Hirntumoren – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Hirntumoren entstehen primär aus Zellen des neuroepithelialen Ursprungs, also aus Zellen des Zentralnervensystems (ZNS) wie Gliazellen, Neuronen oder Ependymzellen. Die genauen Mechanismen, die zur Entstehung von Hirntumoren führen, sind nach wie vor nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch mehrere Hinweise auf genetische und molekulare Veränderungen, die eine Schlüsselrolle in der Tumorentstehung und -entwicklung spielen.

Genetische Prädisposition und Mutationen

Bestimmte genetische Veränderungen und Mutationen werden in Verbindung mit der Entstehung von Hirntumoren, insbesondere Gliomen, gebracht. Dazu gehören Mutationen in Onkogenen (Gene, die das Tumorwachstum fördern) sowie in Tumorsuppressorgenen (Gene, die das Zellwachstum kontrollieren). Beispiele sind:

  • IDH-Mutationen (Isocitrat-Dehydrogenase-Mutationen), die häufig bei low-grade-Gliomen (niedriggradigen Gliomen) auftreten und mit einer besseren Prognose assoziiert sind.
  • TP53-Mutationen, die häufig in hochgradigen Gliomen (high-grade-Glioblastomen) vorkommen und zu einer gestörten Regulation des Zellzyklus und der Apoptose (Zelltod) führen.

Molekulare Subtypen

Die molekulare Klassifikation von Hirntumoren hat bedeutende Fortschritte gemacht. Bei Gliomen hat eine genomweite Assoziationsstudie (GWAS) die histopathologische Zweiteilung bestätigt, bei der high-grade-Glioblastome von low-grade-Gliomen unterschieden werden [8]. Diese Zweiteilung basiert auf genetischen und molekularen Markern, die sowohl die Aggressivität des Tumors als auch die Prognose des Patienten beeinflussen.

Signaltransduktionswege

Hirntumoren, insbesondere Gliome, sind häufig durch eine Dysregulation bestimmter Signaltransduktionswege gekennzeichnet, die das Zellwachstum und die Zellteilung kontrollieren. Beispiele sind:

  • Der PI3K/AKT/mTOR-Signalweg, der bei vielen hochgradigen Tumoren aktiviert ist und das Zellwachstum sowie die Resistenz gegenüber Apoptose fördert.
  • Der MAPK-Signalweg, der durch Mutationen in BRAF und anderen Onkogenen aktiviert werden kann, was ebenfalls das Tumorwachstum beschleunigt.

Epigenetische Veränderungen

Neben genetischen Veränderungen spielen auch epigenetische Mechanismen eine Rolle in der Tumorentwicklung. Dazu gehören DNA-Methylierungen und Histonmodifikationen, die die Genexpression ohne Veränderungen der DNA-Sequenz beeinflussen. MGMT-Methylierung (O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase) ist beispielsweise ein epigenetischer Marker, der mit einer besseren Ansprechrate auf die Chemotherapie bei Glioblastomen assoziiert ist.

Entartung neuroepithelialer Zellen

Da die meisten Hirntumoren neuroepithelialen Ursprungs sind, wird angenommen, dass die Entartung dieser Zellen eine entscheidende Rolle in der Tumorentstehung spielt. Neuroepitheliale Zellen umfassen Gliazellen (z. B. Astrozyten, Oligodendrozyten), Ependymzellen und Neuronen. Die Entstehung eines Tumors kann auf eine Fehlsteuerung des Zellwachstums und der Zellteilung in diesen Zellen zurückzuführen sein, was zur unkontrollierten Vermehrung und schließlich zur Bildung eines Tumors führt.

Zelluläre und mikroumgebungsbedingte Faktoren

Die Mikroumgebung des Tumors, insbesondere die Interaktionen zwischen Tumorzellen und den umgebenden Gliazellen oder Blutgefäßen, spielt eine entscheidende Rolle in der Progression des Tumors. Tumorzellen können die Blut-Hirn-Schranke durchbrechen und die Angiogenese (Bildung neuer Blutgefäße) fördern, was das Tumorwachstum begünstigt.

Zusammenfassung

Die Pathogenese der Hirntumoren basiert auf einer komplexen Interaktion von genetischen Mutationen, epigenetischen Veränderungen und molekularen Signalwegen, die zu einer unkontrollierten Zellproliferation und Tumorbildung führen. Besonders bei Gliomen spielen spezifische genetische Mutationen wie IDH- und TP53-Mutationen sowie dysregulierte Signaltransduktionswege eine entscheidende Rolle. Die neuroepithelialen Ursprungszellen des ZNS sind die primären Ausgangszellen für die Tumorentstehung, wobei die Mikroumgebung des Gehirns das Tumorwachstum weiter fördert. Eine genomweite Assoziationsstudie (GWAS) hat die histopathologische Zweiteilung bestätigt, die das „high-grade“-Glioblastom von den „low-grade“-Gliomen abgrenzt [8].

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern (nur ca. 1-5 % der Gliome sind hereditär/erblich bedingt)
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen, bezogen auf Gliome (eine Art von Hirntumoren, gebildet aus Gliazellen (Stützzellen des Nervengewebes)):
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: CDKN2B-AS1, PARP1, TERT
        • SNP: rs55705857 in einer intergenischen Region
          • Allel-Konstellation: AG (6,0-fach)
          • Allel-Konstellation: GG (> 6,0-fach)
        • SNP: rs4977756 im Gen CDKN2B-AS1
          • Allel-Konstellation: AG (1,39-fach)
          • Allel-Konstellation: GG (1,93-fach)
        • SNP: rs4295627 in einer intergenischen Region
          • Allel-Konstellation: GT (1,36-fach)
          • Allel-Konstellation: GG (1,85-fach)
        • SNP: rs2736100 im Gen TERT
          • Allel-Konstellation: GT (1,27-fach)
          • Allel-Konstellation: GG (1,61-fach)
        • SNP: rs1136410 im Gen PARP1
          • Allel-Konstellation: CT (0,80-fach)
          • Allel-Konstellation: CC (< 0,80-fach)
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen, bezogen auf Meningiome (Tumoren, die nicht im Gehirngewebe wachsen, sondern von den Hirnhäuten ausgehen):
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: BRIP1, MILLT10, MTRR
        • SNP: rs4968451 im Gen BRIP1
          • Allel-Konstellation: AC (1,61-fach)
          • Allel-Konstellation: CC (2.33-fach)
        • SNP: rs11012732 im Gen MILLT10
          • Allel-Konstellation: AG (1,4-fach)
          • Allel-Konstellation: GG (2,0-fach)
        • SNP: rs1801394 im Gen MTRR
          • Allel-Konstellation: GG (1,4-fach)
  • Entwicklungsgeschichtliche Fehlbildungen
  • Hohes Geburtsgewicht (≥ 4.000 g) – Zusammenhang mit Astrozytomen [9]
  • Bildung – mindestens drei Jahre eine universitäre Ausbildung – versus Schullaufbahn nach neun Pflichtjahren beendet – führt zu einer höheren Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Gliomen [5]:
    • Männer: 19 % 
    • Frauen: 23 % 
  • Hormonelle Faktoren

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Psycho-soziale Situation
    • hoher Verdienst – bei Männern Risikoerhöhung für ein Glioms um 14 % [5]
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas); höhere Wahrscheinlichkeit an einem Meningeom zu erkranken [4]:
    • BMI 25-29.9: 21 %
    • BMI ≥ 30: 54 %

Krankheitsbedingte Ursachen

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Onkogene Viren

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Hirnmetastasen (Metastasen/Tochtergeschwülste, symptomatische) ‒ bis zu 20 % der Fälle [6]; vor allem bei Bronchialkarzinom (Lungenkrebs), Mammakarzinom (Brustkrebs), malignes (bösartiges) Melanom (schwarzer Hautkrebs; höchste Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) für zerebrale Metastasierung/bis zu 70 % in Autopsiestudien [7]), Nierenzellkarzinom, Lymphome, Prostatakarzinom (Prostatakrebs), Magen-Darm-Neubildungen, Schilddrüsenkarzinom; in 3-10 % der Fälle ist der Primärtumor unbekannt
  • Primäre Lymphome des Zentralnervensystems (PZNSL) –  2 bis 4 % aller primären Hirntumore; aggressive Hirntumore

Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Karzinogene
  • Ionisierende Strahlen

Medikamente

  • Zolpidem (Hypnotikum/Schlafmittel) – Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) benigner (gutartiger) Hirntumoren höher (Einnahmedauer: > 2 Monate Zolpidem; höchste Risiko für benigne Hirntumoren: Zolpidem-Exposition von ≥ 520 mg/Jahr) [2]

Strahlentherapie

  • Computertomographische Diagnostik in einem Alter von unter 20 Jahren (5,6-jährige Nachbeobachtungszeit; zuvor eine Frist von fünf Jahren nach der CT verstrichen): In der Nachbeobachtungzeit traten 165 Hirntumoren auf, darunter 121 Gliome;  mittlere kumulative Gehirndosis lag bei 47,4 mGy, bei Personen mit einem Hirntumor bei 76,0 mGy. Im Verlauf von fünf bis 15 Jahren entwickelten von 10.000 Kindern und Jugendlichen, bei denen eine einzelne Kopf-CT vorgenommen wurde, aufgrund der Strahlenexposition eine Person einen bösartigen Hirntumor [11].
  • Nach einer Computertomographie (CT) im Kopf-Halsbereich ist das Tumorrisiko für Kinder erhöht. Dieses gilt vor allem für Schilddrüsenkarzinome (um 78 % erhöht) und Hirntumoren (um 60 % erhöht). Die Gesamtkrebshäufigkeit ist um 13 % erhöht [1].
  • Die internationale Interphone-Studie mit 5.963 Patienten mit Hirntumoren (2.644 Gliome, 2.236 Meningeome, 1.083 Akustikusneurinome) konnte keinen zweifelsfreien Zusammenhang zwischen den radiologischen Untersuchungen und erhöhten Odds Ratios für Gliome, Meningeome oder Akustikusneurinome feststellen. Dieses gilt auch für Untersuchung mit den am höchsten veranschlagten Gehirndosen, Schädel-Computertomographie (20 mGy) und zerebrale Angiographie (5 mGy) [10].

Weiteres

  • Handy-Gebrauch (Mobiltelefone; schnurlose Festnetzgeräte) – statistisch signifikantes Risiko für Gliome bei einem Handy-Gebrauch > 1 Jahr; bes. hoch war das Risiko bei Exposition vor dem 20. Lebensjahr [3]

Literatur

  1. Chen JX et al.: Risk of Malignancy Associated with Head and Neck CT in Children: A Systematic Review. Otolaryngol Head Neck Surg 2014, online 22. Juli; doi: 10.1177/0194599814542588
  2. Harnod T et al.: Higher-Dose Uses of Zolpidem Will Increase the Subsequent Risk of Developing Benign Brain Tumors. http://dx.doi.org/10.1176/appi.neuropsych.14010006
  3. Hardell L et al.: Mobile phone and cordless phone use and the risk for glioma – Analysis of pooled case-control studies in Sweden, 1997-2003 and 2007-2009. Pathophysiology. 2015 Mar;22(1):1-13. doi: 10.1016/j.pathophys.2014.10.001.
  4. Niedermaier T et al.: Body mass index, physical activity, and risk of adult meningioma and glioma. A meta-analysis, Neurology. 2015 Oct 13;85(15):1342-50. doi: 10.1212/WNL.0000000000002020.
  5. Khanolkar AR et al.: Socioeconomic position and the risk of brain tumour: a Swedish national population-based cohort study. J Epidemiol Community Health doi:10.1136/jech-2015-207002
  6. Lin X, DeAngelis LM: Treatment of Brain Metastases. J Clin Oncol 2015; 33: 3475-84
  7. Patel JK, Didolkar MS, Pickren JW et al.: Metastatic pattern of malignant melanoma. A study of 216 autopsy cases. Am J Surg 1978; 135: 807-10
  8. Institute of Cancer Research. "Largest ever brain cancer study reveals new secrets to inherited risk." ScienceDaily. ScienceDaily, 27 March 2017.
  9. Dahlhaus A et al.: Birth weight and subsequent risk of childhood primary brain tumors: An updated meta‐analysis. Pediatric Blood & Cancer Volume 64, Issue 5 May 2017 https://doi.org/10.1002/pbc.26299
  10. Auvinen A et al.: Diagnostic radiological examinations and risk of intracranial tumours in adults—findings from the Interphone Study. Int J Epidemiol 2021; https://doi.org/10.1093/ije/dyab140
  11. Hauptmann M et al.: Brain cancer after radiation exposure from CT examinations of children and young adults: results from the EPI-CT cohort study. Lancet Oncol 2023;24:45-53; https://doi.org/10.1016/S1470-2045(22)00655-6