Akute lymphatische Leukämie (ALL) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist eine maligne (bösartige) Erkrankung des blutbildenden Systems, bei der es zu einer unkontrollierten Vermehrung von unreifen Vorläuferzellen der Lymphozyten kommt. Sie betrifft vor allem das Knochenmark, kann aber auch periphere Blutbahnen und lymphatische Organe wie Lymphknoten, Milz und Leber befallen.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
Initialer Pathomechanismus:
- Genetische Veränderungen (z. B. Translokationen, Punktmutationen) in den Vorläuferzellen der Lymphozyten (Lymphoblasten) führen zu einer unkontrollierten Zellproliferation. Die häufigste genetische Veränderung bei der ALL ist die Philadelphia-Chromosom-Translokation (t(9;22)).
Molekulare und zelluläre Veränderungen:
- Dysregulation von Genen, die an der Zellproliferation und Differenzierung beteiligt sind, wie z. B. BCR-ABL, NOTCH1 oder IKZF1, führt zur Hemmung der Differenzierung und zur Akkumulation von unreifen Lymphoblasten im Knochenmark.
Sekundäre pathophysiologische Veränderungen
Veränderungen in der Gewebsarchitektur:
- Die übermäßige Proliferation der Lymphoblasten verdrängt die normale Hämatopoese (Blutbildung) im Knochenmark, was zu einer Abnahme von Erythrozyten (rote Blutkörperchen), Thrombozyten (Blutplättchen) und funktionellen Leukozyten führt.
Beteiligung des umgebenden Gewebes:
- Die Ausbreitung der Lymphoblasten in das periphere Blut und die Infiltration in andere Organe wie Lymphknoten, Milz, Leber, und ZNS (zentralen Nervensystem) führen zu systemischen Komplikationen.
Klinische Manifestation
Leitsymptome:
- Symptome wie Blässe, Müdigkeit und Schwäche (durch Anämie (Blutarmut)), Infektanfälligkeit (durch Leukopenie (Mangel an weißen Blutkörperchen)), und Blutungen (durch Thrombozytopenie (Mangel an Blutplättchen)) sind typisch für ALL. Weitere Zeichen sind Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust.
Fortgeschrittene Symptome:
- Infiltration von Organen wie ZNS (Kopfschmerzen, neurologische Defizite), Leber (Hepatomegalie) und Milz (Splenomegalie) sowie Schmerzen im Knochen und Gelenken sind fortgeschrittene Zeichen.
Progression und Organbeteiligung
Lokale Gewebeveränderungen:
- Zerstörung des Knochenmarks durch die unkontrollierte Zellproliferation führt zur vollständigen Verdrängung der normalen hämatopoetischen Zellen und kann zur Knochenmarkinsuffizienz führen.
Systemische Auswirkungen bei chronischen Verläufen:
- Systemische Organbeteiligungen können zu schweren Komplikationen wie ZNS-Infiltration, Leber- und Milzvergrößerung sowie Nierenfunktionsstörungen führen.
Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden
- Knochenmarkversagen mit folgender Anämie (Blutarmut), Infektanfälligkeit und Thrombozytopenie (Mangel an Blutplättchen).
- Verdrängung der normalen Blutbildung und Beeinträchtigung der Organfunktionen durch Zellinfiltration.
Regenerative und kompensatorische Prozesse
- Der Körper versucht, die normale Blutbildung durch eine vermehrte Produktion von unreifen Zellen zu kompensieren, was allerdings durch die zunehmende Infiltration des Knochenmarks gestört wird.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die akute lymphatische Leukämie ist eine maligne Erkrankung des blutbildenden Systems, die durch genetische Mutationen und unkontrollierte Vermehrung von Lymphoblasten gekennzeichnet ist. Die Pathogenese der ALL führt zur Verdrängung der normalen Blutbildung und zu systemischen Organbeteiligungen. Eine frühzeitige Diagnose und Therapie sind entscheidend, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und Komplikationen zu vermeiden.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern
- Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
- Genetische Erkrankungen
- Ataxia teleangiectatica (Synonyme: Ataxia teleangiectasia; Louis-Bar Syndrom; Boder-Sedgwick-Syndrom) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die unter anderem zur Ataxie (Gangstörungen), zu Kleinwuchs und hoher Infektanfälligkeit führt
- Trisomie 21 (Down-Syndrom) – spezielle Genommutation beim Menschen, bei der das gesamte 21. Chromosom oder Teile davon dreifach (Trisomie) vorliegen. Neben für dieses Syndrom als typisch geltenden körperlichen Merkmalen sind in der Regel die kognitiven Fähigkeiten des betroffenen Menschen beeinträchtigt; des Weiteren liegt ein erhöhtes Risiko für eine Leukämie vor.
- Kinder nach elektiver Sectio caesarea (Kaiserschnitt):
- wg. Entbindung, bevor die Wehen einsetzten (23 % erhöhtes Risiko für ALL); Entbindung nach Einsetzen der Wehen (kein erhöhtes Risiko) [2]
- Sozioökonomische Faktoren – höhere soziale Schichten
Verhaltensbedingte Ursachen
- Genussmittelkonsum
- Tabak (Rauchen)
- Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) [1]
Krankheitsbedingte Ursachen
- HTLV (human T-cell lymphotropic virus)-1-Virus-Infektion ‒ in der Karibik und in Südjapan endemisch
- Trisomie 21 (Down-Syndrom)
Chemotherapie
- Vorausgegangene Chemotherapie
Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Strahlenexposition in früher Kindheit
- Industrieabfälle, nicht näher bezeichnet
- Chemische Produkte in der Landwirtschaft, nicht näher bezeichnet
- Benzol
Literatur
- Larsson SC, Wolk A: Overweight and obesity and incidence of leukemia: a meta-analysis of cohort studies. Int J Cancer. 2008 Mar 15;122(6):1418-21.
- Marcotte EL et al.: Caesarean delivery and risk of childhood leukaemia: a pooled analysis from the Childhood Leukemia International Consortium (CLIC). doi: http://dx.doi.org/10.1016/S2352-3026(16)00002-8