Krebserkrankungen – Strahlentherapie
Die Strahlentherapie (Radiotherapie, Radiatio) stellt eine der zentralen Behandlungsmethoden in der modernen Onkologie dar. Sie wird sowohl kurativ (heilend) als auch palliativ (krankheitsmildernd) eingesetzt und ist häufig Teil eines multimodalen Therapiekonzepts (Behandlung mit mehreren Methoden), das auch eine Operation und/oder Chemotherapie (medikamentöse Krebsbehandlung) umfassen kann. In rund 90 % der Fälle erfolgt eine lokoregionäre Therapie (Behandlung des Tumors und angrenzender Gewebe), bei der eine Kombination aus Strahlentherapie und chirurgischer Tumorresektion (operative Entfernung des Tumors) zur Anwendung kommt.
Ziel der Radiatio (Bestrahlung) ist die gezielte Zerstörung maligner Zellen (bösartiger Tumorzellen) durch ionisierende Strahlung (hochenergetische Strahlen, die Zellen schädigen können), während angrenzendes gesundes Gewebe möglichst geschont wird. Trotz moderner Bestrahlungstechniken (technische Methoden zur gezielten Strahlenanwendung) bleibt die Strahlenempfindlichkeit (Empfindlichkeit von Geweben gegenüber Strahlung) gesunder Gewebe ein wesentlicher limitierender Faktor der Therapie.
Wirkungsweise der Strahlentherapie
Die Strahlentherapie wirkt über verschiedene Mechanismen auf Tumorzellen:
- Direkte DNA-Schädigung (Erbgutschädigung) – Durch ionisierende Strahlung (hochenergetische Strahlung, die Zellschäden verursacht) werden Einzel- und Doppelstrangbrüche (Verletzungen der DNA-Struktur) in der DNA (Erbsubstanz der Zelle) der Tumorzellen induziert, was zur Apoptose (programmierter Zelltod) oder irreparablen Zellschäden (nicht wiederherstellbaren Schäden an der Zelle) führt.
- Indirekte DNA-Schädigung – Die Strahlung erzeugt freie Radikale (hochreaktive Sauerstoffmoleküle, die Zellen angreifen können), die ebenfalls zu DNA-Schäden (Erbgutschäden) führen.
- Beeinträchtigung der Zellproliferation (Hemmung des Zellwachstums und der Zellteilung) – Besonders strahlensensibel (empfindlich gegenüber Strahlung) sind sich schnell teilende Zellen (Zellen, die sich häufig erneuern), was die Wirkung der Radiatio (Bestrahlung) auf maligne Zellpopulationen (bösartige Zellverbände) verstärkt.
Gesunde Körperzellen besitzen grundsätzlich eine höhere Reparaturkapazität (Fähigkeit zur Heilung von Schäden) als Tumorzellen, wodurch sie sich besser von Strahlenschäden (durch Strahlung verursachte Zellschäden) erholen können. Dennoch reagieren einige Gewebe besonders empfindlich, insbesondere hochproliferative Zellen (Zellen mit hoher Teilungsrate) wie:
- Schleimhautepithel (Zellschicht der Schleimhäute, z. B. im Magen-Darm-Trakt)
- Hämatopoetisches System (blutbildendes Gewebe im Knochenmark)
- Haarfollikel (Haarwurzelzellen)
- Immunzellen (Abwehrzellen des Körpers)
Die Strahlentherapie kommt sowohl bei primären Tumoren (am Ursprungsort entstandene Tumoren) als auch zur Behandlung von Metastasen (Tochtergeschwülsten, die sich in anderen Organen ausbreiten können) zum Einsatz. Sie spielt eine entscheidende Rolle in der Therapie strahlensensibler Tumoren (besonders strahlungsempfindlicher Krebsarten), wie beispielsweise:
- Lymphome (Lymphdrüsenkrebs)
- Prostatakarzinom (Prostatakrebs)
- Keimzelltumoren (Krebsarten, die aus Keimzellen entstehen, z. B. Hodenkrebs)
Hier dient sie nicht nur der Tumorreduktion (Verkleinerung des Tumors), sondern auch der Analgesie (Schmerzlinderung), Rezidivprophylaxe (Vorbeugung eines Rückfalls der Erkrankung) und Rekalzifizierung (Wiederherstellung der Knochendichte durch Calcium-Einlagerung in den Knochen).
Nebenwirkungen der Strahlentherapie
Obwohl moderne Bestrahlungstechniken (technische Methoden zur präzisen Strahlentherapie) wie intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT – computergesteuerte Anpassung der Strahlendosis) oder stereotaktische Bestrahlung (hochpräzise Strahlentherapie mit Millimeter-genauer Ausrichtung) darauf abzielen, Nebenwirkungen (unerwünschte Begleiterscheinungen der Therapie) zu minimieren, treten diese häufig auf und sind abhängig von Dosis (Strahlenmenge), Bestrahlungsregion (behandeltem Körperbereich) und individuellen Faktoren des Patienten.
Akute Nebenwirkungen (früh auftretende Nebenwirkungen, oft innerhalb weniger Wochen nach der Bestrahlung)
Akute Strahlenreaktionen (erste Reaktionen auf die Bestrahlung) manifestieren sich meist innerhalb von Wochen nach der Bestrahlung und betreffen vorrangig sich schnell erneuernde Gewebe (Gewebe mit hoher Zellteilungsrate):
- Mukositis (Schleimhautentzündung) – Besonders ausgeprägt bei Tumoren im Mund-, Rachen- und Ösophagusbereich (Speiseröhre), häufig verbunden mit Dysphagie (Schluckstörung) und Odynophagie (Schmerzen beim Schlucken).
- Gastrointestinale Beschwerden (Magen-Darm-Beschwerden) – Bei Abdominalbestrahlungen (Bestrahlung des Bauchraums) kommt es zu Nausea (Übelkeit), Erbrechen und Diarrhö (Durchfall) sowie einer Malabsorption (verminderte Aufnahme von Nährstoffen im Darm).
- Enteritis (Dünndarmentzündung) und Colitis (Dickdarmentzündung) – Durch Schädigung der Darmepithelien (Schleimhautschicht im Darm) treten entzündliche Reaktionen (Entzündungsprozesse im Gewebe) und Motilitätsstörungen (gestörte Darmbewegungen) auf.
Spätfolgen der Strahlentherapie (Monate bis Jahre nach der Behandlung auftretende Nebenwirkungen)
Langfristige Nebenwirkungen treten oft Monate bis Jahre nach Abschluss der Strahlenbehandlung auf und sind durch Fibrosierung (Bindegewebsvermehrung mit Verhärtung des Gewebes), Gefäßschäden (Schädigung der Blutgefäße) und funktionelle Beeinträchtigungen (eingeschränkte Organfunktion) gekennzeichnet:
- Lungenfibrose (vermehrtes Bindegewebe in der Lunge mit Funktionseinschränkung) nach thorakaler Bestrahlung (Bestrahlung des Brustkorbs)
- Kardiovaskuläre Komplikationen (Herz-Kreislauf-Erkrankungen) bei mediastinaler Bestrahlung (Bestrahlung des Raums zwischen den Lungen) (z. B. Myokardfibrose (Narbenbildung im Herzmuskel))
- Strahleninduzierte Neoplasien (durch Bestrahlung entstandene neue Krebserkrankungen) als seltene, aber relevante Spätkomplikation (langfristige Folgeerkrankung)
Fazit
Die Strahlentherapie ist ein essenzieller Bestandteil der modernen Krebstherapie mit sowohl kurativen (heilenden) als auch palliativen (lindernden) Anwendungsmöglichkeiten. Trotz bedeutender Fortschritte in der Präzisionsstrahlentherapie (exakte Bestrahlungstechnik zur Schonung des gesunden Gewebes) bleibt die Minimierung von Nebenwirkungen eine der größten Herausforderungen. Die Verträglichkeit der Strahlenbehandlung hängt maßgeblich von Allgemeinzustand, Ernährungsstatus und psychosozialer Unterstützung (emotionaler und sozialer Rückhalt) ab.
Weitere Hinweise
Gemäß einer Vergleichsstudie ist es durch eine stereotaktische ablative Bestrahlung möglich, bei Patienten mit Oligometastasen (wenige Tochtergeschwülste) im Vergleich zur Kontrollgruppe mit alleiniger standardmäßiger Palliativtherapie (medizinische Behandlung, die nicht auf die Heilung einer Erkrankung abzielt, sondern darauf, die Symptome zu lindern oder sonstige nachteilige Folgen zu reduzieren) das progressionsfreie Überleben (Zeitspanne zwischen dem Start einer klinischen Studie und dem Beginn der Progression der Erkrankung oder dem Todesdatum des Patienten) signifikant zu verlängern. Bei einem medianen Follow-up von im Median 25 Monaten in der Kontrollgruppe und bei 26 Monaten in der Gruppe mit Strahlentherapie zeigte ein 13 Monate längeres Überleben bei Strahlentherapie [1].
Literatur
- Palma DA et al.: Stereotactic ablative radiotherapy versus standard of care palliative treatment in patients with oligometastatic cancers (SABR-COMET): a randomised, phase 2, open-label trial. Lancet 2019. doi: http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(18)32487-5