Akute myeloische Leukämie (AML) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die akute myeloische Leukämie (AML) ist eine maligen (bösartige) Erkrankung des hämatopoetischen (blutbildenden) Systems, die durch die unkontrollierte Vermehrung unreifer myeloischer Zellen (Blasten) im Knochenmark und peripheren Blut gekennzeichnet ist.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

  • Proliferation unreifer Blasten: Durch genetische Veränderungen kommt es zur unkontrollierten Vermehrung unreifer Vorläuferzellen, die das Knochenmark infiltrieren und ins periphere Blut übertreten.
  • Blockierte Differenzierung: Die betroffenen Blasten können sich nicht zu funktionellen weißen Blutzellen differenzieren, was zu einem Mangel an reifen Zellen im Blut führt.
  • Genetische Mutationen: Bei ca. 18 % der AML-Patienten ist eine Mutation im DNMT3A-Gen nachweisbar, die zu einer klonalen Expansion prämaligner Stammzellen führt. Diese Mutation bleibt oft auch nach erfolgreicher Behandlung bestehen.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

  • Verdrängung der normalen Hämatopoese: Die Überwucherung des Knochenmarks durch Leukämiezellen verdrängt die Produktion normaler Blutzellen, was zu Anämie (Mangel an roten Blutkörperchen), Thrombozytopenie (Mangel an Blutplättchen) und Leukopenie (Mangel an funktionellen weißen Blutkörperchen) führt.
  • Sekundäre AML: Ein Drittel der AML-Fälle entwickelt sich sekundär aus einem myelodysplastischen Syndrom (MDS), bei dem die normale Blutbildung bereits gestört ist.

Klinische Manifestation

  • Anämie: Verminderte Produktion roter Blutkörperchen führt zu Symptomen wie Müdigkeit, Blässe und Kurzatmigkeit.
  • Thrombozytopenie: Niedrige Thrombozytenzahlen verursachen eine erhöhte Blutungsneigung, einschließlich Petechien (kleine punktförmige Blutungen) und vermehrter Blutungen bei Verletzungen.
  • Infektanfälligkeit: Durch den Mangel an funktionellen weißen Blutzellen steigt das Risiko für Infektionen.
  • Leukämisches Fieber: Fieber ohne klaren Infektionsherd, ausgelöst durch die hohe Blastenlast und entzündliche Zytokine.

Progression und Organbeteiligung

  • Organinfiltration: Blasten können Organe wie Milz und Leber infiltrieren, was zu Organvergrößerungen (Hepatosplenomegalie/Vergrößerung von Leber und Milz) führt.
  • ZNS-Beteiligung: In einigen Fällen dringen Leukämiezellen ins zentrale Nervensystem ein, was zu Kopfschmerzen, Krampfanfällen oder anderen neurologischen Symptomen führen kann.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

  • Störung der Blutbildung: Die normale Funktion des Knochenmarks ist durch die Leukämiezellen schwer beeinträchtigt, was zu einer Panzytopenie (Mangel an allen Blutzelltypen) führt.
  • Schwächung des Immunsystems: Der Verlust funktioneller Immunzellen macht den Körper anfällig für Infektionen, die oft schwer verlaufen.

Regenerative und kompensatorische Prozesse

  • Fehlende Regeneration: Das Knochenmark kann sich aufgrund der massiven Blastenlast nicht regenerieren. Versuche des Körpers, durch extramedulläre Blutbildung (z. B. in der Milz) zu kompensieren, sind meist ineffektiv.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Die AML ist eine aggressive Form der Leukämie, die durch eine massive Vermehrung unreifer myeloischer Blasten im Knochenmark und peripheren Blut gekennzeichnet ist. Diese Blasten verdrängen die normale Blutbildung und führen zur Anämie, Thrombozytopenie und Infektanfälligkeit. Genetische Mutationen, insbesondere im DNMT3A-Gen, spielen eine wichtige Rolle in der Pathogenese. Eine frühzeitige Diagnose und aggressive Therapie sind entscheidend, um die Krankheit zu kontrollieren und das Leben der Patienten zu verlängern.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern
    • Genetische Erkrankungen 
      • Ataxia teleangiectatica (Synonyme: Ataxia teleangiectasia; Louis-Bar Syndrom; Boder-Sedgwick-Syndrom) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die unter anderem zur Ataxie (Gangstörungen), zu Kleinwuchs und hoher Infektanfälligkeit führt
      • Bloom-Syndrom (Synonym: kongenitales teleangiektatisches Syndrom) – seltene, genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die unter anderem zu Kleinwuchs und verschiedenen malignen (bösartigen) Erkrankungen (z. B. Leukämie) führen kann
      • Fanconi-Anämie (FA) [bei 50-60 % der AML werden chromosomale Aberrationen gefunden, die meist prognostisch von erheblicher Relevanz;/ s. a. WHO-Klassifikation) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die im Kindesalter auftritt und zu hämatologischen Neoplasien (bösartige Neubildung der blutbildenden Zellen) führen kann (Risiko, vor dem 18. Lebensjahr an Krebs zu erkranken, beträgt ca. 11 %); typisches Zeichen für eine Fanconi-Anämie ist u. a. die Rückbildung des Knochenmarks (schwere aplastische Anämie) – häufig ist dabei eine Panzytopenie (Synonym: Trizytopenie; Verminderung aller drei Zellreihen im Blut)
      • Kostmann-Syndrom (Synonym: Morbus Kostmann, schwere kongenitale Neutropenie) – seltene genetische Erkrankung mit autosomal-dominant Erbgang, bei der ab Geburt im Blut zu wenig oder keine neutrophile Granulozyten (Immunabwehrzellen, die zu den weißen Blutkörperchen gehören) zu finden sind (Agranulozytose)
      • Trisomie 21 (Down-Syndrom) – spezielle Genommutation beim Menschen, bei der das gesamte 21. Chromosom oder Teile davon dreifach (Trisomie) vorliegen (Auftreten meist sporadisch). Neben für dieses Syndrom als typisch geltenden körperlichen Merkmalen sind in der Regel die kognitiven Fähigkeiten des betroffenen Menschen beeinträchtigt; des Weiteren liegt ein erhöhtes Risiko für eine Leukämie vor.

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Genussmittelkonsum
    • Tabak (Rauchen)
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) [1]

Krankheitsbedingte Ursachen

  • HTLV (human T-cell lymphotropic virus)-1-Virus-Infektion – in der Karibik und in Südjapan endemisch
  • Myelodysplastisches Syndrom (MDS) – Gruppe von heterogenen (uneinheitlichen) Erkrankungen des Knochenmarks (Stammzellerkrankungen) 

Medikamente

  • Azathioprin [2] 
  • Vorausgegangene Chemotherapie
    • vor allem mit Alkylanzien (Auftreten der Leukämie 4-6 Jahre nach Anwendung und Aberrationen an den Chromosomen 5 und/oder 7) sowie Topoisomerase II-Hemmer (Anthrazykline, Anthrachinone, Epipodophylotoxine), mit einem Leukämie-Beginn 1-3 Jahre nach Exposition
    • solide Tumoren (höchstes Risiko: Knochenkrebs (SIR 39,0; 95-%-Konfidenzintervall 21,4-65,5), Weichteilkrebs (SIR 10,4; 6,4-15,9) und Hodenkrebs (SIR, 12,3; 7,6-18,8); Tumoren in Peritoneum, Lungen (kleinzelliges Karzinom), Eierstock, Eileitern oder zentralem Nervensystem: SIR 5- bis 9-fache; übrigen Krebserkrankungen: SIR 1,5- bis 4-fache) [3]

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Strahlenexposition (ionisierende Strahlen), vor allem in Kombination mit der Gabe von Alkylanzien und Etoposid (Zytostatika)
  • Benzol
  • Exposition mit Mineralölprodukten, Farben, Äthylenoxyden
  • Formaldehyd
  • Herbizide (Unkrautvernichtungsmittel)
  • Pestizide (Schädlingsbekämpfungsmittel)

Literatur

  1. Larsson SC, Wolk A: Overweight and obesity and incidence of leukemia: a meta-analysis of cohort studies. Int J Cancer. 2008 Mar 15;122(6):1418-21.
  2. Ertr-Archambault N et al.: Association of Therapy for Autoimmune Disease With Myelodysplastic Syndromes and Acute Myeloid Leukemia. JAMA Oncol. Published online February 2, 2017. doi:10.1001/jamaoncol.2016.6435
  3. Morton LM et al.: Association of Chemotherapy for Solid Tumors With Development of Therapy-Related Myelodysplastic Syndrome or Acute Myeloid Leukemia in the Modern Era. JAMA Oncol. Published online December 20, 2018. doi:10.1001/jamaoncol.2018.5625