Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Entstehung des Ovarialkarzinoms ist trotz umfangreicher Forschung bislang nicht vollständig geklärt. Allerdings hat sich in den letzten Jahren das Verständnis der Krankheitsentstehung erheblich weiterentwickelt, insbesondere durch die Erkenntnis, dass es sich um eine dualistische Genese handelt, bei der zwei verschiedene Entstehungswege unterschieden werden.

Typ-1-Karzinome ("Low Grade")

Typ-1-Karzinome sind meist niedriggradige, langsam wachsende Tumoren, die aus klar definierten Vorläuferläsionen entstehen. Diese Tumoren umfassen:

  • Borderline-Tumoren (tumorähnliche Wucherungen mit niedrigem malignem (bösartigen) Potenzial),
  • Endometrioide Tumoren,
  • Muzinöse Tumoren und
  • Klarzellige Tumoren.

Diese Karzinome entwickeln sich aus länger bestehenden Vorläuferläsionen, wie z. B. den Borderline-Tumoren, und durchlaufen eine schrittweise maligne Transformation. Sie zeigen häufig genetische Mutationen, die in weniger aggressiven Tumoren vorkommen, wie KRAS-, BRAF- oder PTEN-Mutationen.

Typ-2-Karzinome ("High Grade")

Typ-2-Karzinome sind in der Regel hochgradig maligne, aggressiv und schnell wachsend. Sie entstehen nicht aus definierten Vorläuferläsionen im Ovar, sondern häufig aus serösen tubären intraepithelialen Karzinomen (STIC), die sich in den Eileitern (Tuben) befinden. Diese Tumoren betreffen vor allem das hochgradig seröse Ovarialkarzinom, das die häufigste und aggressivste Form des Ovarialkarzinoms darstellt.

  • Ursprung in den Eileitern: Es wird heute angenommen, dass viele Typ-2-Ovarialkarzinome nicht direkt im Ovar, sondern in den Tubenepithelien beginnen und sich von dort aus auf die Ovarien (Eierstöcke) und andere Strukturen im Becken ausbreiten. Diese Tumoren sind in der Regel mit Mutationen im TP53-Gen assoziiert, das eine Schlüsselrolle bei der Regulation des Zellzyklus spielt.
  • Intraepitheliale Läsionen: Diese Tumoren entstehen aus intraepithelialen Läsionen (STIC), die innerhalb des Epithels der Eileiter zu finden sind. Sie sind oft schwer zu diagnostizieren, da sie klinisch asymptomatisch sind, aber genetische und molekulare Studien zeigen, dass sie der Ursprung der hochgradigen serösen Ovarialkarzinome sein können.

Weitere Faktoren:

  • Genetische Prädisposition: Frauen mit genetischen Mutationen, insbesondere in den BRCA1- und BRCA2-Genen, haben ein signifikant erhöhtes Risiko, ein Ovarialkarzinom zu entwickeln, insbesondere vom Typ-2.
  • Umwelt- und hormonelle Faktoren: Auch hormonelle Einflüsse, wie Ovulationszyklen und exogene Hormone, sowie Umweltfaktoren können die Entstehung von Ovarialkarzinomen beeinflussen.

Zusammenfassung

Das Ovarialkarzinom wird heute in zwei Typen unterteilt:

  • Typ-1-Karzinome sind niedriggradige Tumoren, die sich aus klar definierten Vorläuferläsionen, wie den Borderline-Tumoren, entwickeln und langsam fortschreiten.
  • Typ-2-Karzinome sind hochgradig maligne und aggressiv und entstehen häufig aus intraepithelialen Läsionen in den Eileitern (Tuben), wie dem serösen tubären intraepithelialen Karzinom (STIC).

Die dualistische Genese bietet ein besseres Verständnis der Entstehung und Differenzierung dieser Tumoren und erlaubt zielgerichtetere Diagnostik und Therapieansätze.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern (familiär gehäufte Auftreten von Ovarialkarzinom (Eierstockkrebs) und Mammakarzinom (Brustkrebs)); positive Familienanamnese für ein Ovarialkarzinom (= 9.8-fache Risikoerhöhung [8]) :
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: HOXD-AS1, SKAP1, TIPARP, XRCC2
        • SNP: rs2072590 im Gen HOXD-AS1
          • Allel-Konstellation: GT (1,2-fach)
          • Allel-Konstellation: TT (1,4-fach)
        • SNP: rs9303542 im Gen SKAP1
          • Allel-Konstellation: AG (1,1-fach)
          • Allel-Konstellation: GG (1,2-fach)
        • SNP: rs2665390 im Gen TIPARP
          • Allel-Konstellation: CT (1,2-fach)
          • Allel-Konstellation: CC (0,8-fach)
        • SNP: rs3814113 in einer intergenischen Region
          • Allel-Konstellation: CT (0,8-fach)
          • Allel-Konstellation: CC (0,8-fach)
        • SNP: rs3218536 im Gen XRCC2
          • Allel-Konstellation: AG (0,8-fach)
          • Allel-Konstellation: AA (0,64-fach)
      • Bei Frauen mit einer BRCA-Mutation beträgt das Risiko – im Laufe des Lebens – an einem Mammakarzinom zu erkranken, circa 60 bis 80 %.
        Das Lebenszeitrisiko, an einem Ovarialkarzinom (Eierstockkrebs) zu erkranken, beträgt für Trägerinnen der BRCA1-Mutation circa 40 bis 60 Prozent und bei Trägerinnen der BRCA2-Mutation circa 10 bis 30 %. 
      • Trägerinnen der BRCA3-Mutation (RAD51C) haben ebenfalls ein deutlich erhöhtes Risiko für Mamma- und Ovarialkarzinom. Die Frequenz (Häufigkeit) von RAD51C-Keimbahnmutationsträgern in Hochrisikofamilien wird jedoch nur auf ca. 1,5 % bis maximal 4 % geschätzt (BRCA1: ca. 15 %, BRCA2: ca. 10 %). Das Lebenszeitrisiko für Mammakarzinom wird in der Literatur bei RAD51C-Mutationsträgerinnen mit ca. 60 bis 80 % angegeben, das Risiko für Ovarialkarzinom soll bei ca. 20 bis 40 % liegen.
  • Ethnische Herkunft – Zugehörigkeit zur weißen Rasse
  • Hormonelle Faktoren – Kinderlosigkeit
  • Berufe 
    • Berufsgruppen mit beruflichem Kontakt mit Karzinogenen wie Talkum oder Asbest
    • Berufe wie Friseurin und Kosmetikerin sowieTätigkeiten in der Baugewerbe [13]
  • Sozioökonomische Faktoren – hoher sozioökonomischer Status

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Verzehr von hoch verarbeiteten Nahrungsmitteln („Ultra-processed Foods“, UPF): Lebensmittel die mit viel Salz, Fett und Zucker/Süßstoffen geschmacklich optimiert sind: Mit jedem Anteil der UPF an der Nahrung um 10 %-Punkte stieg das Gesamtrisiko einer Krebserkrankung um 2 % und das Risiko eines Ovarialkarzinoms um 19 % [12].
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) (+ 10 %) [7]

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Aszendierende (aufsteigende) Infektionen der weiblichen Geschlechtsorgane
    • Seropositivität (= Individuen, bei denen Antikörper gegen ein bestimmtes Antigen gefunden werden können) auf Chlamydien/C. trachomatis kam bei 20 % der Ovarialkarzinom-Patientinnen vor (12 % der Kontrollen) [10]
  • Endometriose – gutartige Erkrankung, bei der Gebärmutterschleimhaut an verschiedenen Stellen inner- und außerhalb der Gebärmutter wächst
  • Mammakarzinom (Brustkrebs)
  • „pelvic inflammatory disease“ (PID): Adnexitis (ls Ursache des Ausflusses kann es zu einer aszendierenden (aufsteigenden) Infektion und infolgedessen zu chronischen Entzündungen (z. B. Adnexitis/) – erhöhtes Risiko für ein epitheliales Ovarialkarzinom (bereinigtes Odds-Ratio: 1,39). Frauen, die mehrere PID durchgemacht hatten, schienen das größte Risiko für eine spätere Krebserkrankung zu haben [14].
  • Oligomenorrhoen (Zyklen mit einer Dauer von mehr als 35 Tagen) oder häufiger Anovulation (Zyklen ohne Eisprung): 2-fach erhöhtes Risiko vor dem 70. Geburtstag an einem Ovarialkarzinom zu sterben (95-Prozent-Konfidenzintervall 1,1 bis 3,4); bis zum Alter von 77 Jahren 3-fach erhöhtes Risiko (95-Prozent-Konfidenzintervall 1,5-6,7 für die Inzidenz und 1,4-5,9 für die Mortalität) [6]

Medikamente

  • Hormontherapie (HT) nach der Menopause (Zeitpunkt der letzten spontanen Menstruation im Leben einer Frau) – unabhängig von der Art der HT (Östrogen oder eine Östrogen-Gestagen-Kombination) – begünstigt die Entstehung eines Ovarialkarzinoms. Die Collaborative Group on Epidemiological Studies of Ovarian Cancer hat Daten aus allen einschlägigen epidemiologischen Studien individuell analysiert und zusammengeführt [5]:
    • Frauen, die zu irgendeinem Zeitpunkt eine HT erhalten hatten, hatten ein um 20 % höheres relatives Krebsrisiko als Frauen, die niemals eine HT erhielten.
    • Frauen, die gerade unter einer HT standen, waren am stärksten gefährdet. Ihr Risiko lag – prospektiv untersucht – um 41 % höher als das von Nie-HT-Anwenderinnen.
    • Frauen, die die HT beendet hatten, die aber weniger als fünf Jahre zurücklag, hatten immer noch ein um 23 % erhöhtes Risiko für ein Ovarialkarzinom.
  • Eine Östrogen bzw. Östrogen-Gestagen-Therapie kann das Ovarialkarzinomrisiko erhöhen; Wirkungseintritt bereits bei Anwenderzeiten von unter 5 Jahren; das Risiko reduziert sich nach Absetzen der Therapie.
    • Hormonersatztherapie in der Menopause [2]; Risikoanstieg nach 5 Jahren um 43 %; sinkt nach Absetzen der Therapie nur langsam ab [4]
  • Seltenere Einnahme von kombinierten hormonellen Kontrazeptiva (KHK; Verhütungsmittel) als der Durchschnitt der Frauen [1]

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Beruflicher Kontakt mit Karzinogenen wie Asbest oder Talkum (Talkumpulver [9])
  • Bisphenol A
  • Haarfärbemittel [11]

Literatur

  1. Beral V, Doll R, Hermon C, Peto R, Reeves G: Ovarian cancer and oral contraceptives: collaborative reanalysis of data from 45 epidemiological studies including 23,257 women with ovarian cancer and 87,303 controls. Lancet. 2008 Jan 26;371(9609):303-14  
  2. Beral V: Million Women Study Collaborators, Bull D, Green J, Reeves G: Ovarian cancer and hormone replacement therapy in the Million Women Study. Lancet. 2007 May 19;369(9574):1703-10.
  3. S3-Leitlinie: Diagnostik, Therapie und Nachsorge maligner Ovarialtumoren. (AWMF-Registernummer: 032 - 035OL), September 2021 Kurzfassung Langfassung
  4. Collaborative Group on Epidemiological Studies of Ovarian Cancer, Beral V, Gaitskell K, Hermon C, Moser K, Reeves G, Peto R: Menopausal hormone use and ovarian cancer risk: individual participant meta-analysis of 52 epidemiological studies. Lancet. 2015 May 9;385(9980):1835-42. doi: 10.1016/S0140-6736(14)61687-1. Epub 2015 Feb 13.
  5. Collaborative Group on Epidemiological Studies of Ovarian Cancer, Beral V, Gaitskell K, Hermon C, Moser K, Reeves G, Peto R: Menopausal hormone use and ovarian cancer risk: individual participant meta-analysis of 52 epidemiological studies. Lancet. 2015 May 9;385(9980):1835-42. doi: 10.1016/S0140-6736(14)61687-1. Epub 2015 Feb 13.
  6. Cirillo PM et al.: Irregular menses predicts ovarian cancer: Prospective evidence from the Child Health and Development Studies. doi: 10.1002/ijc.30144
  7. Lauby-Secretan B et al.: Body Fatness and Cancer — Viewpoint of the IARC Working Group N Engl J Med 2016; 375:794-798 August 25, 2016 doi: 10.1056/NEJMsr1606602
  8. Hippisley-Cox J, Coupland C: Identifying women with suspected ovarian cancer in primary care: derivation and vaildation of algorithm. BMJ 2011; 344. doi:10.1136/bmj.d8009
  9. Cramer DW et al.: Presence of talc in pelvic lymph nodes of a woman with ovarian cancer and long-term genital exposure to cosmetic talc. Obstet Gynecol. 2007 Aug;110(2 Pt 2):498-501.
  10. Fortner RT et al.: Sexually transmitted infections and risk of epithelial ovarian cancer: results from the Nurses’ Health Studies. BJC 2019; doi: 10.1038/s41416-019-0422-9
  11. Zhang Y et al.: Personal use of permanent hair dyes and cancer risk and mortality in US women: prospective cohort study BMJ 2020;370:m2942
  12. Chang K et al.: Ultra-processed food consumption, cancer risk and cancer mortality: a large-scale prospective analysis within the UK Biobank eClinicalMedicine January 31, 2023 doi:https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2023.101840
  13. Leung L et al.: Occupational environment and ovarian cancer risk. Occup Environ Med 2023; https://doi.org/10.1136/oemed-2022-108557
  14. Jonsson S et al.: Pelvic inflammatory disease and risk of epithelial ovarian cancer. A national population-based case–control study in Sweden. AJOG 2023; https://doi.org/10.1016/j.ajog.2023.09.094

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Diagnostik, Therapie und Nachsorge maligner Ovarialtumoren. (AWMF-Registernummer: 032-035OL), Oktober 2024 Kurzfassung Langfassung