Lungenkrebs (Bronchialkarzinom) – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik des Bronchialkarzinoms (Lungenkrebs) dar.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie häufig Tumorerkrankungen, insbesondere Lungenkrebs oder andere Krebsarten?
  • Bestehen in Ihrer Familie genetische Erkrankungen oder eine genetische Prädisposition für Krebserkrankungen (z. B. kolorektales Karzinom (Darmkrebs), Mammakarzinom (Brustkrebs), Lymphome, Leukämien, Melanom (Hautkrebs))?
  • Gibt es Autoimmunerkrankungen (z. B. rheumatoide Arthritis, Psoriasis (Schuppenflechte), Hashimoto-Thyreoiditis) oder andere chronisch-entzündliche Erkrankungen (z. B. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa), die das Risiko für Krebserkrankungen erhöhen könnten?

Soziale Anamnese

  • Beruf:
    • Welchen Beruf üben Sie aus?
    • Sind Sie während Ihrer beruflichen Tätigkeit schädigenden Einflüssen wie Asbest, Quarzstaub, Feinstaub, Chemikalien (z. B. Benzol, Radon) oder krebserregenden Stoffen ausgesetzt?
  • Gibt es Hinweise auf psychosoziale Belastungen, die Ihre Symptome beeinflussen könnten?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Haben Sie sich in letzter Zeit müde, schwach oder abgeschlagen gefühlt?
  • Treten bei Ihnen Nachtschweiß oder Schüttelfrost auf?*
  • Haben Sie einen allgemeinen Leistungsknick bemerkt?
  • Haben Sie anhaltenden Husten oder einen Reizhusten, der sich nicht bessert?
  • Haben Sie bereits Blut gehustet?*
  • Leiden Sie unter Atemnot oder haben Sie das Gefühl, nur schwer Luft zu bekommen?*
  • Treten bei Ihnen Brustschmerzen auf, z. B. beim Ein- oder Ausatmen?*
  • Haben Sie eine Heiserkeit oder Schluckbeschwerden festgestellt?*
  • Haben Sie häufig Infektionen der unteren Atemwege (z. B. Bronchitis, Lungenentzündung)?
  • Haben Sie weitere Symptome, wie:
    • Schmerzen im Bereich des Brustkorbs oder Schulter-/Rückenschmerzen (lassen sich nicht durch körperliche Belastung erklären)?
    • Kopfschmerzen?
    • Drehschwindel?
    • Missempfindungen?
    • Muskelschwäche?
    • Schwellungen im Bereich des Gesichts oder der Arme (z. B. Hinweis auf ein Vena-cava-superior-Syndrom)?
    • geschwollene Lymphknoten im Hals- oder Achselbereich?

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Haben Sie in der letzten Zeit ungewollt Gewicht verloren?
  • Ernähren Sie sich ausgewogen und reich an Vitaminen und Ballaststoffen?
  • Rauchen Sie oder haben Sie früher geraucht? Falls ja:
    • Wie viele Jahre haben Sie geraucht?
    • Wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen rauchen Sie aktuell pro Tag?
  • Sind Sie regelmäßig Passivrauch ausgesetzt (z. B. im Haushalt oder Beruf)?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?

Eigenanamnese

  • Vorerkrankungen:
    • Chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD), chronische Bronchitis?
    • Asthma bronchiale?
    • Frühere Tumorerkrankungen oder Krebsvorstufen?
    • Lungenfibrose oder andere Lungenerkrankungen?
  • Operationen:
    • Lungenoperationen (z. B. Entfernung eines Lungensegments)?
    • Thoraxeingriffe (Eingriffe im Bereich des Brustkorbs)?
  • Haben Sie bekannte Allergien, z. B. gegen Medikamente, Nahrungsmittel oder Umweltstoffe?

Medikamentenanamnese 

  • ACE-Hemmer – Angiotensin-konvertierende Enzym metabolisiert neben Angiotensin I auch Bradykinin, einen aktiven Vasodilatator; Bronchialkarzinome exprimieren Bradykininrezeptoren; Bradykinin kann die Freisetzung von vaskulären endothelialen Wachstumsfaktoren stimulieren (= Förderung der Angiogenese und damit des Tumorwachstums). Bei Patienten, die ACE-Hemmer erhalten hatten, betrug die Inzidenz 1,6 pro 1.000 Personenjahre gegenüber 1,2 pro 1.000 Personenjahre bei den anderen Hochdruckpatienten; die ACE-Hemmer Therapie erhöhte das Risiko relativ um 14 % [5].
    ACE-Hemmer und Lungenkrebs: Kausalzusammenhang nach Bewertung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur nicht belegt [6].
  • Sartane (Angiotensin-Rezeptorblocker): signifikante Korrelation zwischen dem Grad der kumulativen Exposition gegenüber Sartanen und dem Risiko für Bronchialkarzinome (slope = 0,16; 95%-Kl: 0,05–0,27], p = 0,003) [7]
  • Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (selective serotonin reuptake inhibitors, SSRI) ? [4]
  • Trizyklische Antidepressiva (tricyclic anti-depressants, TCA) ? [4]

Umweltanamnese

  • Arsen [3]
    • Männer: Mortalitätsrisiko (Sterberisiko)/relatives Risiko (RR) 3,38 (95-Prozent-Konfidenzintervall  3,19-3,58)
    • Frauen: Mortalitätsrisiko/relatives Risiko 2,41 (95-Prozent-Konfidenzintervall 2,20-2,64)
  • Beruflicher Kontakt
    • mit Karzinogenen – z. B. Asbest, künstliche Fasern (engl. man made mineral fibers, MMMF), polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Arsen, Chrom-VI-Verbindungen, Nickel, halogenierten Ethern („Haloethern“), insbesondere Dichlordimethylether, radioaktive Stoffe, Acrylnitril etc.
    • Kokereirohgase
    • Umgang mit Teer und Bitumen (Straßenbau)
    • Inhalation von Kohlestaub (Bergleute)
    • Inhalation von Quarzstaub (Quarzfeinstaub gilt als Gruppe 1-Karzinogen)
  • Dieselabgase (wg. polyzyklischer Kohlenwasserstoffe, PAH)
  • Luftschadstoffe: Feinstaub (durch Autoabgase, Verbrennungsprozesse in der Industrie und Hausbrand) – Bereits Feinstaubkonzentration unterhalb des europäischen Grenzwerts erhöht die Wahrscheinlichkeit, an Lungenkrebs zu erkranken [1].
  • Radon – Nach Rauchen ist das unfreiwillige Einatmen von radioaktivem Radon in den eigenen vier Wänden der häufigste Auslöser von Lungenkrebs.
  • Tetrachlorethen (Perchlorethylen, Perchlor, PER, PCE)? – bei Frauen [2]

* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.

Literatur

  1. Weinmayr G et al.: Air pollution and lung cancer incidence in 17 European cohorts: prospective analyses from the European Study of Cohorts for Air Pollution Effects (ESCAPE). Lancet Oncology, doi: 10.1016/S1470-2045(13)70279-1; 2013 
  2. Mattei F et al.: Exposure to chlorinated solvents and lung cancer: results of the ICARE study. Occup Environ Med. 2014 Jul 11. pii: oemed-2014-102182. doi: 10.1136/oemed-2014-102182.
  3. Smith AH et al.: Lung, Bladder, and Kidney Cancer Mortality 40 Years After Arsenic Exposure Reduction. JNCI: Journal of the National Cancer Institute, djx201, https://doi.org/10.1093/jnci/djx201
  4. Boursi B et al.: Anti-depressant therapy and cancer risk: A nested case-control study. Eur Neuropsychopharmacol. 2015 Apr 17. pii: S0924-977X(15)00113-3. doi: 10.1016/j.euroneuro.2015.04.010.
  5. Hicks BM et al.: Angiotensin converting enzyme inhibitors and risk of lung cancer: population based cohort study. BMJ 2018; 363 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.k4209 (Published 24 October 2018)
  6. EMA: Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC): Minutes of PRAC meeting on 11-14 February 2019: https://www.ema.europa.eu/en/documents/minutes/minutes-prac-meeting-11-14-february-2019_en.pdf. London,
  7. Siphal I: Risk of cancer with angiotensin-receptor blockers increases with increasing cumulative exposure: Meta-regression analysis of randomized trials s. PLoS ONE 2022;17(3): e0263461. https://doi.org/10.1371/journal. pone.0263461