Akute myeloische Leukämie (AML) – Medikamentöse Therapie
Therapieziele
- Zerstörung des größten Teils der Leukämiezellen
- Erreichen einer Remission (Verschwinden der Krankheitssymptome; prozentuale Anteil der Leukämiezellen < 5 %, wieder Einsetzen der normalen Blutbildung), ggf. auch Teilremission oder Vollremission (in Blut und Knochenmark sind keine Leukämiezellen mehr nachweisbar)
Therapieempfehlungen
Wenn bereits bei der Diagnosestellung schwerwiegende Komplikationen vorliegen, ist ein unmittelbarer Behandlungsbeginn wichtig:
- Polychemotherapie, in wenigen Fällen ergänzt um eine Strahlentherapie (ZNS-Radiatio) des Kopfes [Gesamtdauer der Behandlung: bis ca. 1,5 Jahr]:
- Induktionstherapie, bestehend aus einer Vorphase, die der Einleitung der Behandlung (Induktionsphase I) dient (nur bei Patienten, die zum Zeitpunkt der Diagnose eine primäre Leukozytenzahl (weiße Blutkörperchen) > 50.000 pro Mikroliter Blut aufweisen oder deren Organe durch den Befall mit Leukämiezellen stark vergrößert sind); dieser Vorphase (Behandlung mit zwei Medikamenten) schließt sich die eigentliche Induktionstherapie (Induktionsphase II; Therapiedauer: 2 Monate, bestehend aus zwei Therapieblöcken inkl. dazwischen geschalteter mehrwöchiger Erholungspausen) an; diese Phase dient der Erreichung einer Remission
- Konsolidierungs- oder Intensivierungstherapie (drei Therapieblöcke, jeweils sechs bis acht Tage, dazwischen liegen Behandlungspausen von etwa drei bis vier Wochen), um weitere Leukämiezellen zu vernichten und die Remission zu erhalten;
- Erhaltungs- oder Dauertherapie (Therapiedauer: ca. 1 Jahr) dient der Verhinderung eines Rezidivs (Wiederauftreten der Erkrankung); stellt eine milde Chemotherapie dar
- ZNS-Therapie (intrathekale Chemotherapie), ggf. auch Strahlentherapie (Radiatio) des Kopfes: ZNS-Radiatio (je nach Alter 15-24 Gy/Kinder 15-18 Gy) bei Nachweis des Befalls des ZNS (Zentrale Nervensystem)
- Die Intensität und Dauer der Therapie sowie deren Prognose richten sich nach: AML-Unterform, Grad der Ausbreitung der Leukämiezellen und Ansprechen auf die Therapie.
- Allogene Stammzelltransplantation (von HLA-gematchtem Familien- oder Fremdspender) bei Patienten
- die ein Rezidiv (Wiederauftreten der Erkrankung) erleiden
- mit ungenügendem Ansprechen auf eine Standardchemotherapie
- als Postremissionstherapie bei Patienten mit intermediärem und ungünstigem Karyotyp
- Siehe auch unter "Weitere Therapie".
Wirkstoffe (Hauptindikation)
Zytostatika
Bei der Chemotherapie der AML kommen die folgenden Wirkstoffe zum Einsatz
- Induktionsphase I (Vorphase): z. B. 6-Thioguanin (6-TG) und Cytarabin (ARA-C)
- Induktionsphase II; Cytosin-Arabinosid (auch Cytarabin; ARA-C), Anthrazykline wie Idarubicin (IDR) oder liposomales Daunorubicin (L-DNR) sowie Etoposid (VP-16) und Mitoxantron
- Konsolidierungs- und Intensivierungstherapie: Cytarabin (Ara-C; normal bis hoch dosiert), Mitoxantron (MITOX), 2-Chloro-2-desoxyadenosin, Etoposid (VP-16) und Idarubicin (IDR)
- ZNS-Therapie: Cytarabin (ARA-C) allein oder eine Kombination aus Cytarabin, Prednison (PRED) und Methotrexat (MTX) [Triple-Therapie]
- Es werden hier keine Angaben zu Dosierungen gemacht, da es bei der Chemotherapie häufig zu Veränderungen in den jeweiligen Regimen kommt.
Gängige Variante der intensiven Induktionstherapie ist das 7+3-Schema (Verabreichung von ARA-C an 7 Tagen und von einem Anthrazyklin (Daunorubicin, Idarubicin, Mitoxantron) an 3 Tagen).
Ältere Patienten, die keine intensive Chemotherapie vertragen, erhalten stattdessen die DNA-Methyltransferase-Inhibitoren Decitabin und Azacitidin.
Das Enzym SAMHD1 führt die aktivierte Form von Decitabin in ihre inaktive Ausgangsform zurück. Durch die Bestimmung der SAMHD1-Menge in den AML-Zellen kann vorhergesagt werden, wie empfindlich diese für Decitabin sind.
Beachte: Azacitidin wird durch SAMHD1 nicht beeinflusst.
Inzwischen besteht der Konsens, dass sich eine chemotherapieinduzierte, komplette Remission durch orales Azacitidin erhalten lässt. Dieses ist unabhängig davon, ob die prognostisch günstige NPM1-Mutation vorliegt oder ob die prognostisch eher ungünstige FLT3-Mutation nachgewiesen wurde. Bei einem medianen Follow-up von 41,2 Monaten betrug das mediane Gesamtüberleben 24,7 Monate im Verumarm vs. 14,8 Monate mit Placebo (p = 0,0009; Hazard Ratio: 0,69) [9].
Geschwächten älteren Patienten hilft ebenfalls folgende Kombinationstherapie: Decitabin und das Vitamin-A-Präparat Tretinoin [4].
Weitere Hinweise
- Neue Therapieschemata beinhalten
- Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKi)
- Sorafenib (Multikinaseinhibitor)
- Midostaurin (unselektiver TKi) (s. u.)
- Immuntherapeutika
- Gemtuzumab-Ozogamicin (GO): Konjugat aus einem CD33-Antikörper und dem Zytotoxin Calicheamicin
- Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKi)
- Derzeit wird in einer internationalen Studie (multizentrische Phase-III-Studie) bei akuter promyelozytäre Leukämie (APL) (seltene Unterform der AML) untersucht, inwieweit Arsen (Arsentrioxid, ATO) in Kombination mit einem Vitamin A-Abkömmling (All-trans-Retinsäure, ATRA; diese fördert die Differenzierung der unreifen Tumorzellen in reife Blutzellen) eine Chemotherapie ersetzen kann; eine erste Studie war bei der Promyelozytenleukämie dabei sehr erfolgreich [1]. Als Behandlungsstandard gilt bislang ARTA plus Chemotherapie.
- Midostaurin zusätzlich zur Standard-Therapie hat das mittlere Gesamtüberleben von AML-Patienten mit einer Mutation des FLT3-Gens von 25,6 auf 74,7 Monate verlängert [3].
Gemeinsamer Bundesausschuss: In der Erstindikation akute myeloische Leukämie mit FLT3-Mutation kann das Gremium laut Mitteilung am 02.05.2024 „nun keinen Zusatznutzen mehr bescheinigen“. - Gilteritinib (selektiver FLT3-Inhibitor; Dosierung: 120 mg täglich): zugelassen für die Monotherapie der rezidivierten oder refraktären akuten myeloischen Leukämie (AML) mit FLT3-Mutation; im Vergleich Monotherapie versus verschiedener Salvage-Chemotherapien bei erwachsenen Patienten wurde das Gesamtüberleben um knapp ein Viertel verbessert (medianes OS: 9,3 Monate versus 5,6 Monate). Die Ein-Jahres-Überlebensrate betrug 37,1 Prozent gegenüber 16,7 Prozent und war damit mehr als doppelt so hoch [5].
- Venetoclax: oraler BCL-2-Inhibitor zur Wiederherstellung der natürlichen Apoptoseprozesse (programmierter Zelltod) in den veränderten CLL-Zellen. Dieser wird durch Überexpression von BCL-2 verhindert.
Venetoclax kombiniert mit Azacitidin zeigte ein signifikant verbessertes Therapieansprechen und eine deutlich verbesserte Gesamtüberlebenszeit: mediane Lebenserwartung 14,7 Monate gegenüber der Kontrollgruppe mit 9,7 Monaten und Häufigkeit des Therapieansprechens von 28 auf 66 Prozent [6]. - Azacitidin (chemisch 5-Azacytidin; zytostatisch wirkender Arzneistoff; hypomethylierende Therapie): orale Erhaltungstherapie führt in einer Phase-III-Studie zu einer längeren Lebenserwartung, ohne dass sich die Lebensqualität verschlechtert: Gesamtüberleben betrug im Median für AML-Patienten mit Azacitidin-Tabletten 24,7 Monate und 14, 8 Monate mit Placebo. Rezidivfreie Überleben betrug median 10,2 Monate mit Azacitidin-Tabletten und 4,8 Monate mit Placebo [7].
Beachte: Ein bekanntes Risiko von Venetoclax ist ein Tumorlysesyndrom (TLS) [8]. - Ivosidenib (Inhibitor des mutierten IDH1-Enzyms) wurde Mitte 2023 Jahres gegen IDH1-mutierte, akute myeloische Leukämie zugelassen. Der Gemeinsame Bundesausschuss attestiert dem Orphan Drug Ivosidenib (Tibsovo®, von Servier) in der Anwendung gegen IDH1-mutierte, akute myeloische Leukämie einen „erheblichen“ Zusatznutzen.
Weitere Wirkstoffe
- Eine Androgenbehandlung mit dem niedrigdosierten Anabolikum Norethandrolon (10 or 20 mg/day) als Erhaltungstherapie verlängert bei älteren Patienten mit AML die Lebenszeit bis zur Krankheitsprogression sowie die Gesamtüberlebenszeit [2]:
- mit kompletter Remission nach fünf Jahren: Gruppe mit Androgentherapie lebten noch 31,2 % (95 %-Konfidenzintervall: 22,8- 40,0 %); Vergleichsgruppe ohne Behandlung nur noch 16,2 %
- ereignisfreies Überlebensrate nach fünf Jahren: Gruppe mit Androgenbehandlung signifikant höher (21,5 % versus 12,9 %)
- Gesamtüberlebenszeit: signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen (26,3 % versus 17,2 %).
Supplemente (Nahrungsergänzungsmittel; Vitalstoffe)
Geeignete Nahrungsergänzungsmittel für das Immunsystem sollten die folgenden Vitalstoffe enthalten:
- Vitamine (A, C, E, D3, B1, B2, Niacin (Vitamin B3), Pantothensäure (Vitamin B5), B6, B12, Folsäure, Biotin)
- Spurenelemente (Chrom, Eisen, Kupfer, Mangan, Molybdän, Selen, Zink)
- Fettsäuren (Omega-3-Fettsäuren: Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA))
- Sekundäre Pflanzenstoffe (Beta-Carotin, Flavonoide (Citrusfrüchte), Lycopin (Tomaten), Proanthocyanidine (Cranberrys), Polyphenole)
- Weitere Vitalstoffe (Probiotische Kulturen: Laktobazillen, Bifidobakterien)
Beachte: Die aufgeführten Vitalstoffe sind kein Ersatz für eine medikamentöse Therapie. Nahrungsergänzungsmittel sind dazu bestimmt, die allgemeine Ernährung in der jeweiligen Lebenssituation zu ergänzen.
Für Fragen zum Thema Nahrungsergänzungsmittel stehen wir Ihnen gerne kostenfrei zur Verfügung.
Nehmen Sie bei Fragen dazu bitte per E-Mail – info@docmedicus.de – Kontakt mit uns auf, und teilen Sie uns dabei Ihre Telefonnummer mit und wann wir Sie am besten erreichen können.
Literatur
- Efficace F, Mandelli F, Avvisati G, Cottone F, Ferrara F, Di Bona E, Specchia G, Breccia M, Levis A, Sica S, Finizio O, Kropp MG, Fioritoni G, Cerqui E, Vignetti M, Amadori S, Schlenk RF, Platzbecker U, Lo-Coco F: Randomized phase III trial of retinoic acid and arsenic trioxide versus retinoic acid and chemotherapy in patients with acute promyelocytic leukemia: health-related quality-of-life outcomes. J Clin Oncol. 2014 Oct 20;32(30):3406-12. doi: 10.1200/JCO.2014.55.3453.
- Pigneux A et al.: Addition of Androgens Improves Survival in Elderly Patients With Acute Myeloid Leukemia: A GOELAMS Study. JCO 2016; online 17. Oktober. doi: 10.1200/JCO.2016.67.6213.
- Midostaurin plus Chemotherapy for Acute Myeloid Leukemia with a FLT3 Mutation. NEJM.org. June 23, 2017 doi: 10.1056/NEJMoa1614359
- Luebbert M et al.: Study of Decitabine Alone or in Combination With Valproic Acid and All-trans Retinoic Acid in Acute Myeloid Leukemia (DECIDER). Journal of Clinical Oncology 2019 Dec 3
- Perl AE et al.: Gilteritinib or Chemotherapy for Relapsed or Refractory FLT3-Mutated AML. N Engl J Med 2019; 381:1728-1740 doi: 10.1056/NEJMoa1902688
- DiNardo CD et al.: Azacitidine and Venetoclax in Previously Untreated Acute Myeloid Leukemia. N Engl J Med 2020; 383:617-629 doi: 10.1056/NEJMoa2012971
- Wei AH et al.: Oral Azacitidine Maintenance Therapy for Acute Myeloid Leukemia in First Remission N Engl J Med 2020; 383:2526-2537 doi: 10.1056/NEJMoa2004444
- Rote-Hand-Brief zu Venclyxto® (Venetoclax) Filmtabletten vom 10.06.2021
- Pfeilstöcker M et al.: Survival outcomes from the QUAZAR AML-001 trial with oral azacitidine (Oral-AZA) for patients with acute myeloi. Oncol Res Treat 2022;45(1):5d Abstract 287 doi: 10.1159/000521004