Riesenzellarteriitis – Strahlentherapie

Die Riesenzellarteriitis (RZA), auch Arteriitis temporalis genannt, ist eine systemische, granulomatöse Großgefäßvaskulitis (entzündliche Erkrankung großer Blutgefäße), die bevorzugt die extrakraniellen Äste der A. carotis externa (äußeren Halsschlagaderäste) betrifft – insbesondere die A. temporalis (Schläfenarterie). Typischerweise tritt sie bei Patienten über 50 Jahren auf und ist eng mit der Polymyalgia rheumatica (entzündlich bedingte Muskelschmerzen) assoziiert. Die klassische Therapie erfolgt medikamentös mit Glucocorticoiden (kortisonhaltige Entzündungshemmer). In ausgewählten, therapierefraktären Fällen wurde der Einsatz der Strahlentherapie als immunmodulierende Maßnahme (beeinflussende Wirkung auf das Immunsystem) beschrieben. Eine kurative Intention besteht hierbei nicht, vielmehr handelt es sich um eine individuelle experimentelle Option bei chronisch-rezidivierendem Verlauf (wiederkehrender Langzeitverlauf).

Zielsetzung und Wirkung

Therapeutische Zielsetzung

  • Reduktion der entzündlichen Aktivität bei steroidrefraktärer oder steroidintoleranter Riesenzellarteriitis
  • Kontrolle schmerzhafter Symptome, insbesondere der kranialen Ischämiesymptomatik (Mangeldurchblutung im Kopfbereich)

Wirkmechanismus

  • Antiinflammatorische (entzündungshemmende) und immunmodulatorische Wirkung auf vaskuläres und perivaskuläres Gewebe (Gefäß- und umgebendes Gewebe)
  • Hemmung proinflammatorischer Zytokine (z. B. IL‑6, TNF‑α)
  • Beeinflussung antigenpräsentierender Zellen (Makrophagen, dendritische Zellen)
  • Induktion apoptotischer Signalwege (Zelltod) bei aktivierten Endothelien (Gefäßinnenzellen) und Lymphozyten (bestimmte weiße Blutkörperchen)

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Therapieresistente RZA bei kontraindizierter oder unzureichend wirksamer Glucocorticoid- oder IL-6-Antagonisten-Therapie
  • Chronisch-rezidivierender Verlauf mit persistierender lokaler Arterienschwellung und Schmerzsymptomatik
  • RZA mit okulärer oder neurologischer Symptomatik (Augen- oder Nervensymptome), bei der systemische Immunsuppression versagt
  • Wunsch nach Reduktion systemischer Therapielast bei multimorbiden Patienten (mehreren gleichzeitig bestehenden Erkrankungen)

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

Absolute Kontraindikationen

  • Akute Infektion im Bestrahlungsfeld
  • Vorbestehende hochdosierte Strahlentherapie im Kopfbereich
  • Schwangerschaft

Relative Kontraindikationen

  • Zustand nach Karotisendarteriektomie (operative Ausschälung der Halsschlagader) oder Stent im Bestrahlungsfeld
  • Eingeschränkte zerebrale Perfusion (verminderte Durchblutung des Gehirns, z. B. nach Schlaganfall)

Das Verfahren (Anwendung und Durchführung)

Die Strahlentherapie bei Riesenzellarteriitis ist ein individualisierter, off-label Einsatz (nicht regulär zugelassen) in palliativer oder antiinflammatorischer Zielsetzung. Es gibt keine standardisierte Protokollierung; publizierte Fallberichte und Serien schlagen folgende Parameter vor:

  • Planung
    • CT-gestützte 3D-Planung mit Abbildung der A. temporalis superficialis
    • Dosisvolumenbegrenzung für Auge, Linse und Parotis (Ohrspeicheldrüse) beachten
  • Bestrahlungstechnik
    • Photonentherapie mit Linearbeschleuniger
    • Einzel- oder beidseitige tangentiale Felder
    • Ggf. IMRT (intensitätsmodulierte Strahlentherapie) zur Schonung der Augen
  • Dosis und Fraktionierung
    • Gesamtdosis: 6-8 Gy in 3-5 Fraktionen
      • z. B. 3 × 2 Gy oder 5 × 1,5 Gy
    • Einzeldosis möglichst gering
  • Zielvolumen
    • Die betroffene A. temporalis inklusive etwaigem tastbarem Knoten
    • Sicherheitsrand von 0,5–1 cm auf die Gefäßkontur

Aktueller Stellenwert im Therapiekonzept

Die Strahlentherapie stellt derzeit kein standardisiertes Verfahren in der Behandlung der Riesenzellarteriitis dar. Ihre Anwendung beschränkt sich auf kasuistische Berichte und individuelle Heilversuche bei refraktären Verläufen. Sie kann in einem multimodalen Therapiekonzept bei selektierten Patienten zur Linderung lokaler Symptome beitragen. Eine routinemäßige Anwendung ist nicht gerechtfertigt. Die Anwendung erfordert ein interdisziplinäres Vorgehen, Einzelfallbewertung sowie die Zustimmung des Patienten im Rahmen individueller Heilversuche.

Evidenzlage und Studien

Die Datenlage zur Strahlentherapie bei Riesenzellarteriitis ist limitiert. Es existieren einzelne kasuistische Berichte, die eine signifikante Reduktion der Arterienschmerzen und Schwellung dokumentieren. Kontrollierte Studien fehlen. In der Onkologie wurde die antiinflammatorische Wirkung von Strahlentherapie im Niedrigdosisbereich z. B. bei M. Dupuytren, M. Ledderhose oder degenerativen Gelenkerkrankungen besser dokumentiert, was eine rationale Grundlage für ihre Anwendung bei Vaskulitiden darstellt.

Literatur

  1. Seegenschmiedt MH, Micke O, Muecke R: Radiotherapy for non-malignant disorders: state of the art and update of the evidence-based practice guidelines. Br J Radiol. 015 Jul;88(1051):20150080. doi: 10.1259/bjr.20150080. Epub 2015 May 8.