingestuft. Fleisch- und Wurstwaren werden als sogenanntes „definitives Gruppe 1-Karzinogen“ eingestuft und sind damit vergleichbar (qualitativ, aber nicht quantitativ) mit der kanzerogenen (krebserregenden) Wirkung des Tabakrauchens. Zu den Fleischwaren zählen Produkte, deren Fleischbestandteil durch Verarbeitungsverfahren wie Salzen, Pökeln, Räuchern oder Fermentieren haltbar gemacht bzw. im Geschmack verbessert wurde: Würstchen, Wurstwaren, Schinken, Corned beef, Dörrfleisch, luftgetrocknetes Rindfleisch, Fleischkonserven [13].
    • Zu geringer Fischkonsum; inverse Korrelation zwischen Fischkonsum und Erkrankungsrisiko [4]
    • Zu geringer Obst- und Gemüseverzehr
    • Nitrat- und nitritreiche Ernährung, wie gepökelte oder geräucherte Speisen:
      Nitrat
      ist eine potenziell toxische Verbindung: Nitrat wird im Körper durch Bakterien (Speichel/Magen) zu Nitrit reduziert. Nitrit ist ein reaktives Oxidans, das bevorzugt mit dem Blutfarbstoff Hämoglobin reagiert und diesen in Methämoglobin umwandelt. Des Weiteren bilden Nitrite (unter anderem auch enthalten in gepökelten Wurst- und Fleischwaren sowie gereiftem Käse) mit sekundären Aminen (enthalten in Fleisch- und Wursterzeugnissen, Käse und Fisch) Nitrosamine, die genotoxisch und mutagen wirken. Sie begünstigen u. a. die Entstehung von Magenkrebs.
      Die tägliche Aufnahme von Nitrat erfolgt in der Regel zu circa 70 % durch den Verzehr von Gemüse (Feld- und Kopfsalat, Grün-, Weiß- und Chinakohl, Kohlrabi, Spinat, Radieschen, Rettich, Rote Bete), 20 % aus Trinkwasser (Stickstoffdünger) und 10 % aus Fleisch und Fleischwaren sowie Fisch.
    • Benzo(a)pyren gilt als Risikofaktor für ein Magenkarzinom (Magenkrebs). Es entsteht beim Toasten und Holzkohlegrillen. Es kommt in allen gegrillten, geräucherten oder angebrannten Lebensmitteln vor.
      Auch Zigarettenrauch enthält Benzo(a)pyren, das wiederum
      zu Bronchialkarzinomen führen kann.
    • Verzehr von Lebensmitteln, die vom Schimmelpilz Aspergillus flavus bzw. Aspergillus parasiticus befallen sein können. Diese Schimmelpilze produzieren Aflatoxine, die karzinogen wirken.
      Aspergillus flavus findet man in Erdnüssen, Pistazien und Mohn; Aspergillus parasiticus findet man in Erdnüssen.
    • Natrium- bzw. Kochsalzzufuhr:
      • Diskutiert wird, ob eine langfristige hohe Natrium- bzw. Kochsalzzufuhr zu einem erhöhten Risiko für Magenkarzinom führt [3]. So gibt es Indizien dafür, dass sich eine atrophische Gastritis (Magenschleimhautentzündung) häufiger unter einer hohen Kochsalzzufuhr entwickelt. Zudem können Karzinogene die Barriere der Magenmukosa (Magenschleimhaut) leichter durchdringen, wenn im Magen hohe Konzentrationen von Kochsalz vorliegen [3]. Achtung: Fertiggerichte können bis zu 4 g Salz pro 100 g Nahrungsmittel enthalten.
      • Häufiges Nachsalzen versus Verzicht auf Nachsalzen (westliche Länder) [17].
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol (Frau: > 20 g/Tag; Mann: > 30 g/Tag) (Nicht-Kardiakarzinom/Kein Tumor im Mageneingang)
      • starke Trinker (> 4 bis 6 Getränke): 1,26-fach erhöhtes Risiko; sehr starke Trinker (> 6 Getränke): 1,48-fach erhöhtes Risiko [9]
      • nur Personen, die keine H.-pylori-spezifischen IgG-Antikörper aufwiesen, steigerten durch starken Alkoholkonsum (Alkohol seit > 30 Jahren, 7-mal pro Woche oder Menge  55 g bei einer einzelnen Gelegenheit (Binge-Drinking)) das Magenkarzinomrisiko [7]
    • Tabak (Rauchen); etwa 3-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko [1, 2] [Adenokarzinome im Übergang vom Magen zur Speiseröhre]
  • Psycho-soziale Situation
    • Nachtdienst (+ 33 %) [12]
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas); Adenokarzinome im Übergang vom Magen zur Speiseröhre (+ 80 %) [8] 

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Chronisch-aktive Gastritis (Magenschleimhautentzündung)/Typ B-Gastritis/bakterielle Gastritis durch das Bakterium Helicobacter pylori; Ausgangspunkt für die Entstehung von mehr als 90 % aller Magenkarzinome (Eradikation/vollständige Eliminierung des Krankheitserregers aus dem Körper wirkt karzinomprotektiv)
  • Chronische atrophische Typ A-Gastritis (intestinaler Typ des Magenkarzinoms; autoimmune Gastritis)
  • Epstein-Barr-Virus-Infektion (infektiöse Mononukleose; Pfeiffersches Drüsenfieber) – bei Personen, die an einer Immundefizienz (Immunschwäche) leiden, kann u. a. ein Magenkarzinom entstehen
  • Gastroösophageale Refluxkrankheit – Reflux (lat. refluere = zurückfließen) von saurem Magensaft und anderen Mageninhalten in den Ösophagus (Speiseröhre) [Adenokarzinome im Übergang vom Magen zur Speiseröhre]
  • Magenpolypen,  adenomatöse – Schleimhautausstülpungen im Bereich des Magens
  • Morbus Ménétrier (Riesenfaltengastritis)
  • Perniziöse Anämie – häufigste Unterform der Vitamin-B12-Mangel-Anämie (Blutarmut) (Nicht-Kardiakarzinom/Kein Tumor im Mageneingang)

Operationen

  • Zustand nach Magenteilresektion (Teilentfernung des Magens) (Nicht-Kardiakarzinom/Kein Tumor im Mageneingang)

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Aufnahme von Nitrosaminen
  • Benzpyren findet sich in Abgasen, Rauch und Teer. Es gilt u. a. als Risikofaktor für ein Magenkarzinom.

Literatur

  1. Deutsches Krebsforschungszentrum Tabakatlas Deutschland 2015. Heidelberg
  2. Secretan B, Straif K, Baan R et al.: A review of human carcinogens – Part E: tobacco, areca nut, alcohol, coal smoke, and salted fish. Lancet Oncol. 2009 Nov;10(11):1033-4.
  3. Kasper H: Ernährungsmedizin und Diätetik. 11. Auflage, Urban & Fischer, München, 2009
  4. Yu XF, Zou J, Dong J: Fish consumption and risk of gastrointestinal cancers: A meta-analysis of cohort studies. World J Gastroenterol. 2014 Nov 7;20(41):15398-412. doi: 10.3748/wjg.v20.i41.15398.
  5. H Chen HN, Wang Z, Li X, Zhou ZG: Helicobacter pylori eradication cannot reduce the risk of gastric cancer in patients with intestinal metaplasia and dysplasia: evidence from a meta-analysis. Gastric Cancer. 2015 Jan 22.
  6. Ma SH et al.: Impact of alcohol drinking on gastric cancer development according to Helicobacter pylori infection status. BJC 2015; online 17. September. doi: 10.1038/bjc.2015.333
  7. Song H et al.: Incidence of gastric cancer among patients with gastric precancerous lesions: observational cohort study in a low risk Western population. BMJ 2015, 351:h3867
  8. Lauby-Secretan B et al.: Body Fatness and Cancer – Viewpoint of the IARC Working Group N Engl J Med 2016; 375:794-798 August 25, 2016 doi: 10.1056/NEJMsr1606602
  9. Rota M et al.: Alcohol consumption and gastric cancer risk – A pooled analysis within the StoP project consortium. IJC 8 August 2017 doi: 10.1002/ijc.30891
  10. Sigal M et al.: Stromal R-spondin orchestrates gastric epithelial stem cells and gland homeostasis. Nature 548, 451-455 (24 August 2017) doi:10.1038/nature23642
  11. Etemadi A et al.: Mortality and cancer in relation to ABO blood group phenotypes in the Golestan Cohort Study BMC Med 13, 8 (2015). https://doi.org/10.1186/s12916-014-0237-8
  12. Yuan X et al.: Night Shift Work Increases the Risks of Multiple Primary Cancers in Women: A Systematic Review and Meta-analysis of 61 Articles. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev; 27(1); 25-40. doi: 10.1158/1055-9965.EPI-17-0221
  13. Bouvard V, Loomis D, Guyton KZ, Grosse Y, El Ghissassi F, Benbrahim-Tallaa L, Guha N, Mattock H, Straif K, International Agency for Research on Cancer Monograph Working Group: Carcinogenicity of consumption of red and processed meat. Lancet Oncology 2015; doi: 10.1016/S1470-2045(15)00444-1 
  14. World Cancer Research Fund: Diet, nutrition, physical activity and cancer: a global perspective – the third expert report. 2018
  15. Arends J, Bertz H, Bischoff S, Fietkau R, Herrmann H, Holm E et al.: S3-Leitline der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM) in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie e. V. (DGHO), der Arbeitsgemeinschaft „Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilitation und Sozialmedizin“ der Deutschen Krebsgesellschaft (ASORS) und der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für klinische Ernährung (AKE). Aktuelle Ernährungsmedizin 40(05):e1-74, 2015
  16. Freijer K, Tan SS, Koopmanschap MA, Meijers JMM, Halfens RJG, Nuijten MJC: The economic costs of disease related malnutrition. Clin Nutr. 2013 Feb;32(1):136-41. doi: 10.1016/j.clnu.2012.06.009.
  17. Kronsteiner-Gicevic S et al.: Adding salt to food at table as an indicator of gastric cancer risk among adults: a prospective study Gastric Cancer (2024). https://doi.org/10.1007/s10120-024-01502-9