Schulterluxation – Operative Therapie
Die Schulterluxation (Verrenkung des Schultergelenks) ist eine der häufigsten Luxationen des menschlichen Körpers. Sie entsteht meist durch eine traumatische Überdehnung der Gelenkstrukturen, wodurch der Oberarmkopf aus der Gelenkpfanne rutscht. Eine operative Therapie ist erforderlich, wenn konservative Maßnahmen nicht ausreichen oder strukturelle Schäden eine chirurgische Stabilisierung erfordern.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
Die operative Therapie der Schulterluxation ist indiziert, wenn:
- Die Schulterluxation nicht zu reponieren (Zurückbringen in eine Normallage) oder retinieren (zurückhalten) ist.
- Beim jungen sportlichen Patienten eine Labrumbeteiligung (Gelenklippe, die eine 3–4 mm breite, wulstige Umrahmung der Knorpelpfanne des Schulterblatts bildet) vorliegt.
- Eine stark dislozierte (verschobene) Bankart-Läsion (Abriss der unteren Gelenklippe mit Kapselbandstrukturen) vorliegt.
- Die Rotatorenmanschette (Gruppe von vier Muskeln, deren Sehnen zusammen mit dem Ligamentum coracohumerale eine derbe Sehnenkappe bilden, die das Schultergelenk umfasst) einen frischen Riss zeigt.
- Die Beschwerden einer Rotatorenmanschettenruptur (Riss der Rotatorenmanschette) persistieren (bestehen bleiben).
- Eine ausgedehnte Kopfimpression (Kopfeinbruch, Hill-Sachs-Läsion) vorliegt.
- Beteiligte Knochenanteile frakturiert (gebrochen) sind.
- Das Tuberculum majus humeri (seitlicher Knochenvorsprung des proximalen Oberarmknochens) nach der Reposition stark disloziert ist.
- Es zu rezidivierenden Luxationen (wiederkehrenden Verrenkungen) trotz Ruhigstellung kommt.
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Schwere internistische Grunderkrankungen, die ein OP-Risiko darstellen (z. B. dekompensierte Herzinsuffizienz, instabile Angina pectoris).
- Fortgeschrittene Osteoporose (Knochenschwund) mit stark reduzierter Knochendichte.
- Unzureichender Allgemeinzustand oder fehlende Compliance (Therapietreue) des Patienten zur postoperativen Nachbehandlung.
- Aktive Infektionen im Operationsgebiet.
Operationsverfahren
Arthroskopische Verfahren
- Bankart-Repair – Naht der abgerissenen Gelenklippe (Labrum glenoidale) an die Knorpelpfanne (Cavitas glenoidalis).
- Kapselraffung – Straffung der Gelenkkapsel zur Stabilisierung des Schultergelenks.
- Remplissage-Technik – Verstärkung der hinteren Gelenkkapsel bei ausgedehnter Hill-Sachs-Läsion (Knochendefekt am Oberarmkopf).
- SLAP-Repair – Rekonstruktion des oberen Labrum-Bizepssehnen-Komplexes.
Offene Operationsverfahren
- Latarjet-Operation – Transfer des Processus coracoideus (knöcherner Vorsprung des Schulterblatts) mit daran befestigter Sehne zur Stabilisierung des vorderen Schultergelenks.
- Offene Bankart-Operation – Refixation der abgerissenen Gelenklippe mit zusätzlicher Kapselraffung.
- Humeruskopfrekonstruktion – Auffüllung von Defekten mittels Spongiosaplastik (Auffüllung mit körpereigenem Knochenmaterial) oder Allograft (Knochenersatz von Spendern).
- Glenoidaugmentation – Verstärkung der Gelenkpfanne durch autologe (körpereigene) oder allogene (fremde) Knochentransplantate.
Postoperative Nachsorge
- Ruhigstellung in einer Schulterorthese (Schulterstütze) für 3-6 Wochen (je nach Verfahren und individueller Heilung).
- Physiotherapeutische Mobilisation zur Vermeidung von Schultersteife (Einschränkung der Beweglichkeit).
- Progressive Belastungssteigerung unter Anleitung zur Wiederherstellung der Muskelkraft und Stabilität.
- Sportliche Aktivitäten erst nach Freigabe durch den behandelnden Arzt.
Mögliche Komplikationen
- Rezidivierende Luxationen trotz operativer Stabilisierung.
- Infektionen und Wundheilungsstörungen.
- Bewegungseinschränkungen durch Narbenbildung oder Verklebungen.
- Nervenverletzungen (z. B. N. axillaris-Schädigung, Schädigung des Achselnervs).
- Arthroseentwicklung (Gelenkverschleiß) bei fortschreitenden Knorpelschäden.
Vergleich der Operationsmethoden
Operationsverfahren | Indikation | Vorteile | Nachteile |
---|---|---|---|
Arthroskopische Bankart-Repair | Labrumabriss ohne knöcherne Beteiligung | Minimal-invasiv, kurze Rehabilitationszeit | Höheres Rezidivrisiko bei großen Knochendefekten |
Offene Bankart-Operation | Wiederholte Luxationen mit Kapselinsuffizienz | Stabile Fixierung, niedrigere Rezidivrate | Längere Rehabilitationszeit |
Latarjet-Operation | Signifikanter Glenoidknochendefekt | Sehr hohe Stabilität, niedrige Luxationsrate | Aufwändigere Operation, längere Erholungsphase |
Remplissage-Technik | Große Hill-Sachs-Läsion | Verhindert posteriore Instabilität | Kann Beweglichkeit leicht einschränken |
Fazit
Die Wahl des operativen Verfahrens hängt von der Schädigung der Gelenkstrukturen und den individuellen Faktoren des Patienten ab. Arthroskopische Verfahren sind bei primären Luxationen ohne größere knöcherne Defekte oft ausreichend. Offene Verfahren wie die Latarjet-Operation sind indiziert, wenn erhebliche knöcherne Instabilitäten bestehen. Die postoperative Nachbehandlung ist essenziell, um eine dauerhafte Schulterstabilität und Funktionalität zu gewährleisten.
Weitere Hinweise
- Die Kombination von Operation und trainingsbasierten Interventionen (EBI) kann bei einer ersten traumatischen anterioren (vorderen) Schulterluxation empfohlen werden: Die Chance auf Rezidivfreiheit ist verdoppelt und im Regelfall wird auch die Rückkehr zur Aktivität erleichtert [1].
Literatur
- Chiddarwar V et al.: Effectiveness of combined surgical and exercise-based interventions following primary traumatic anterior shoulder dislocation: a systematic review and meta-analysis. Br J Sports Med 2023; https://doi.org/10.1136/bjsports-2022-106422