Riesenzellarteriitis – Einleitung

Die Riesenzellarteriitis (RZA) ist die häufigste Form der systemischen Vaskulitis (Entzündung von Blutgefäßen) bei Menschen über 50 Jahren. Diese Erkrankung betrifft bevorzugt große und mittlere Arterien, insbesondere die Arterien des Kopfes, wie die Arteria temporalis (Schläfenarterie). Eine rechtzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend, da die Erkrankung unbehandelt zu schwerwiegenden Komplikationen wie Sehverlust führen kann.

Synonyme und ICd-10: Arteriitis temporalis; Arteriitis temporalis Horton, Riesenzellarteriitis, Horton'sche Riesenzellarteriitis; Großgefäßvaskulitis; Horton-Magath-Brown-Syndrom; kranielle Arteriitis; Morbus Horton; Polymyalgia arteriitica; Polymyalgia arteriitica mit Riesenzellen; Polymyalgia rheumatica; Riesenzellarteriitis a.n.k.; Riesenzellarteriitis bei Polymyalgia rheumatica; Riesenzellarteriitis bei rheumatischer Polymyalgie; Riesenzell-Arteriitis mit Arteriitis temporalis; Riesenzellengranuloarteriitis; Riesenzellgranuloarteriitis; ICD-10-GM M31.5: Riesenzellarteriitis bei Polymyalgia rheumatica)

Die Riesenzellarteriitis (RZA) und die Takayasu-Arteriitis (TA) werden unter dem Begriff „Großgefäßvaskulitis“ (GGV) zusammengefasst.

Anatomie und Funktionen

Die Riesenzellarteriitis betrifft vor allem:

  • Große Arterien des Kopfes: Besonders die Arteria temporalis, Arteria ophthalmica und ihre Äste.
  • Aorta und ihre großen Äste: Aortabeteiligung kann zu Aneurysmen oder Dissektionen führen.
  • Extrakranielle Arterien: Insbesondere Arterien der oberen Extremitäten können betroffen sein.

Charakteristische Laborbefunde

  • Erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG): Typisch für entzündliche Prozesse.
  • Erhöhtes C-reaktives Protein (CRP): Ein Marker für systemische Entzündungen.
  • Erhöhte Leukozytenzahl: Hinweis auf eine entzündliche Reaktion.
  • Anämie (Blutarmut): Kann als Begleiterscheinung auftreten.

Formen der Erkrankung

Riesenzellarteriitis kann in verschiedenen klinischen Präsentationen auftreten:

  • Kraniale Riesenzellarteriitis: Betrifft primär die Arterien des Kopfes und führt zu typischen Symptomen wie Kopfschmerzen, Kauschmerzen und Sehstörungen.
  • Großgefäßbeteiligung: Umfasst die Aorta und ihre großen Äste, was zu systemischen Komplikationen führen kann.
  • RZA mit Polymyalgia rheumatica (PMR): Bei dieser Form sind zusätzlich die typischen Muskelschmerzen und -steifigkeit der PMR vorhanden.

Ursachen

Die genaue Ursache der Riesenzellarteriitis ist nicht vollständig geklärt. Es wird eine Autoimmunreaktion vermutet, bei der das Immunsystem fälschlicherweise die Arterienwände angreift und eine entzündliche Reaktion auslöst. Genetische Faktoren und Umwelteinflüsse könnten ebenfalls eine Rolle spielen.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Frauen sind zwei- bis sechsmal häufiger betroffen als Männer.

Häufigkeitsgipfel:
Die Erkrankung tritt fast ausschließlich bei Personen über 50 Jahren auf, mit einem Gipfel zwischen 70 und 79 Jahren.

Prävalenz
(Krankheitshäufigkeit): Die Prävalenz variiert, liegt aber in Europa bei etwa 1-2 % der Bevölkerung über 50 Jahren.

Inzidenz
(Häufigkeit von Neuerkrankungen): In Deutschland beträgt die Inzidenz etwa 3,5 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr, mit höheren Raten in Nordeuropa.

Verlauf und Prognose

Verlauf

Die Riesenzellarteriitis (RZA) ist ein Notfall und bedarf sofortiger medizinischer Intervention. Unbehandelt kann die Erkrankung zu einer Beteiligung der Aorta und ihrer Seitenäste führen, was wiederum zu schweren Komplikationen wie Aortenaneurysmen führt.

Die häufigste und schwerwiegendste Komplikation ist der irreversible Visusverlust, der bei etwa 15-20 % der Patienten auftritt, bevor eine adäquate Therapie eingeleitet wird. Zu den initialen Symptomen gehören Kopfschmerzen, Kauschmerzen, Claudicatio masticatoria (belastungsabhängige Kieferschmerzen während des Kauvorgangs), allgemeines Krankheitsgefühl und Fieber. Es können auch Gefäßveränderungen wie verdickte, empfindliche und pulsschwache Temporalarterien (Schläfenarterien)  beobachtet werden.

Da die Krankheit häufig zusammen mit der Polymyalgia rheumatica (PMR) auftritt, leiden viele Patienten zusätzlich unter gürtelförmigen Muskelschmerzen im Schulter- und Beckengürtelbereich.

Die Diagnose erfolgt klinisch und wird durch erhöhte Entzündungsparameter im Blut (wie BSG und CRP) sowie durch eine Biopsie der betroffenen Arterie gestützt. Bildgebende Verfahren wie Ultraschall und MRT können ebenfalls hilfreich sein.

Prognose

  • Mit Therapie: Bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung mit Glucocorticoiden ist die Prognose in der Regel gut. Die meisten Patienten sprechen gut auf die Therapie an, und eine Verbesserung der Symptome tritt meist rasch ein.
  • Ohne Therapie: Unbehandelt kann die Riesenzellarteriitis zu schweren Komplikationen wie Aneurysmen (Gefäßaussackungen), Arteriendissektionen (Aufspaltung (Dissektion) der Wandschichten von Arterien) und irreversiblem Sehverlust führen.
  • Langzeittherapie: Aufgrund der hohen Rezidivrate sind oft langfristige Glucocorticoid-Therapien erforderlich, was das Risiko für Nebenwirkungen wie Osteoporose (Knochenschwund) und Diabetes mellitus erhöht.

Komorbiditäten

Die Riesenzellarteriitis ist in 50-66 % der Fälle mit der Polymyalgia rheumatica (PMR) assoziiert.

In bis zu 70 % der Fälle liegt eine Augenbeteiligung vor. Weitere Komorbiditäten sind: Gesichtsschmerzen, Osteoporose, Hypokaliämie (Kaliummangel) und zahlreiche Infektionserkrankungen wie orale Candidiasis (Befall der Mundschleimhaut mit Hefepilzen) und Herpes zoster (Gürtelrose). 

Beachte: Der klinische Verdacht auf eine Riesenzellarteriitis stellt eine sofortige Behandlungsindikation dar!

Leitlinien

  1. Hellmich B et al.: 2018 Update of the EULAR recommendations for the management of large vessel vasculitis Ann Rheum Dis. 2019 Jul 3. pii: annrheumdis-2019-215672. doi: 10.1136/annrheumdis-2019-215672.
  2. S2k-Leitlinie: Management der Großgefäßvaskulitiden. (AWMF-Registernummer: 060 - 007), Juli 2020 Kurzfassung Langfassung