Sjögren-Syndrom – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das Sjögren-Syndrom (SjS) zählt zu den systemischen Autoimmunerkrankungen und gehört zur Gruppe der Kollagenosen (Bindegewebserkrankungen). Es führt zu einer chronisch-entzündlichen Zerstörung der exokrinen Drüsen, insbesondere der Speichel- und Tränendrüsen, und hat weitreichende systemische Auswirkungen.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

Initialer Pathomechanismus:

  • Autoimmunreaktion: Das Sjögren-Syndrom ist durch eine überschießende Reaktion des Immunsystems gegen körpereigenes Gewebe gekennzeichnet. Dies führt zu einer chronischen Entzündung, die vor allem die exokrinen Drüsen angreift.
  • Genetische Prädisposition: Verschiedene genetische Faktoren, wie bestimmte HLA-Genvarianten, begünstigen die Entstehung des Sjögren-Syndroms. Diese genetische Veranlagung macht das Immunsystem anfälliger für die Entwicklung einer Autoimmunreaktion gegen die exokrinen Drüsen.

Molekulare und zelluläre Veränderungen:

  • Lymphozyteninfiltration: Im Verlauf der Erkrankung kommt es zur Infiltration der Speichel- und Tränendrüsen mit Lymphozyten, insbesondere T- und B-Lymphozyten (weiße Blutkörperchen). Diese Zellen dringen in das Drüsengewebe ein und verursachen eine chronische Entzündung.
  • Antikörperbildung: Das Immunsystem produziert spezifische Autoantikörper, wie Anti-SSA (Ro) und Anti-SSB (La), die sich gegen Bestandteile der Zellkerne richten. Diese Antikörper sind diagnostisch wegweisend und tragen zur Entzündung und Zerstörung der Drüsen bei.
  • Apoptose: Durch die chronische Entzündung und die Immunreaktion kommt es zur Apoptose (programmierter Zelltod) der Drüsenzellen, was die Funktion der exokrinen Drüsen weiter beeinträchtigt.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

Veränderungen in der Gewebsarchitektur:

  • Atrophie des Parenchyms: Durch die chronische Entzündung und Zerstörung der Drüsenzellen kommt es zur Atrophie (Gewebeschwund) des funktionellen Gewebes (Parenchym) der betroffenen Drüsen.
  • Gangveränderungen: Die Gangstrukturen der Drüsen werden durch die entzündlichen Prozesse gestört, was die Sekretionsfähigkeit weiter einschränkt.

Beteiligung des umgebenden Gewebes:

  • Fibrose: In fortgeschrittenen Stadien kann es zur Fibrosierung (Narbenbildung) der Drüsen kommen, was deren Funktion weiter einschränkt und zu einer irreversiblen Zerstörung des Drüsengewebes führt.
  • Systemische Beteiligung: Neben den exokrinen Drüsen können auch andere Organsysteme wie Gelenke, Nieren, Lunge und Nervensystem betroffen sein. Die systemische Entzündungsreaktion führt zu einer Beteiligung von Haut, Gefäßen und inneren Organen.

Klinische Manifestation

Leitsymptome:

  • Trockenheit: Das Hauptsymptom ist die Trockenheit der Schleimhäute, insbesondere der Augen (Keratokonjunktivitis sicca) und des Mundes (Xerostomie). Diese entsteht durch die gestörte Sekretion der Tränen- und Speicheldrüsen.
  • Drüsenschwellungen: In manchen Fällen können die Speicheldrüsen, insbesondere die Parotis (Ohrspeicheldrüse), geschwollen sein.

Fortgeschrittene Symptome:

  • Systemische Symptome: Zusätzlich zu den Drüsenmanifestationen können systemische Symptome wie Gelenkschmerzen (Arthralgien), Müdigkeit und Hautveränderungen auftreten.
  • Schluckbeschwerden: Die Mundtrockenheit kann zu Schwierigkeiten beim Kauen und Schlucken führen und das Risiko für Infektionen der Mundhöhle erhöhen.

Progression und Organbeteiligung

Lokale Gewebeveränderungen:

  • Fortschreitende Drüsenzerstörung: Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu einer zunehmenden Zerstörung der exokrinen Drüsen, was zu einer vollständigen Funktionslosigkeit der Speichel- und Tränendrüsen führen kann.
  • Sekundäre Infektionen: Durch die eingeschränkte Sekretproduktion steigt das Risiko für Infektionen, z. B. der Augen (Konjunktivitis) und der Mundhöhle (Karies, orale Pilzinfektionen).

Systemische Auswirkungen bei chronischen Verläufen:

  • Autoimmunerkrankungen: Sjögren-Patienten haben ein erhöhtes Risiko, zusätzliche Autoimmunerkrankungen wie systemischen Lupus erythematodes (SLE) oder rheumatoide Arthritis zu entwickeln.
  • Lymphome: Es besteht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Non-Hodgkin-Lymphomen (besonders marginalzonenassoziierte Lymphome), bedingt durch die chronische lymphozytäre Infiltration.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

Beeinträchtigung der mechanischen Eigenschaften:

  • Drüsendysfunktion: Die eingeschränkte Funktion der Drüsen führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Symptome wie Mundtrockenheit, Sehprobleme und Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme.

Schmerzentstehung:

  • Entzündlicher Schmerz: Die chronische Entzündung in den Drüsen und Gelenken führt zu Schmerzen, insbesondere im Bereich der betroffenen Gelenke und Muskeln.

Regenerative und kompensatorische Prozesse

Versuche der Geweberegeneration:

  • Fehlende Regeneration: Im Gegensatz zu einigen anderen Erkrankungen zeigen die betroffenen Drüsen beim Sjögren-Syndrom in der Regel keine ausreichende Regeneration. Die Schäden an den Drüsen sind meist irreversibel.

Kompensatorische Anpassungsmechanismen:

  • Erhöhte Sekretion anderer Drüsen: In einigen Fällen versuchen andere Speichel- und Tränendrüsen, die verminderte Funktion der betroffenen Drüsen zu kompensieren. Dies reicht jedoch oft nicht aus, um die Beschwerden zu lindern.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Das Sjögren-Syndrom ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, die vor allem die exokrinen Drüsen betrifft und zur Trockenheit der Augen und des Mundes führt. Die Krankheit kann systemisch verlaufen und verschiedene Organe betreffen, was das Risiko für schwerwiegende Komplikationen wie Lymphome erhöht. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Ätiologie (Ursachen)

Die Ursachen der primären Form des Sjögren-Syndroms sind unbekannt.

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung – Gene: HLA-assoziiert (HLA-DR2, HLA-DR3)
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: STAT4, TNPO3
          • SNP: rs7574865 im Gen STAT4
            • Allel-Konstellation: GT (1,55-fach)
            • Allel-Konstellation: TT (2,4-fach)
          • SNP: rs10488631 im Gen TNPO3
            • Allel-Konstellation: GT (1,7-fach)
            • Allel-Konstellation: GG (3,4-fach)
  • Hormonelle Faktoren  Klimakterium (Wechseljahre der Frau) und Postmenopause (Zeitabschnitt, der dann beginnt, wenn die Menstruation für mindestens ein Jahr ausgeblieben ist)

Krankheitsbedingte Ursachen – sekundäres Sjögren-Syndrom

  • Hepatitis B, C
  • Kollagenosen
  • Lupus erythematodes (Gruppe von Autoimmunerkrankungen, bei der es zur Bildung von Autoantikörpern kommt)
  • Primär biliäre Cholangitis (PBC, Synonyme: nichteitrige destruierende Cholangitis; früher primär biliäre Zirrhose) – relativ seltene Autoimmunerkrankung der Leber (betrifft in ca. 90 % der Fälle Frauen); beginnt primär biliär, d. h. an den intra- und extrahepatischen ("innerhalb und außerhalb der Leber") Gallenwegen, die durch eine Entzündung zerstört werden (= chronisch nichteitrige destruierende Cholangitis). Im längeren Verlauf greift die Entzündung auf das gesamte Lebergewebe über und führt schließlich zu einer Vernarbung bis hin zur Zirrhose; Nachweis antimitochondrialer Antikörper (AMA); PBC ist häufig assoziiert mit Autoimmunerkrankungen (Autoimmunthyreoiditis, Polymyositis, systemischer Lupus erythematodes (SLE), progressive systemische Sklerose, rheumatoider Arthritis); in 80 % der Fälle mit einer Colitis ulcerosa (chronisch-entzündliche Darmerkrankung) assoziiert; Langzeitrisiko für ein cholangiozelluläres Karzinom (CCC; Gallengangskarzinom, Gallengangskrebs) liegt bei 7-15 %
  • Rheumatoide Arthritis – chronisch entzündliche Multisystemerkrankung, die sich meist in Form einer Synovialitis (Gelenkinnenhautentzündung) manifestiert