Chronische lymphatische Leukämie (CLL) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) ist eine maligne (bösartige) Erkrankung des lymphatischen Systems, bei der es zu einer malignen (bösartigen) Transformation eines Klons von B-Lymphozyten kommt. In 95 % der Fälle handelt es sich um eine Transformation von B-Zellen, die dann funktionslose, aber reife, kleinzellige Lymphozyten bilden, die sich im peripheren Blut, Knochenmark und Lymphknoten ansammeln.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Maligne Transformation von B-Zellen: Ein einzelner B-Zell-Klon mutiert und beginnt sich unkontrolliert zu vermehren. Diese Zellen sind zwar reif, aber funktionsunfähig, da sie keine adäquate Immunantwort mehr leisten können.
  • Akkumulation im peripheren Blut: Die malignen B-Zellen akkumulieren im Blut, Knochenmark, und in den Lymphknoten, was zu einer massiven Lymphozytose (erhöhte Anzahl von Lymphozyten im Blut) führt.
  • Gestörte Apoptose: Die B-Zellen der CLL zeigen eine erhöhte Resistenz gegenüber der Apoptose (programmierter Zelltod), was zu ihrer Anhäufung führt. Diese Resistenz wird durch Mutationen und Signalwege wie BCL-2 (anti-apoptotisches Protein) unterstützt.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

  • Verdrängung der normalen Hämatopoese: Durch die Infiltration des Knochenmarks mit malignen B-Zellen kommt es zu einer Verdrängung der normalen Blutzellbildung. Dies führt zu einer Anämie (Mangel an roten Blutkörperchen), Thrombozytopenie (Mangel an Blutplättchen) und Neutropenie (Mangel an funktionellen weißen Blutzellen).
  • Immunologische Dysfunktion: Obwohl es eine Vermehrung der B-Zellen gibt, sind diese Zellen funktionslos und tragen zur Immunschwäche bei. Dies kann zu einem erhöhten Risiko für Infektionen und Autoimmunerkrankungen führen.
  • Lymphknoteninfiltration: Maligne B-Zellen infiltrieren die Lymphknoten und führen zu einer schmerzlosen Lymphknotenschwellung. Dies entspricht der klinischen Präsentation eines B-Zell-Lymphoms.

Klinische Manifestation

  • Lymphadenopathie: Schwellung der Lymphknoten, die oft schmerzlos ist, ist ein häufiges Symptom der CLL.
  • Hepatosplenomegalie: In einigen Fällen kommt es zu einer Vergrößerung der Milz (Splenomegalie) und der Leber (Hepatomegalie), bedingt durch die Infiltration der malignen Zellen.
  • Anämie und Müdigkeit: Aufgrund der Verdrängung der normalen Blutbildung treten häufig Symptome der Anämie wie Müdigkeit, Blässe und Schwäche auf.
  • Erhöhte Infektanfälligkeit: Die Patienten leiden aufgrund der Dysfunktion der B-Zellen an vermehrten Infektionen.

Progression und Organbeteiligung

  • Langsamer Krankheitsverlauf: Die CLL verläuft häufig langsam, und viele Patienten zeigen in den ersten Jahren keine oder nur geringe Symptome.
  • Autoimmunphänomene: Es können sich Autoimmunerkrankungen entwickeln, bei denen der Körper eigene Zellen angreift, wie die autoimmune hämolytische Anämie.
  • Transformation in aggressivere Formen: In seltenen Fällen kann die CLL in eine aggressivere Form, wie das Richter-Syndrom (Transformation in ein diffus großzelliges B-Zell-Lymphom), übergehen.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

  • Beeinträchtigung des Immunsystems: Die Ansammlung von funktionslosen B-Zellen führt zu einer gestörten Immunfunktion, was das Risiko für opportunistische Infektionen erheblich erhöht.
  • Verlust der normalen Blutbildung: Die Infiltration des Knochenmarks durch die malignen Zellen führt zu einer zunehmenden Panzytopenie (Mangel an allen Blutzelltypen).

Regenerative und kompensatorische Prozesse

  • Fehlende Regeneration: Im Gegensatz zu akuten Leukämien, bei denen eine rasche Proliferation unreifer Zellen stattfindet, ist die CLL durch eine schleichende Anhäufung von B-Zellen mit begrenzter Regenerationsfähigkeit gekennzeichnet.
  • Kompensation durch extramedulläre Blutbildung: In fortgeschrittenen Fällen versucht der Körper, durch Blutbildung außerhalb des Knochenmarks (z. B. in der Milz) zu kompensieren, was jedoch ineffektiv ist.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) ist eine langsam fortschreitende Erkrankung, die durch die unkontrollierte Vermehrung funktionsloser, aber reifer B-Lymphozyten im peripheren Blut, Knochenmark und Lymphknoten charakterisiert ist. Dies führt zu einer Immunsuppression, Anämie und Lymphknotenschwellungen. Obwohl der Krankheitsverlauf oft indolent ist, kann die CLL in seltenen Fällen in eine aggressivere Form übergehen. Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, um eine adäquate Überwachung und Behandlung zu gewährleisten.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen 

  • Genetische BelastungVerwandte ersten Grades von CLL Patienten haben ein 8,5-fach erhöhtes Risiko für die Entstehung einer CLL und ein 1,9-2,6-fach erhöhtes Risiko für die Entstehung eines anderen indolenten Lymphoms [2, 3]
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: ACOXL, GRAMD1B, IRF4, SP140
        • SNP: rs735665 im Gen GRAMD1B
          • Allel-Konstellation: AG (1,45-fach)
          • Allel-Konstellation: AA (2,10-fach)
        • SNP: rs13397985 im Gen SP140
          • Allel-Konstellation: GT (1,41-fach)
          • Allel-Konstellation: GG (1,99-fach)
        • SNP: rs17483466 im Gen ACOXL
          • Allel-Konstellation: AG (1,39-fach)
          • Allel-Konstellation: GG (1,93-fach)
        • SNP: rs7176508 in einer intergenischen Region
          • Allel-Konstellation: AG (1,37-fach)
          • Allel-Konstellation: AA (1,88-fach)
        • SNP: rs872071 im Gen IRF4
          • Allel-Konstellation: AG (1,5-fach)
          • Allel-Konstellation: GG (1,5-fach)

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Ein hoher Konsum von rotem Fleisch und verarbeiteten Lebensmitteln wurde in einigen Studien mit einem erhöhten Risiko für Lymphome und Leukämien in Verbindung gebracht.
  • Genussmittelkonsum
    • Tabak (Rauchen) – Zwar keine eindeutige direkte Assoziation mit CLL, jedoch allgemein ein Risikofaktor für hämatologische Neoplasien.
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)
    • Eine Meta-Analyse zeigte, dass Übergewicht und Adipositas mit einem erhöhten Risiko für hämatologische Malignome assoziiert sind, einschließlich Leukämien [1].

Umweltbelastung – Exposition gegenüber Karzinogenen

  • Chronische Exposition gegenüber Benzol (industrielle Lösungsmittel, Lacke, Kraftstoffe) erhöht das Risiko für hämatologische Malignome.
  • Pestizide – insbesondere bei landwirtschaftlich Beschäftigten.

Literatur

  1. Larsson SC, Wolk A: Overweight and obesity and incidence of leukemia: a meta-analysis of cohort studies. Int J Cancer. 2008 Mar 15;122(6):1418-21.
  2. Goldin LR et al.: Familial aspects of chronic lymphocytic leukemia, monoclonal B-cell lymphocytosis (MBL) and related lymphomas. Eur J Clin Med Oncol 2:119-216, 2010.
  3. Cerhan JR, Slager SL: Familial predisposition and risk factors for lymphoma. Blood 2015 Nov 12;126(20):2265-73. doi: 10.1182/blood-2015-04-537498. Epub 2015 Sep 24.