Hodengeschwülste (Hodenmalignome) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Hodenmalignome (bösartige Hodentumoren) entstehen durch unkontrolliertes Zellwachstum im Hodenparenchym (Hodengewebe), wobei die Mehrheit der Tumoren (ca. 85-90 %) von den Keimzellen (Spermienvorläuferzellen) ausgeht. Diese als Keimzelltumoren (KZT) bezeichneten Neubildungen sind die häufigsten malignen Hodentumoren.

Einteilung der Keimzelltumoren (KZT)

Man unterteilt die Keimzelltumoren in zwei Hauptgruppen:

  1. Seminome:
    • Diese Tumorart macht etwa 60 % aller KZT aus. Seminome bestehen aus relativ einheitlichen Keimzellen, die in der Regel nur einen Zelltyp aufweisen. Sie haben ein langsameres Wachstum und ein geringeres Metastasierungspotential im Vergleich zu Nichtseminomen.
    • Histologisch sind Seminome durch die homogene Anordnung der Keimzellen, ein helles Zytoplasma und das Vorhandensein von Lymphozyteninfiltraten gekennzeichnet.
  2. Nichtseminomatöse Keimzelltumoren (NSKZT):
    • Diese Tumorgruppe umfasst mehrere Subtypen, die sich durch unterschiedliche histologische und biologische Merkmale auszeichnen. Zu den NSKZT zählen:
      • Chorionkarzinome: Ein sehr seltener, aber hochmaligner Tumor mit hoher hCG-Produktion (humanes Choriongonadotropin), der besonders aggressiv ist und früh metastasiert.
      • Dottersacktumoren: Treten häufig bei Kindern auf und sind durch die Produktion von alpha-Fetoprotein (AFP) charakterisiert.
      • Embryonalzellkarzinome: Diese Tumoren sind aus undifferenzierten, embryonalen Zellen aufgebaut und haben ein hohes Malignitätspotenzial.
      • Teratome: Tumoren mit einer differenzierten Zellstruktur, die Gewebe aus allen drei Keimblättern (Ektoderm, Mesoderm und Endoderm) enthalten können. Teratome treten oft als gemischte Tumoren zusammen mit anderen Keimzellkomponenten auf.

Pathogenese der Keimzelltumoren

Die Keimzelltumoren entwickeln sich in den meisten Fällen aus einer Vorläuferläsion, die als intratubuläre Keimzellneoplasie (IGCN) oder germ cell neoplasia in situ (GCNIS) bezeichnet wird. Bei der IGCN liegen dysplastische Keimzellen innerhalb der Samenkanälchen (Tubuli seminiferi), die noch keine invasiven Eigenschaften haben. Diese dysplastischen Zellen weisen oft chromosomale Aberrationen auf, insbesondere im Chromosom 12p, was für viele KZT charakteristisch ist.

  • Patienten mit IGCN haben ein 50-prozentiges Risiko, dass sich daraus innerhalb von 5 Jahren ein invasives Keimzelltumor entwickelt. Die Transformation einer IGCN in einen malignen Keimzelltumor wird durch eine Aneuploidie (Fehlverteilung der Chromosomen) und eine fehlregulierte Genexpression begünstigt.

Molekulare Mechanismen

Die Pathogenese der Keimzelltumoren ist komplex und beinhaltet genetische, epigenetische und hormonelle Faktoren:

  • Eine zentrale Rolle spielt die Veränderung des Chromosoms 12p (Gain of 12p), die in fast allen malignen Keimzelltumoren nachweisbar ist.
  • Weitere wichtige genetische Veränderungen betreffen das KIT-Gen und das RAS-MAPK-Signalweg, die eine erhöhte Proliferation und fehlende Differenzierung der Keimzellen begünstigen.
  • Die Mutation oder Verstärkung des OCT3/4-Gens (ein pluripotenzspezifischer Transkriptionsfaktor) ist charakteristisch für embryonale Keimzellen und findet sich häufig in undifferenzierten KZT.

Risikofaktoren und prädisponierende Faktoren

Verschiedene Risikofaktoren sind mit der Entstehung von Keimzelltumoren assoziiert:

  • Kryptorchismus (Hodenhochstand): Der Hodenhochstand ist der wichtigste prädisponierende Faktor für die Entwicklung eines Keimzelltumors. Männer mit Kryptorchismus haben ein 3- bis 14-fach erhöhtes Risiko, einen Hodentumor zu entwickeln.
  • Genetische Prädisposition: Eine familiäre Belastung und spezifische genetische Mutationen (z. B. Mutationen im KIT-Gen oder C-KIT-Protoonkogen) erhöhen das Risiko für die Entstehung eines KZT.
  • Androgeninsensitivitätssyndrom (AIS) und gonadale Dysgenesien sind ebenfalls mit einem erhöhten Tumorrisiko verbunden.
  • Umweltfaktoren wie exogene Hormonexposition in der Schwangerschaft und chemische Noxen (z. B. Pestizide) werden als mögliche Risikofaktoren diskutiert.

Zusammenfassung

Die Pathogenese der Hodenmalignome ist gekennzeichnet durch die Entwicklung aus dysplastischen Keimzellen (IGCN), die durch chromosomale Veränderungen, fehlende Genregulation und epigenetische Modifikationen im Verlauf in einen invasiven Keimzelltumor übergehen können. Es wird zwischen Seminomen und Nichtseminomen unterschieden, wobei Letztere aus mehreren Subtypen bestehen, die sich in ihrer Histologie und ihrem biologischen Verhalten unterscheiden. Risikofaktoren wie Kryptorchismus, genetische Prädispositionen und hormonelle Dysbalancen sind entscheidend für die Entwicklung von Hodenmalignomen.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung – positive Familienanamnese der ersten Generation von Angehörigen (Risiko ca. 4-6-fach erhöht bei Erkrankung des Vaters, 8-10-fach bei Erkrankung des Bruders)
    • 39 Risikogene erklären ein Drittel der Seminome von Vater und Sohn [1]
    • Genetische Erkrankungen
      • Klinefelter-Syndrom – genetische Erkrankung mit meist sporadischem Erbgang: numerische Chromosomenaberration (Aneuploidie) der Geschlechtschromosomen (Gonosomen-Anomalie), die nur bei Jungen bzw. Männern auftritt; in der Mehrzahl der Fälle durch ein überzähliges X-Chromosom (47, XXY) gekennzeichnet; klinisches Bild: Großwuchs und Hodenhypoplasie (kleiner Hoden), bedingt durch einen hypogonadotropen Hypogonadismus (Keimdrüsenunterfunktion); meist spontaner Pubertätsbeginn, jedoch schlechter Pubertätsfortschritt 
  • Sozioökonomische Faktoren – hoher sozioökonomischer Status

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Genussmittelkonsum
    • Tabakkonsum – Steigerung des Verhältnisses (der Zahl von Marihuanakonsumenten zu -nichtkonsumenten) um 18 % (Odds-Ratio, OR 1,18), bezogen auf Keimzelltumoren des Hodens [2].
  • Drogenkonsum
    • Cannabis (Haschisch und Marihuana) – Um 71 % erhöhtes Risiko für nichtseminomatöse Keimzelltumoren [2].

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Maldescensus testis (Hodenhochstand), angeborener – circa 8-fach erhöhtes Risiko für den ipsilateralen Hoden (Hoden auf der gleichen Seite); Risikoreduktion auf den Faktor 2,3 durch eine Orchidopexie (operative Fixierung des Hodens im Hodensack)
  • Kontralateraler ("auf der entgegengesetzten Körperseite gelegen") Hodentumor (als Vorerkrankung) (Risiko ca. 2 %)
  • Infertilität/Sterilität (Unfruchtbarkeit) (Inzidenz/Häufigkeit von Neuerkrankungen von Hodentumoren 1:2.000) 

Umweltbelastung inklusive Belastungen (Intoxikationen) am Arbeitsplatz

  • Kontakt mit in Ruß enthaltenem Benzo(a)pyren (1,2-Benzpyren) (Schornsteinfeger)

Literatur

  1. Wang Z et al.: Meta-analysis of five genome-wide association studies identifies multiple new loci associated with testicular germ cell tumor. Nature Genetics (2017) doi:10.1038/ng.3879 Received 03 April 2016 Accepted 27 April 2017 Published online 12 June 2017
  2. Song A et al.: Incident testicular cancer in relation to using marijuana and smoking tobacco: A systematic review and meta-analysis of epidemiologic studies. Urol Oncol 2020; https://doi.org/10.1016/j.urolonc.2020.03.013