Sturzneigung – Anamnese
Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der Sturzneigung dar.
Familienanamnese
Soziale Anamnese
Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)
- Wie häufig sind Sie schon gestürzt? Haben Sie sich dabei schon einmal verletzt?
- In welchen Situationen stürzen Sie? Im Haushalt, auf der Straße?
- Haben Sie Probleme beim Gehen/Laufen?
- Leiden Sie an Schwindel/Gleichgewichtsstörungen? Oder verlieren Sie das Bewusstsein?
- Haben Sie weitere Symptome (wie beispielsweise: Kopfschmerzen, Muskelzittern, Herzstolpern, Übelkeit etc.) im Zusammenhang mit dem Sturz bemerkt?
- Ist Ihr Sehvermögen beeinträchtigt?
- Ist Ihr Hörvermögen in bestimmten Situationen beeinträchtigt?
- Leiden Sie an Gelenkbeschwerden der Beine oder der Hüfte?
- Ist Ihr Erinnerungs-/Merkvermögen beeinträchtigt?
- Leiden Sie unter einer Depression?
Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese
Eigenanamnese inkl. Medikamentenanamnese
- Vorerkrankungen (Augenerkrankungen, Erkrankungen des Bewegungsapparates, neurologische Erkrankungen (z. B. Muskelschwäche), Herzkreislauferkrankungen)
- Operationen
- Allergien
- Orthopädische Hilfsmittel zur Fortbewegung?
Medikamente (sturzbegünstigende Medikamente; engl. "fall-risk increasing drugs", kurz "FRIDs")
- Alphablocker – es stürzten signifikant mehr Männer nach Beginn der Therapie als Männer in der Kontrollgruppe (1,45 versus 1,28 %). Relativ lag der Unterschied bei etwa 12 %, absolut nur bei 0,17 %; Knochenbrüche wurden bei 0,48 % der Patienten mit Alphablockern und bei 0,41 % ohne registriert (der Unterschied war signifikant) [2]
- Antiarrhythmika: Amiodaron, Digoxin – Durch mögliche Bradykardie oder Rhythmusstörungen kann Schwindel verstärkt auftreten.
- Anticholinergika
- Antidiabetika: Insulin und Sulfonylharnstoffe – Hypoglykämien erhöhen das Risiko für Bewusstseinsstörungen und Stürze.
- Antiepileptika
- Antipsychotika – Besonders bei älteren Patienten, da sie Sedierung und orthostatische Hypotonie begünstigen können.
- Benzodiazepine, Phenothiazine, trizyklische Antidepressiva; Antihypertensiva – besonders gefährdet waren Menschen, die bereits einen Sturz hatten [1]); eine andere Studie konnte den Zusammenhang mit Antihypertensiva nicht bestätigen: sie konnte sogar ein signifikant niedriges Risiko von Stürzen mit Verletzungsfolgen für ACE-Hemmer und Calciumantagonisten nachweisen [2]; eine weitere Studie konnte für RAAS-Hemmstoffe ebenfalls ein geringeres Sturzrisiko nachweisen [1]
- Betablocker – Können Schwindel und orthostatische Hypotonie verursachen, besonders bei Dosisanpassungen.
- Diuretika (Schleifendiuretika wie Furosemid) – Hypokaliämie (Kaliummangel) und Dehydratation (Austrocknung) erhöhen das Risiko von Stürzen.
- Hormone
- Antiandrogene (Enzalutamid, Apalutamid und Darolutamid) in der Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms: für alle Stürze ein relatives Risiko (RR) von 1,8, das mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,42 bis 2,24 signifikant war. Für die schweren Stürze (Grad 3 oder höher) betrug das relative Risiko 1,6 (1,27 bis 2,08) [3].
- Langzeit-Steroidtherapie – Kann zu Muskelschwäche und Osteoporose beitragen, was Stürze und Frakturen begünstigt.
- Nitrate – Durch Vasodilatation verursachte Hypotonie kann zu Schwindel und Stürzen führen.
- Opioide
- Parkinson-Medikamente: Levodopa und Dopaminagonisten – Verursachen häufig orthostatische Hypotonie und Dyskinesien, die das Sturzrisiko erhöhen.
- SSRIs und SNRIs (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) – Erhöhtes Risiko für Stürze, insbesondere in den ersten Wochen nach Beginn der Therapie.
- Thiaziddiuretika (Elektrolystörungen: Hyponatriämien: 22,1 Prozent; Hypokaliämien: 19,0 Prozent; am höchsten war das Risiko bei Chlortalidon; am geringsten Hydrochlorothiazid; dazwischen lagen Metolazon und Indapamid [4])
- Vasodilatatoren
- Zentralwirksame Antihistaminika
- Polypharmazie (> 6 verordnete Medikamente)
- Weitere Medikamente s. u. Delir und Hypotonie
Literatur
- Wong AK et al.: Angiotensin system-blocking medications are associated with fewer falls over 12 months in community-dwelling older people. J Am Geriatr Soc. 2013;61(5):776-81
- Welk B et al.: The risk of fall and fracture with the initiation of a prostateselectiveα antagonist: a population based cohort study. BMJ 2015;351:h5398
- Myint ZW et al.: Evaluation of Fall and Fracture Risk Among Men With Prostate Cancer Treated With Androgen Receptor Inhibitors A Systematic Review and Meta-analysisJAMA Netw Open. 2020;3(11):e2025826. doi:10.1001/jamanetworkopen.2020.25826
- Ravioli SR et al.: Risk of electrolyte disorders, syncope and falls in patients taking thiazide diuretics: results of a cross-sectional study Am J Med 8 May 2021 https://doi.org/10.1016/j.amjmed.2021.04.007