Akute lymphatische Leukämie (ALL) – Strahlentherapie

Die akute lymphatische Leukämie (ALL, bösartige Erkrankung des lymphatischen Systems mit unreifen Blutzellen) ist eine maligne Erkrankung des lymphatischen Systems, die insbesondere bei Kindern auftritt, aber auch Erwachsene betreffen kann. Neben der primären Chemotherapie kommt die Strahlentherapie in spezifischen Indikationen zum Einsatz, insbesondere zur Prophylaxe und Therapie einer Beteiligung des Zentralnervensystems (ZNS, Gehirn und Rückenmark) sowie bei Rezidiven (Wiederauftreten der Erkrankung) im Rahmen einer Stammzelltransplantation.

ZNS-Prophylaxe und ZNS-Radiatio

Die Strahlentherapie des Kopfes, auch als ZNS-Radiatio (Bestrahlung des Zentralnervensystems) bezeichnet, wird eingesetzt, um einer Infiltration (Eindringen) des Zentralnervensystems durch leukämische Blasten (entartete weiße Blutzellen) vorzubeugen oder eine bestehende ZNS-Beteiligung zu behandeln.

  • Indikationen für eine ZNS-Bestrahlung
    • Prophylaktische Radiatio des ZNS bei Hochrisikopatienten, insbesondere bei einer B-Vorläuferzellen-ALL (B-ALL, Unterform der akuten lymphatischen Leukämie) mit genetischen Hochrisikomutationen.
    • Therapeutische ZNS-Bestrahlung bei nachgewiesenem Befall des ZNS mit leukämischen Zellen (bösartigen Blutzellen im Gehirn oder Rückenmark).
  • Dosis und Fraktionierung (Aufteilung der Strahlendosis)
    • Prophylaktische ZNS-Bestrahlung:
      • Standarddosis von 12 Gy (Gray, Maßeinheit für die Strahlenmenge) in 6 Fraktionen (Sitzungen) à 2 Gy.
      • In Einzelfällen, abhängig von Risiko und Therapiekonzept, auch Dosierungen bis 18 Gy (insbesondere bei Kindern) oder 24 Gy (bei Erwachsenen mit hohem Rezidivrisiko).
    • Therapeutische ZNS-Bestrahlung bei nachgewiesenem Befall:
      • Höhere Dosen bis 18 Gy bei Kindern.
      • Bei Erwachsenen in Abhängigkeit vom Gesamttherapiekonzept individuell angepasst.
  • Kombination mit intrathekaler (in den Liquorraum des Rückenmarks eingebrachter) Chemotherapie
    • Intrathekale Gabe von Methotrexat, Cytarabin und Glukokortikoiden ist Standard, um ein Rezidiv (Wiederauftreten der Erkrankung) zu verhindern.
    • Die Kombination aus intrathekaler Chemotherapie und ZNS-Bestrahlung reduziert das Risiko einer ZNS-Rezidivierung (Rückfall der Erkrankung im Zentralnervensystem) erheblich.

Ganzkörperbestrahlung (Total Body Irradiation, TBI) vor Stammzelltransplantation

Die Ganzkörperbestrahlung (TBI, Bestrahlung des gesamten Körpers) wird im Rahmen einer Hochdosistherapie zur myeloablativen Konditionierung (Zerstörung des Knochenmarks zur Vorbereitung einer Stammzelltransplantation) vor allogener Stammzelltransplantation (allo-SZT, Übertragung von blutbildenden Stammzellen eines Spenders) eingesetzt.

  • Indikationen für eine Ganzkörperbestrahlung
    • Rezidivierende oder refraktäre (nicht auf Therapie ansprechende) ALL, insbesondere nach vorherigem Therapieversagen.
    • Hochrisikopatienten, bei denen eine alleinige Hochdosis-Chemotherapie als nicht ausreichend angesehen wird.
  • Dosis und Fraktionierung
    • Standardprotokolle umfassen 12-13,5 Gy in 6 Fraktionen (2x täglich über 3 Tage).
    • Alternativ 8 Gy in 4 Fraktionen, insbesondere bei reduzierter Intensität für ältere Patienten oder bei erhöhtem Risiko für toxische Komplikationen.
  • Ziel der Ganzkörperbestrahlung
    • Zerstörung des Knochenmarks (Myeloablation, Eliminierung der blutbildenden Zellen im Knochenmark) zur Schaffung eines „leeren“ Knochenmarkraums für die Stammzelltransplantation.
    • Reduktion der leukämischen Restzellen (Verminderung verbleibender Krebszellen im Blut und Knochenmark), um das Risiko für ein Rezidiv zu minimieren.

Nebenwirkungen und Spätfolgen der Strahlentherapie

Die Strahlentherapie, insbesondere die Ganzkörperbestrahlung, ist mit einem erhöhten Risiko für akute (sofort auftretende) und langfristige Nebenwirkungen verbunden:

  • Akute Nebenwirkungen
    • Müdigkeit (Erschöpfungszustand), Übelkeit (Brechreiz), Kopfschmerzen
    • Akute Neurotoxizität (nervenschädigende Nebenwirkungen) bei ZNS-Bestrahlung
    • Mukositis (schmerzhafte Entzündung der Schleimhäute) und gastrointestinale Beschwerden (Verdauungsprobleme) bei TBI
  • Langfristige Nebenwirkungen
    • Neurokognitive Einschränkungen (Beeinträchtigung der Denk- und Merkfähigkeit) nach ZNS-Bestrahlung, insbesondere bei jüngeren Kindern
    • Endokrine Dysfunktion (Hormonstörungen) wie Hypophyseninsuffizienz (Unterfunktion der Hirnanhangsdrüse) oder Schilddrüsenfunktionsstörungen
    • Kataraktbildung (Linsentrübung, Grauer Star) nach Ganzkörperbestrahlung
    • Sekundärmalignome (später auftretende, durch Strahlen ausgelöste Krebserkrankungen), insbesondere sekundäre Myelodysplasien (Störungen der Blutbildung) oder solide Tumoren nach TBI

Die Entscheidung zur Strahlentherapie erfolgt daher individuell unter Berücksichtigung von Nutzen und Risiko, insbesondere im Hinblick auf Langzeittoxizitäten (langfristige Nebenwirkungen durch Strahlenbelastung).

Fazit

Die Strahlentherapie spielt bei der Behandlung der akuten lymphatischen Leukämie (ALL, bösartige Erkrankung des lymphatischen Systems mit unreifen Blutzellen) eine zentrale Rolle in spezifischen Indikationen:

  • ZNS-Bestrahlung (Bestrahlung des Zentralnervensystems) ist eine wirksame Maßnahme zur Prophylaxe oder Therapie einer ZNS-Beteiligung (Befall des Gehirns oder Rückenmarks durch Krebszellen).
  • Ganzkörperbestrahlung (TBI, Bestrahlung des gesamten Körpers) wird bei Hochrisikopatienten als Teil des Konditionierungsschemas (Vorbereitung auf eine Stammzelltransplantation) durchgeführt.
  • Nebenwirkungen und Spätfolgen sind relevant und müssen bei der Therapieentscheidung berücksichtigt werden.

Durch die Kombination aus moderner Strahlentherapie, Chemotherapie und zielgerichteten Therapieansätzen konnten die Heilungschancen bei ALL in den letzten Jahren erheblich verbessert werden.