Chronische lymphatische Leukämie (CLL) – Strahlentherapie
Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) ist die häufigste Form der Leukämie (Blutkrebserkrankung) bei Erwachsenen in westlichen Ländern und gehört zu den indolenten B-Zell-Neoplasien (langsam wachsenden Krebsarten der B-Lymphozyten). Die Erkrankung zeigt einen typischerweise langsamen Verlauf, kann aber durch eine Transformation in eine aggressive Verlaufsform (Richter-Syndrom, bösartige Entartung der Leukämie zu einem aggressiven Lymphom) oder durch immunologische und hämatologische Komplikationen (Störungen des Immunsystems und der Blutbildung) komplexe therapeutische Anforderungen stellen. Die Therapie erfolgt primär systemisch (den ganzen Körper betreffend). Die Strahlentherapie (Behandlung mit ionisierender Strahlung) spielt keine Rolle in der Primärbehandlung, besitzt jedoch einen klar definierten palliativmedizinischen Stellenwert (Einsatz zur Linderung von Beschwerden) bei lokal-symptomatischen Manifestationen oder im Kontext einer Transformation zum aggressiven Lymphom.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
Die Strahlentherapie bei CLL ist ausschließlich in symptomatischen Einzelfällen angezeigt. Die folgenden Einsatzgebiete gelten als medizinisch gerechtfertigt:
- Lokal symptomatische Lymphadenopathie (vergrößerte und schmerzhafte Lymphknoten)
- Schmerzhaft vergrößerte Lymphknoten mit Kompression (Druck) benachbarter Strukturen (z. B. Luftröhre, Speiseröhre, Armnervengeflecht)
- Linderung mechanisch bedingter Beschwerden (z. B. Atemnot, Schluckbeschwerden, Nervenschmerzen)
- Splenomegalie mit funktioneller Einschränkung (vergrößerte Milz mit Beeinträchtigung von Organfunktionen)
- Bei therapieresistenter (nicht auf Medikamente ansprechender), schmerzhafter Milzvergrößerung
- Als Alternative zur Splenektomie (operative Entfernung der Milz), insbesondere bei nicht operationsfähigen Patienten
- Transformation in ein Richter-Syndrom (aggressiver Lymphknotenkrebs)
- Kombination aus Strahlen- und Chemotherapie bei Übergang in ein diffus großzelliges B-Zell-Lymphom (schnell wachsender Lymphknotenkrebs)
- Bestrahlung therapieresistenter Tumorregionen oder befallener Organe
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Frühe Krankheitsstadien ohne Beschwerden (z. B. Binet A oder Rai 0–I)
- Gut kontrollierte Erkrankung ohne lokale Tumorbeschwerden
- Starke Einschränkung der Blutbildung nach Chemotherapie
- Fehlende Zielregion für die Bestrahlung bei diffuser Ausbreitung
Zielsetzung und Wirkung
Therapeutische Zielsetzung
- Linderung lokaler Beschwerden (z. B. Schmerzen, Drucksymptome, Funktionsstörungen durch Organverdrängung)
- Reduktion tumorbedingter Störungen der Organfunktion (z. B. bei großer Milz oder vergrößerten Lymphknoten)
Wirkmechanismus
- Strahlen verursachen Schäden im Erbgut (DNA) der Krebszellen
- Die Zellen sterben ab, insbesondere da sie sehr empfindlich auf Strahlung reagieren
- Da die CLL langsam wächst, reicht meist schon eine niedrige Strahlendosis zur Wirkung aus
Technik und Durchführung
- Fraktionierung (Aufteilung der Gesamtbestrahlung in Einzeldosen)
- Standard: 24-36 Gy (Maßeinheit der Strahlung) in mehreren Sitzungen
- Bei schwachen Patienten: z. B. 4 Gy in 2 Sitzungen (ultra-niedrig dosierte Bestrahlung)
- Technik
- Bestrahlung mit einem Linearbeschleuniger (Gerät zur Strahlenerzeugung)
- Computergestützte Planung (z. B. IMRT) zur präzisen Zielerfassung und Schonung gesunder Organe
- Zielvolumen (zu bestrahlender Bereich)
- Symptomatische Lymphknotenregionen oder Milz
- Bei Richter-Syndrom: betroffene Tumorgebiete
- Bildgebung
- Computertomographie (CT) zur Planung
- Ggf. ergänzend Magnetresonanztomographie (MRT) oder Positronenemissionstomographie (PET-CT) zur genaueren Abgrenzung
Toxizität und Nebenwirkungen
- Akute Nebenwirkungen (während oder kurz nach der Bestrahlung)
- Müdigkeit, Hautreizungen, Schluckbeschwerden (je nach Bestrahlungsort)
- Vorübergehender Abfall der Blutwerte bei Bestrahlung von Knochenmarkanteilen
- Spätfolgen (langfristige Komplikationen)
- Verhärtungen im Bestrahlungsfeld
- Anhaltende Blutbildungsstörungen (z. B. Blutarmut oder Mangel an Blutplättchen)
- Geringes Risiko für Zweittumoren, insbesondere bei jüngeren Patienten
Klinische Relevanz
- Die CLL spricht bereits auf niedrige Strahlendosen an.
- Studien zeigen, dass z. B. eine Bestrahlung mit 4 Gy in 2 Sitzungen Beschwerden deutlich lindern kann.
- Beim Richter-Syndrom kann die Strahlentherapie zusätzlich zur Chemotherapie beitragen, insbesondere bei Tumoren außerhalb der Lymphknoten oder schwer erreichbaren Regionen.
Fazit
Die Strahlentherapie ist keine Heilbehandlung bei chronischer lymphatischer Leukämie. Sie kann jedoch lokale Beschwerden lindern, z. B. durch Tumorverkleinerung bei schmerzhaften Lymphknoten oder großer Milz. In seltenen Fällen, etwa bei der aggressiven Entartung (Richter-Syndrom), kann sie auch im Rahmen einer intensiveren Therapie sinnvoll eingesetzt werden. Die Entscheidung erfolgt stets individuell im Team aus Hämatologen, Onkologen und Strahlentherapeuten.
Leitlinien
- S3-Leitlinie: Diagnostik, Therapie und Nachsorge für Patient*innen mit einer chronischen lymphatischen Leukämie (CLL). (AWMF-Registernummer: 018-032OL), Dezember 2024 Kurzversion Langversion