Tumoren der Wirbelsäule – Strahlentherapie
Strahlentherapie bei Tumoren der Wirbelsäule
Die Strahlentherapie (Radiotherapie, Radiatio) wird bei Tumoren der Wirbelsäule (Wirbelsäulenkarzinome) sowohl mit kurativer (heilender) als auch mit palliativer (krankheitsmildernder) Zielsetzung eingesetzt. Abhängig von der Tumorart kann sie allein oder in Kombination mit einer Operation (chirurgischer Eingriff) angewandt werden.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Metastasen (Tochtergeschwülste) strahlensensibler Primärtumoren (ersterkrankter Tumoren) – Dazu zählen Lymphome (Lymphdrüsenkrebs), Prostatakarzinome (Prostatakrebs) und Keimzelltumoren (Keimzellkrebs). Hierbei dient die Strahlentherapie als Standardtherapie zur:
- Analgesie (Schmerzlinderung) – Linderung tumorbedingter Schmerzen
- Rezidivvermeidung (Vermeidung eines Krankheitsrückfalls) – Reduktion des Risikos eines erneuten Tumorwachstums
- Rekalzifizierung (Wiederherstellung der Knochendichte durch Calciumaufnahme) – Steigerung der Calciumaufnahme (Einlagerung von Calcium) in das betroffene Gewebe (Körpergewebe) zur Wiederherstellung der Knochendichte (Mineralgehalt der Knochen)
- Ewing-Sarkome (bösartige Knochentumoren des Kindes- und Jugendalters) – Strahlentherapie als Bestandteil eines multimodalen Therapiekonzepts (Behandlung mit mehreren Methoden), entweder als definitive Therapie (alleinige Haupttherapie) oder adjuvant (unterstützend nach einer Operation) nach operativer Resektion (chirurgischer Entfernung des Tumors).
- Chordome (bösartige Tumoren der Schädelbasis und Wirbelsäule) und Chondrosarkome (Knorpeltumoren der Wirbelsäule) – Anwendung der Protonentherapie (Bestrahlung mit Protonenstrahlen) aufgrund der hohen Strahlenresistenz (Widerstandsfähigkeit gegen Strahlentherapie) dieser Tumorentitäten (Tumorarten).
- Primäre Tumoren der Wirbelsäule (bösartige Neubildungen der Wirbelsäule) – Ergänzende Strahlentherapie bei nicht vollständig resezierbaren Tumoren (Tumoren, die nicht komplett operativ entfernt werden können) oder aggressiven Tumoren (schnell wachsenden Krebsarten).
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Vorangegangene hochdosierte Bestrahlung (Bestrahlung mit sehr hoher Strahlendosis) im selben Bereich (Körperregion) mit überschreitender Gesamtstrahlendosis (maximal zulässige Strahlendosis)
- Strahleninduzierte Myelopathie (durch Strahlung verursachte Schädigung des Rückenmarks) in der Anamnese (medizinischen Vorgeschichte)
- Eingeschränkte Knochenmarksreserve (verminderte Fähigkeit des Knochenmarks zur Blutzellbildung), insbesondere nach vorheriger intensiver Chemotherapie (hochdosierte medikamentöse Krebsbehandlung)
Verfahrensbeschreibung
Die Strahlentherapie erfolgt mit modernen Techniken, um eine möglichst hohe Dosis (Strahlenmenge) am Tumor zu applizieren und das umliegende gesunde Gewebe zu schonen.
- Externe Strahlentherapie (Bestrahlung von außen) – Anwendung linearbeschleunigerbasierter Techniken (Hochpräzisionsstrahlung durch einen Linearbeschleuniger):
- Intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT, präzise Strahlenanpassung an den Tumor) – Anpassung der Dosisverteilung (Verteilung der Strahlung im Gewebe) an die Tumorkonturen (Umrisse des Tumors)
- Image-guided Radiotherapy (IGRT, bildgeführte Strahlentherapie) – Strahlenanpassung durch Bildgebung (bildgebende Verfahren zur Tumorortung) vor jeder Behandlung
- Stereotaktische Bestrahlung (SBRT, hochpräzise gezielte Hochdosisbestrahlung bei kleinen Tumoren) – Hochpräzise und hochdosierte Strahlenapplikation bei begrenzten Läsionen (kleinen Tumorherden)
- Protonentherapie (Strahlentherapie mit Protonenstrahlen) – Speziell für Chordome (spezielle Tumorart der Wirbelsäule) und Chondrosarkome (bösartige Knorpeltumoren), da Protonenstrahlen (geladene Teilchenstrahlen) ihre Energie (Strahlenwirkung) gezielt im Tumor abgeben (Bragg-Peak-Effekt, maximale Strahlenwirkung direkt im Tumor).
Therapiedurchführung
- Fraktionierungskonzepte (Aufteilung der Strahlendosis in mehrere Sitzungen):
- Konventionelle Fraktionierung (Standardmethode mit täglicher Bestrahlung) – 1,8-2 Gy pro Sitzung
- Hypofraktionierung (weniger Sitzungen mit höherer Dosis pro Bestrahlung) – höhere Einzeldosen bei reduzierter Gesamtzahl an Sitzungen
- Stereotaktische Hypofraktionierung (wenige hochdosierte Sitzungen mit extremer Präzision) – insbesondere bei Metastasen (Tochtergeschwülsten)
- Begleitende medikamentöse Therapie (zusätzliche Medikamentengabe zur Unterstützung der Strahlentherapie):
- Bisphosphonate (Medikamente zur Hemmung des Knochenabbaus, z. B. Zoledronsäure, Pamidronat) zur Hemmung der osteoklastischen Aktivität (Aktivität knochenabbauender Zellen) bei Knochenmetastasen (Tochtergeschwülste im Knochen)
- Denosumab (monoklonaler Antikörper gegen Knochenabbau) – Blockade des RANKL-Signalwegs (Regulationsweg des Knochenstoffwechsels), verhindert Knochenabbau (Zerstörung des Knochengewebes)
Erfolgsaussichten und Ansprechraten (Wirksamkeit der Therapie)
- Metastasen strahlensensibler Tumoren (gut auf Strahlen reagierende Tochtergeschwülste) – Hohe Ansprechraten (Erfolgsquoten) mit Schmerzreduktion (Schmerzlinderung) in bis zu 80 % der Fälle.
- Ewing-Sarkome (bösartige Knochentumoren im Kindesalter) – Strahlentherapie verbessert die lokale Tumorkontrolle (Verhinderung des Tumorwachstums am Ort der Entstehung) bei inkompletter Resektion (nicht vollständiger Tumorentfernung).
- Chordome und Chondrosarkome (seltene Tumoren der Wirbelsäule und des Schädels) – Protonentherapie (hochpräzise Strahlenbehandlung mit Protonen) zeigt bessere Langzeitkontrolle (dauerhafte Tumorbekämpfung) als konventionelle Bestrahlung (Standardbestrahlung mit Photonen).
Vergleich mit alternativen Verfahren
Methode | Technik | Vorteile | Nachteile |
---|---|---|---|
IMRT | Hochpräzise Photonenbestrahlung | Hohe Tumorkontrolle, geringe Nebenwirkungen | Erfordert komplexe Planung |
SBRT | Hochdosierte stereotaktische Bestrahlung | Schnelle Therapie, hohe Effektivität | Risiko für Strahlentoxizität |
Protonentherapie | Energieabgabe im Bragg-Peak | Schonung gesunden Gewebes | Hohe Kosten, begrenzte Verfügbarkeit |
Weitere Hinweise
- Wirbelmetastasen (Tochtergeschwülste in der Wirbelsäule): In einer randomisierten Studie konnte der Nachweis dafür erbracht werden, dass eine Radiotherapie die Gehfähigkeit der meisten Tumorpatienten mit Wirbelmetastasen in den letzten Lebenswochen erhalten bzw. wiederherstellen konnte. Üblicherweise erhalten dazu die Patienten 20 Gray, die auf 5 Teilbestrahlungen von jeweils 4 Gray aufgeteilt wurden (= sequenzielle Bestrahlung). In der vorliegenden Studie konnte nachgewiesen werden, dass eine einzelne Bestrahlung mit 8 Gray bereits gute Ergebnisse zeigte: Nach der einzelnen Bestrahlung waren 115 von 166 Patienten (69,3 %) in der Lage, sich ohne Hilfen fortzubewegen; nach der sequenziellen Bestrahlung waren 128 von 176 Patienten (72,7 %) gehfähig. Die Nicht-Inferiorität der Einmalbestrahlung war somit nicht zu belegen, aber den Patienten wurde so eine ganze Woche mit Bestrahlungsterminen erspart: Patienten mit Metastasen im unteren Bereich der Wirbelsäule sollten allerdings eine Mehrfachbestrahlung erhalten, da diese die Blasenfunktion mit einer höheren Wahrscheinlichkeit wiederherstellt [1].
- Schmerzlinderung bei Wirbelmetastasen: stereotaktische Radiochirurgie (SRS) versus konventionelle externe Radiotherapie (CRT) (Phase-3-Studie): Ansprechrate drei Monate nach der CRT war höher als nach der SRS (61 % versus 41 %), nach sechs und zwölf Monaten gab es dagegen kaum Unterschiede [2].
Fazit
Die Strahlentherapie ist ein essenzieller Bestandteil der Behandlung von Wirbelsäulentumoren. Ihre Rolle reicht von der palliativen Schmerzlinderung (Schmerzreduktion ohne Heilung) bis zur kurativen Therapie (Heilung durch Bestrahlung).
Literatur
- Hoskin PJ et al.: Effect of Single-Fraction vs Multifraction Radiotherapy on Ambulatory Status Among Patients With Spinal Canal Compression From Metastatic Cancer The SCORAD Randomized Clinical Trial. JAMA. 2019;322(21):2084-2094. doi:10.1001/jama.2019.17913
- Ryu S et al.: Stereotactic Radiosurgery vs Conventional Radiotherapy for Localized Vertebral Metastases of the Spine: Phase 3 Results of NRG Oncology/RTOG 0631 Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol 2023; https://doi.org/10.1001/jamaoncol.2023.0356