Schleudertrauma – Medizingerätediagnostik
Obligate Medizingerätediagnostik
- Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule in zwei Ebenen mit Dens-Zielaufnahme, ggf. zusätzlich Schrägaufnahmen/Zielaufnahmen
Indikationen: nachfolgend Risikofaktoren, die direkt an die Bildgebung indizieren: Alter ≥ 65 Jahre, gefährlicher Unfallmechanismus, Parästhesien (Missempfindung) der Extremitäten; siehe auch unten unter weitere Hinweise: Ausschluss einer HWS-Verletzung klinisch und ohne Bildgebung
Fakultative Medizingerätediagnostik ‒ in Abhängigkeit von den Ergebnissen der Anamnese, der körperlichen Untersuchung, Labordiagnostik und der obligaten Medizingerätediagnostik ‒ zur differentialdiagnostischen Abklärung
- Computertomographie des Schädels (Schädel-CT, craniale CT bzw. cCT) und der Halswirbelsäule – bei schwerwiegendem HWS-Beschleunigungstraumas (HWS-BT), neurologischem Defizit, makroskopischen Weichteilverletzungen oder Raumforderung, auffälliger konventioneller Röntgendiagnostik und unvollständiger Abbildung der HWS-Segmente
- Magnetresonanztomographie (MRT) der Halswirbelsäule – bei Verdacht auf Weichteilschäden (Bandverletzungen, Hämatom (Bluterguss), Ödem (Wassereinlagerung)), bei schwerwiegendem HWS-Beschleunigungstraumas (HWS-BT), neurologischem Defizit, makroskopischen Weichteilverletzungen oder Raumforderung sowie zur Darstellung knöcherner Kontusionen/Prellungen („bone bruise“)
[häufige MRT-Befunde sind: okkulte Frakturen (Knochenbruch (Fraktur), der in der normalen Röntgenaufnahme nicht erkennbar ist), muskuläre Hämatome (Blutergüsse) sowie Knochenmarködem (umschriebene Läsion des Knochenmarkes mit vermehrter Flüssigkeitsansammlung im Knochen) sowie Zerrungen und Risse]
- Dopplersonographie (Ultraschalluntersuchung, die Flüssigkeitsströme (vor allem den Blutfluss) dynamisch darstellen kann) – bei Verdacht auf Gefäßverletzungen
- Diagnostik bei begründetem Verdacht auf Verletzung des Nervensystems bzw. von Gehör- oder Vestibularapparat [S1-Leitlinie]
- Ableitung von somatosensibel evozierten Potenzialen (SEP; Schädigung des peripheren oder zentralen sensiblen Systems)
- Magnetisch evozierte motorische Potenziale (MEP; Schädigung des peripheren oder zentralen motorischen Systems)
- Elektromyogramm (EMG, sinnvoll nach 2-3 Wochen; Schädigung des peripheren motorischen Systems)
- Nervenleitgeschwindigkeitsmessung (NLG, F-Welle; Abgrenzung peripherer nicht radikulärer Nervenläsionen)
- Sonographie (Ultraschall), Ausscheidungsurogramm, Tonometrie (Blasendruckmessung) bei anhaltender Miktionstörung (Blasenentleerungsstörung) – zur Beurteilung der Blasenfunktion
*S1-Leitlinie
Weitere Hinweise
- Gemäß einer Metaanalyse ist der Nutzen einer zusätzlichen MRT nach stumpfen Trauma der Wirbelsäule fraglich: Bei 5.286 Patienten mit stumpfem HWS-Trauma und negativem CT-Befund ergaben sich in 792 Fällen zusätzliche Befunde (= 15,0 %); nur in 16 Fällen, die man in der CT nicht erkannt hatte, wurden zusätzlich instabile Verletzungen (= 0,30 %) gefunden [1].
- Ausschluss einer HWS-Verletzung klinisch und ohne Bildgebung mit ausreichender Sicherheit gemäß der kanadischen C‑Spine-rule-Studie (Sensitivität von 100 %) nach folgenden Kriterien [2]:
- < 65 Jahre
- kein gefährlicher Unfallmechanismus wie
- Sturz aus Höhe > 90 cm
- axiale Krafteinwirkung (z. B. Tauchunfall)
- Unfälle mit motorisierten Freizeitgeräten, Motor- oder Fahrrädern,
- Hochgeschwindigkeitsunfälle (> 100 km/h, mit Überschlag, Herausschleudern)
- keine Parästhesien in den Extremitäten
- sitzend in der Notaufnahme
- gehfähig (jederzeit nach der Verletzung)
- Untersuchung: 45°-Halsdrehung nach links und rechts möglich.
Literatur
- Malhotra A et al.: Utility of MRI for cervical spine clearance after blunt traumatic injury: a meta-analysis. Eur Radiol 2016, online 22. Juni; doi: 10.1007/s00330-016-4426-z
- Stiell IG, Wells GA, Vandemheen KL et al.: The Canadian C‑spine rule for radiography in alert and stable trauma patients. JAMA 2001 Oct 17;286(15):1841-8
Leitlinien
- S1-Leitlinie: Beschleunigungstrauma der Halswirbelsäule. (AWMF-Registernummer: 030-095), August 2020 Langfassung