Tierbiss – Operative Therapie
Tierbissverletzungen bergen ein hohes Infektionsrisiko (ca. 85 %), insbesondere bei tiefen Bissen oder Kratzverletzungen. Neben der primären Wundversorgung müssen potenzielle Infektionen und Begleitverletzungen frühzeitig erkannt und behandelt werden.
Beachte – Grundsätzliche Maßnahmen
- Bissverletzungen der Hand mit Knochen- oder Gelenkbeteiligung erfordern eine stationäre Aufnahme.
- Handchirurgische Konsultation empfohlen zur frühzeitigen Identifikation von Sehnen-, Gefäß- oder Nervenverletzungen.
- Tetanusschutz überprüfen!
- Falls unklar oder unzureichend: Simultanimpfung (aktive + passive Immunisierung innerhalb von 5-12 Stunden).
- Tollwut-Prophylaxe nur in Ausnahmefällen notwendig.
- Rücksprache mit dem Amtstierarzt zur Risikoevaluation, falls das beißende Tier unbekannt oder auffällig ist.
Chirurgisches Vorgehen bei Bisswunden
1. Allgemeine Prinzipien
- Jede Bisswunde erfordert eine ärztliche Versorgung!
- Aufgrund der hohen Infektionsgefahr werden Bisswunden primär nicht verschlossen.
- Dringend abzuraten ist von einer Wundspülung mit Knopfkanülen oder Infusionskathetern!
- Risiko einer Keimverschleppung in tiefere Gewebsschichten.
- Bei kleinen Bisswunden, insbesondere an der Hand, großzügige Indikationsstellung für chirurgisches Débridement in Narkose!
2. Operative Versorgung nach Lokalisation der Bissverletzung
Bisswunden an Kopf und Hals (besonders häufig bei Kindern)
- Versorgung in einer plastisch-chirurgischen Einrichtung.
- HNO-ärztliche Konsultation erforderlich, da Wangenläsionen sich bis in die Mundhöhle fortsetzen können.
- Gesichtsverletzungen können primär vernäht werden, da hier ein geringeres Infektionsrisiko besteht.
Bisswunden an der Hand
- Sofortige Vorstellung in einem Handchirurgiezentrum!
- Keine primäre Wundnaht, um Infektionen zu vermeiden.
- Chirurgisches Débridement bei tiefen oder infizierten Wunden erforderlich.
Bisswunden an den Extremitäten
- Keine einheitlichen Empfehlungen zur Wundverschlussstrategie.
- Studien zeigen kein erhöhtes Infektionsrisiko bei primär genähten Bisswunden im Vergleich zur Sekundärheilung.
- Wenn Sehnen oder Gelenke betroffen sind → chirurgische Exploration erforderlich.
Bisswunden mit Beteiligung von Knochen oder Gelenken
- Notfallmäßige Krankenhausaufnahme.
- Orthopädisch-/Unfallchirurgische Konsultation erforderlich.
- Ggf. intraoperative Gelenkspülung zur Infektionsprävention.
3. Operative Wundversorgung – Standardvorgehen
Wundversorgung bei frischer Bissverletzung
- Blutstillung durch direkten Druck auf die Wunde.
- Inspektion zur Beurteilung tieferer Verletzungen von Muskeln, Gefäßen, Nerven und Knochen.
- Wundreinigung mit viel Flüssigkeit (NaCl 0,9 % oder Ringerlösung), ggf. Leitungswasser als Notlösung.
- Desinfektion mit antiseptischen Lösungen (z. B. 1 % Organojodlösung).
- Debridement (Wundtoilette): Entfernung nekrotischen (abgestorbenen) Gewebes, ggf. Wundrandexzision bei Quetschverletzungen.
- Keine primäre Wundnaht bei Handbisswunden!
- Wundimmobilisation in Funktionsstellung, Hochlagerung zur Ödemprophylaxe (Vorbeugung der Vermeidung einer Wassereinlagerung).
- Tägliche Wundkontrolle und Verbandswechsel, bis die Wunde trocken ist.
4. Infektionsprophylaxe und Antibiotika-Therapie
- Frühzeitige Antibiotikatherapie empfohlen bei:
- Tiefen Bisswunden mit Sehnen-, Knochen- oder Gelenkbeteiligung.
- Patienten mit Immunsuppression, Diabetes oder Gefäßerkrankungen.
- Hand- und Gesichtsbisswunden aufgrund hoher Infektionsrate.
- Bisswunden durch Katzen oder Menschen (höhere Keimbelastung als Hundebisse).
- Empfohlene Antibiotika-Therapie:
- Amoxicillin + Clavulansäure (oral) 875/125 mg 2× täglich für 5-7 Tage.
- Bei Penicillinallergie: Clindamycin + Ciprofloxacin.
- Bei tiefen oder infizierten Wunden: intravenöse Therapie (z. B. Ampicillin/Sulbactam oder Piperacillin/Tazobactam).
Zusammenfassung der chirurgischen Versorgung bei Tierbissen
Lokalisation | Vorgehen | Besondere Maßnahmen |
---|---|---|
Handbisswunden | Keine primäre Naht, chirurgisches Débridement | Handchirurgische Vorstellung |
Gesichtsbisswunden | Primärnaht meist möglich | Plastisch-chirurgische Versorgung |
Bisswunden mit Knochen- oder Gelenkbeteiligung | Stationäre Aufnahme | Operative Wundrevision erforderlich |
Tiefere Bisswunden oder Quetschwunden | Débridement, keine primäre Wundnaht | Breitspektrum-Antibiotika |
Infektionsgefährdete Patienten (Diabetes, Immunsuppression) | Frühzeitige Antibiotikatherapie | Verlängerte Wundkontrolle |
Die Versorgung von Bissverletzungen sollte interdisziplinär erfolgen, um funktionelle Einschränkungen, Narbenbildung und Infektionen zu minimieren.