Krebserkrankungen – Ernährungsmedizin inkl. Mikronährstofftherapie
Primärprävention
Die Ernährung bzw. die Nahrungsbestandteile können karzinogene (krebserregende) sowie protektive (schützende) Faktoren für eine Tumorerkrankung sein.
Im Rahmen der primären Prävention geht es darum, die Initiation und Promotion durch Nahrungsfaktoren zu bremsen.
Abhängig vom Stadium der Tumorentwicklung (1. Initiation, 2. Promotion, 3. Progression) kommt man zu unterschiedlichen mit der Ernährung verbundenen Wirkungsmechanismen:
- Phase 1 – Initiation
- Antioxidantien schützen vor der Wirkung freier Radikale oder ionisierender Strahlung. Zu dem verhindern sie die Entstehung karzinogener Verbindungen, wodurch das Risiko der neoplastischen Transformation verringert wird. Vitamin C blockiert beispielsweise die Bildung von N-Nitrosaminen aus Nitrit im Magen.
- Folsäure schützt über die Methylierung von DNS diese und vermindert deren Modifikation.
- Phase 2 – Promotion
- Wachstumsstimulierende Faktoren wie die Energiezufuhr, Wachstumshormone, Zytokine gelten als Promotoren.
- Nahrungsfette scheinen primär in der Promotionsphase der Kanzerogenese (Krebsentstehung) zu wirken. Hier spielt die Zusammensetzung der Fette eine Rolle. In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass Pflanzenöle mit hohem Gehalt an Linolsäure, einer Omega-6-Fettsäure (enthalten in Distel-, Sonnenblumen-, Maiskeimöl), promotorisch wirkten.
Die Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaen- (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) hemmen hingegen die Kanzerogenese.
Auf welche Weise die Fettsäuren die Kanzerogenese beeinflussen, ist noch nicht ausreichend geklärt. Hier gibt es viele Ansatzpunkte: Omega-3-Fettsäuren stimulieren den intrazellulären Proteinabbau. Dadurch ist der Anreiz zur Zellteilung geringer. Denkbar ist auch eine Änderung der Zusammensetzung der Zellmembranen, der Immunantwort und/oder der Prostaglandinsynthese. - In dem Wachstumsprozess spielen Carotinoide eine wichtige präventive Rolle. Sie beeinflussen die sogenannten gap junctions, die Nachbarzellen verbinden und für die interzelluläre Kommunikation von Bedeutung sind.
Beta-Carotin- und Vitamin A-Metabolite sind wichtig für die Differenzierung von Zellen. Auch Vitamin D wirkt über den gleichen Rezeptor.
Eine Studie zeigt, dass die Kanzerogenese bereits vor der Initiation beginnt, und zwar mit dem Verlust der interzellulären Kommunikation (Disjunktion). Vitamin D-Metabolite wie zum Beispiel 1,25(OH)2 D (1,25 Dihydroxycholecalciferol oder aktives Vitamin-D-Hormon) schützen vor dieser Disjunktion der Zellen [1].
N. B.: Die Leber metabolisiert Vitamin D3 (Cholecalciferol) zu 25 (OH) D, welches dann von den Nieren in 1,25(OH)2 D (1,25 Dihydroxycholecalciferol oder aktives Vitamin-D-Hormon) umgewandelt wird.
Vitamin D3 wird in der Haut durch Sonnenlicht (UV) synthetisiert. Natürliche Quellen des Vitamins D3 sind Lebertran und Eigelb.
Im Folgenden eine Zusammenfassung der Korrelationen zwischen Nahrungskomponenten und Tumorerkrankungen:
- Eine hohe Gesamtfettaufnahme steht im Zusammenhang mit einer erhöhten Häufigkeit für Brust-, Dickdarm-, Mastdarm-, Prostata- und Gebärmutterkrebs.
- Ein erhöhtes Körpergewicht und die Energiezufuhr sind Risikofaktoren für Brust-, Dickdarm-, Prostata-, Gebärmutterschleimhaut-, Gebärmutterhals-/Muttermund-, Nieren- und Schilddrüsenkrebs.
- Alkoholkonsum fördert die Entwicklung von Lungen-, Brust-, Mundhöhlen-, Speiseröhren-, Magen-, Bauchspeicheldrüsen- (hier exzessiver Konsum), Dickdarm- und Mastdarmkrebs.
- Geräucherte und gepökelte Nahrungsmittel sind Risikofaktoren für Speiseröhren-, Magen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs.
- Eine negative Korrelation existiert zwischen Obst-/Gemüseverzehr und Lungen-, Brust-, Mundhöhlen-, Dickdarm-, Prostata-, Gebärmutterhals-/Muttermund- und Blasenkrebs.
- Ballaststoffe schützen vor Dickdarm- und Mastdarmkrebs.
Zahlreiche Studien belegen, dass Menschen, die sich fleisch- und wurstarm ernähren, seltener an malignen Tumoren erkranken. Das wird vor allem darauf zurückgeführt, dass bei vorwiegend ovo-lacto-vegetarischer Ernährung mehr Mikronährstoffe und bioaktive Substanzen, die antikanzerogen wirken, sowie viele Ballaststoffe zugeführt werden.
Die Strategie lautet folglich: Verzehr von Lebensmitteln mit Initiatoren und Promotoren einschränken, Verzehr von Lebensmitteln mit antikanzerogener Wirkung und Antipromotoren erhöhen.
- Moderate Energiezufuhr
- Gesättigte Fettsäuren ↓
- Arachidonsäure (Omega-6-Fettsäure) ↓
- Linolsäure (Omega-6-Fettsäure) ↓
- Alkohol ↓
- Heterozyklische Amine (entstehen z. B. beim Grillen) ↓
- Nitrite (enthalten in gepökelten Fleischwaren) ↓
- Vitamin A, Beta-Carotin und Carotinoide, Vitamin C und E, Selen und Zink (= Antioxidantien), Vitamin D, Folsäure ↑
- Eicosapentaen- (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) (Omega-3-Fettsäuren) ↑
Hinweis!
Eine ausreichende Calciumaufnahme kann Dickdarmkrebs vorbeugen. Calcium bindet im Dickdarm kanzerogene (krebserregende) Gallensäuren [2].
Des Weiteren sollte auf eine ausreichende Versorgung mit sogenannten bioaktiven Substanzen – v. a. sekundäre Pflanzenstoffe – geachtet werden. Sie unterstützen das Immunsystem und neutralisieren kanzerogene Stoffe. Wahrscheinlich gibt es mehr als 60.000 sekundäre Pflanzenstoffe.
Antikanzerogene (krebshemmend) Wirkung wird folgenden Substanzklassen sekundärer Pflanzenstoffe zugeordnet:
- Carotinoide: Orangen, in gelbem und grünem Gemüse (Alpha- und Beta-Carotin, Lutein, Zeaxanthin), Tomaten, Tomatenmark (Lycopin)
- Phytosterine: in kalt gepressten Ölen, Nüssen (Pistazien, Macadamia, Pinienkerne, Mandeln, Pekannüsse)
- Saponine: in Hülsenfrüchten, Sojabohnen und -produkte
- Glucosinolate: in Senf, Kohlarten, Meerrettich
- Polyphenole
- Flavonoide: in der Schale von roten, violetten, blauen und gelben Früchten wie Himbeeren, Blaubeeren, Preiselbeeren, Weintrauben, Wein (Quercetin), Äpfeln, Kopfsalat, Rotkohl, grüner Tee
- Phytoöstrogene: in Sojabohnen, -produkte, Leinsamen, Roggen, Weizenkleie
- Protease-Inhibitoren: in Hülsenfrüchten
- Monoterpene: in Zitrusfrüchten, Kräutern, Gewürzen
- Sulfide: in Zwiebelgewächsen
Sekundärprävention
Wenn ein Tumorleiden als geheilt gilt, zielt die Ernährung einerseits darauf ab, die Folgen der Tumorkrankheit auszugleichen. Andererseits soll das Risiko eines Rezidivs gering gehalten werden. Hier soll sich der Patient an den Vorgehens- und Verhaltensweisen orientieren, wie sie im Rahmen der Primärprävention gelten.
Ernährungstherapie bei Tumorerkrankung
Eine richtige "Krebsdiät" gibt es nicht, denn maligne Zellen sind unabhängig von Regulationsmechanismen und wachsen autonom.
Circa die Hälfte aller Tumorpatienten weist Störungen in der Nahrungsaufnahme, der Nahrungsverwertung und im Stoffwechsel auf. Diese Ernährungsprobleme sind entweder direkt durch das Karzinom bedingt oder allgemeine, systemische Auswirkungen des Tumors und der Therapie.
Oberstes Ernährungsziel ist die Verbesserung des Allgemeinbefindens sowie die Verhütung bzw. Behandlung der Malnutrition (Mangelernährung). Weitere Ziele sind:
- Unterstützung der adjuvanten Therapie während der Antitumortherapie
- Sicherung der Nährstoffzufuhr (Makro- und Mikronährstoffe) bei Patienten mit gastrointestinalen Funktionsstörungen
- Orale Nahrungsaufnahme so lange wie möglich beibehalten und unterstützen
- Appetitsteigerung
- Beschwerden durch Chemo- und Strahlentherapie reduzieren
Sowohl Malnutrition als auch Kachexie haben einen hohen Einfluss auf Lebensqualität und Überlebensdauer. Bis zu 50 % der Tumorpatienten können mangelernährt sein. 20 % der Todesfälle gehen allein auf die Malnutrition zurück.
Bei 80 % der Patienten mit Bauchspeicheldrüsen- und Magenkrebs tritt bereits vor der Diagnosestellung ein deutlicher Gewichtsverlust auf.
Bei Brustkrebs, Leukämien, Lymphomen und Sarkomen in etwa 30-40 % der Fälle.
Ein Drittel der Patienten mit Lungenkrebs verlieren vor der Diagnose circa 5 % ihres Körpergewichtes.
Die Kachexie (Auszehrung) ist die wichtigste unmittelbare Todesursache bei Tumorpatienten. Dabei hatten die Patienten, die bereits vor der Diagnosestellung an Gewicht verloren, die schlechteste Prognose.
Häufig verhindert die Malnutrition die optimale Durchführung einer Antitumor-Therapie. Folgen einer Malnutrition sind:
- Muskelschwäche – auch die Atemmuskulatur ist betroffen, Pneumonien können entstehen
- Immobilität – Dekubitus und Thrombosen sind die Folgen
- Immunschwäche
- Müdigkeit und schlechtes Allgemeinbefinden
- Gewichtsverlust
Das Ernährungsverhalten sowie der Ernährungszustand des Tumorpatienten sollten regelmäßig kontrolliert (regelmäßige Durchführung einer Body-Analyse) werden, um eine Malnutrition so früh wie möglich zu erkennen.
Indikation zur Ernährungstherapie bei drohender Mangelernährung
- Ungenügende Nahrungsaufnahme – < 60 % des Tagesbedarfs während mehr als einer Woche
- Anhaltende Diarrhöen (Durchfälle)
- Polychemotherapie
Indikation zur Ernährungstherapie bei Mangelernährung
- Aktuelles Gewicht < 90 % des optimalen Körpergewichts
- Unbeabsichtigter Gewichtsverlust > 10 % in 6 Monaten bzw. > 5 % in 3 Monaten
- Serumalbumin (Bluteiweiß) < 35 g/dl, Transferrin (Eisentransporteiweiß) erniedrigt
- Kontinuierlicher Abfall von Albumin, Cholinesterase (Leberenzym) oder Transferrin
- Nachweis von isolierten Mikronährstoffdefiziten (Vitalstoffe)
Bei fortgeschrittener Tumorerkrankung oder auch bei Appetitmangel sowie bei Problemen, größere Mengen an Essen aufzunehmen, sollten flüssige Nahrungskonzentrate bzw. Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zum Diätmanagement bei Untergewicht/Mangelernährung zugeführt werden, zur Hilfe genommen werden. Bei Gewichtsabnahme sollte frühzeitig damit begonnen werden.
Zu Beginn sollten nicht mehr als 200 ml am Tag getrunken werden, da es sonst zu Durchfällen kommen kann. Später können ohne Weiteres 600 ml am Tag zugeführt werden, am besten zwischen den Hauptmahlzeiten.
Wenn die orale Nahrungsaufnahme nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, muss der Tumorpatient enteral über eine Sonde bzw. parenteral (über den Port oder Hickman-Broviak-Katheter) ernährt werden. Ein bereits erlittener Verlust an Körpergewicht ist nur schwer wieder auszugleichen.
Literatur
- Garland CF, Gorham ED, Mohr SB, Garland FC.
Vitamin D for Cancer Prevention: Global Perspective.
Ann Epidemiol 19:468-483; 2009 - Park Y, Leitzmann MF, Subar AF, Hollenbeck A, Schatzkin A.
Dairy food, calcium, and risk of cancer in the NIH-AARP Diet and Health Study.Arch Intern Med. 2009 Feb 23;169(4):391-401.
Leitlinien
- S3-Leitlinie: Klinische Ernährung in der Onkologie. (AWMF-Registernummer: 073-006), Oktober 2015 Langfassung