Speichenbruch (Radiusfraktur) – Einleitung

Bei der Radiusfraktur – umgangssprachlich Speichenbruch genannt – handelt es sich um eine Fraktur (Knochenbruch) des Radius (Speiche).

Thesaurus-Synonyme und ICD-10: Armfraktur; Barton-Fraktur; Chauffeur-Fraktur; Colles-Fraktur; distale Radiusfraktur; distale Radiustrümmerfraktur; Fraktur der oberen Radiusepiphyse; Fraktur der unteren Radiusepiphyse; Fraktur des Collum radii; Galeazzi-Fraktur; intraartikuläre Fraktur des Radius; offene distale Radiusfraktur; offene proximale Radiusfraktur; offene Radiusschaftfraktur; proximale Radiusfraktur; Radiusfraktur; Radiusfraktur loco typico; Radiusfraktur mit Ulnafraktur; Radiusgrünholzfraktur; Radiushalsfraktur; Radiusköpfchenfraktur; Radiusschaftfraktur; Reversed-Barton-Fraktur; Smith-Fraktur; Speichenfraktur; typischer Speichenbruch; typische Speichenfraktur; umgekehrte Barton-Fraktur; ICD-10-GM  S52.5-: Distale Fraktur des Radius; ICD-10-GM S52.3-: Fraktur des Radiusschaftes; ICD-10-GM S52.1-: Fraktur des proximalen Endes des Radius

Die Radiusfraktur gehört wie die Ulnafraktur (Speichenbruch) zur Unterarmfraktur (Unterarmbruch).

Sie gehört neben der Humeruskopffraktur (Oberarmkopfbruch) sowie der Schenkelhalsfraktur (SHF; Synonym: Oberschenkelhalsbruch/-fraktur) zu den häufigen Frakturen. Sie ist die häufigste Fraktur der oberen Extremität und bei älteren Patienten häufig mit einer zugrundeliegenden Osteoporose (Knochenschwund) assoziiert.

Anatomie und Funktionen

Der Radius (Speiche) ist einer der beiden Knochen des Unterarms, der in zwei Gelenken eine wesentliche Rolle spielt: dem Ellenbogengelenk (Articulatio cubiti) und dem Handgelenk (Articulatio radiocarpalis). Die Anatomie des Radius lässt sich in drei Hauptabschnitte unterteilen: proximal (nah am Ellenbogen), diaphysär (Schaft) und distal (nah am Handgelenk).

  • Proximaler Abschnitt
    • Radiuskopf (Caput radii): Artikulation mit dem Capitulum humeri und der Incisura radialis der Ulna.
    • Radiushals (Collum radii): Verbindung zwischen Kopf und Schaft des Radius.
  • Diaphysär Abschnitt
    • Radiusschaft (Corpus radii): Der längste Abschnitt des Knochens, der für die Stabilität und Hebelkraft des Unterarms entscheidend ist.
  • Distaler Abschnitt
    • Distales Radiusende: Bildet das Handgelenk und artikuliert mit den Handwurzelknochen (Scaphoid und Lunatum). Hier treten die meisten Radiusfrakturen auf, insbesondere bei älteren Menschen.

Funktionen

  • Ellenbogengelenk: Der Radius ermöglicht durch seine Artikulationen die Flexion und Extension des Unterarms sowie die Pronation (Einwärtsdrehung) und Supination (Auswärtsdrehung) der Hand.
  • Handgelenk: Der Radius trägt wesentlich zur Stabilität und Beweglichkeit des Handgelenks bei. Bewegungen wie die Dorsalextension (Handrücken nach oben) und Palmarflexion (Handfläche nach unten) sowie die Radial- (Daumenseite) und Ulnarabduktion (Kleinfingerseite) werden ermöglicht.

Formen der Radiusfraktur

Nach dem ICD-10-GM werden folgende Formen der Fraktur unterschieden:

  • Fraktur des proximalen (körpernahen) Endes des Radius (Radiusköpfchenbruch; ICD-10-GM S52.1)
  • Fraktur des Radiusschaftes (ICD-10-GM S52.3)
  • Fraktur des distalen (körperfernen, handgelenksnahen) Endes des Radius (ICD-10-GM S52.5) (18 % der Frakturen im Erwachsenenalter)

Ursachen: Die Radiusfraktur ist in der Regel durch einen Sturz bedingt.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Männer zu Frauen beträgt 1 : 1,4 (< 40 Jahre); 1 : 6,2 (> 40 Jahre).

Häufigkeitsgipfel: Man kann bei jungen Personen (< 40 Jahre) Hochenergie-Traumata von älteren Personen mit Niedrigenergie-Traumata unterscheiden.

Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) der distalen Radiusfraktur liegt bei circa 0,4 % bei Frauen und bei ca. 0,1 % bei Männern. Bei Personen > 50 Jahre steigt die Häufigkeit bei Frauen auf bis zu 15 %, bei Männern bis zu zwei Prozent (in Europa und USA).
Distale Radiusfrakturen (Knochenbrüche im unteren Speichenbereich) sind 25 % aller Frakturen bei Kindern und Jugendlichen und 18 % bei Erwachsenen.

Verlauf und Prognose

Verlauf

Einfache Frakturen

  • Kinder: Kinder haben meist eine sehr gute Spontanheilung. In der Regel erfolgt die Behandlung konservativ (nicht-operativ) durch Ruhigstellung. Nach vier bis sechs Wochen können einfache Greiftätigkeiten wieder aufgenommen werden.
  • Erwachsene: Bei Erwachsenen heilen einfache Frakturen in der Regel innerhalb von sechs bis acht Wochen. Die konservative Behandlung umfasst Ruhigstellung mittels Gips oder Schiene.

Komplizierte Frakturen

  • Kinder: Auch komplizierte Frakturen bei Kindern haben gute Heilungschancen, häufig ohne langfristige Folgen. Eine konservative Behandlung ist in den meisten Fällen ausreichend.
  • Erwachsene: Komplizierte Frakturen bei Erwachsenen können eine operative Intervention erfordern, wie die Fixierung mittels Platten, Schrauben oder Drähten. Die Heilungsdauer kann hier bis zu einem halben Jahr oder länger betragen.

Prognose

Kinder

  • Spontanheilung: Kinder haben eine ausgezeichnete Prognose mit hoher Spontanheilungsrate. Die Frakturen heilen oft ohne Komplikationen, und die volle Funktion der betroffenen Extremität wird in der Regel wiederhergestellt.
  • Langfristige Folgen: Langfristige Beeinträchtigungen sind selten. Die Wachstumsfugen sind in der Regel nicht betroffen, was das Risiko für Wachstumsstörungen minimiert.

Erwachsene

  • Heilung: Die Heilung ist stark vom Frakturtyp und der Behandlungsmethode abhängig. Einfache Frakturen heilen meistens komplikationslos innerhalb weniger Monate.
  • Komplikationen: Komplikationen wie Fehlstellungen, eingeschränkte Beweglichkeit und Schmerzen können auftreten. Bei älteren Patienten und solchen mit Osteoporose besteht ein höheres Risiko für verzögerte Heilung und Komplikationen.

Komplikationen

  • Posttraumatische Arthrose: Besonders bei intraartikulären Frakturen kann es zu einer posttraumatischen Arthrose kommen.
  • Kompartmentsyndrom: In seltenen Fällen kann ein Kompartmentsyndrom auftreten, das eine Notfallbehandlung erfordert.
  • Verzögerte Heilung: Verzögerte Heilung oder Pseudarthrose (Falschgelenkbildung) können auftreten, besonders bei schwerwiegenden Frakturen oder unzureichender Ruhigstellung.

Leitlinien

  1. S2e-Leitlinie: Distale Radiusfraktur. (AWMF-Registernummer: 012-015), Februar 2015 Langfassung