Rheumatoide Arthritis – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die rheumatoide Arthritis (RA) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem die Gelenke angreift. Dieser Prozess führt zu einer Entzündung der Synovialmembran (Gelenkinnenhaut) und kann zu einer fortschreitenden Zerstörung der Gelenkstrukturen führen. Es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischer Veranlagung, Immunreaktionen und möglichen infektiösen Auslösern die Krankheit begünstigt.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

Initialer Pathomechanismus

  • Einwanderung von Entzündungszellen: In den betroffenen Gelenken kommt es zur Infiltration von Makrophagen (Fresszellen) und T-Lymphozyten (spezielle Abwehrzellen) in die Synovialmembran (Innenhaut der Gelenkkapsel). Diese Zellen setzen proinflammatorische Zytokine (entzündungsfördernde Botenstoffe) wie Interleukin-1b (IL-1b) und Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α) frei, die eine Schlüsselrolle bei der Gelenkzerstörung spielen.
  • Genetische Disposition: Eine genetische Veranlagung kann eine wichtige Rolle spielen, insbesondere mit der HLA-DR4-Expression (einem bestimmten genetischen Marker), was auf eine erbliche Neigung zur rheumatoiden Arthritis hinweist.

Molekulare und zelluläre Veränderungen

  • Proinflammatorische Zytokine: Die Freisetzung von IL-1b und TNF-α führt zu einer Verstärkung des Gelenkentzündungsprozesses. Diese Botenstoffe aktivieren Osteoklasten (knochenabbauende Zellen) und Makrophagen (Fresszellen), was den Abbau der Gelenkstrukturen beschleunigt.
  • Lymphozyten und Interleukin-9 (IL-9): Bei einer chronischen Entzündung haben sogenannte angeborene Lymphozyten (engl. Innate Lymphoid Cells, ILC2s) eine zentrale Aufgabe im Immunsystem, um Entzündungen zu stoppen. Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis befinden sich diese in einer Art "Winterschlaf". Die ILC2-Aktivierung wird durch Interleukin-9 (IL-9) vermittelt [10].

Entwicklung struktureller Veränderungen

  • Gelenkdestruktion: Die fortgesetzte Entzündung führt zur Zerstörung von Knorpel, Knochen und den umgebenden Weichteilen. Es entwickelt sich Pannus (entzündliches Gewebe), der die Gelenkstrukturen zerstört.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

Veränderungen in der Gewebsarchitektur

  • Pannusbildung: Die Entzündung in der Synovialmembran (Innenhaut der Gelenkkapsel) führt zur Bildung von Pannus (krankhaft vermehrtes Gewebe), das in den Gelenkknorpel eindringt und diesen zerstört.

Beteiligung des umgebenden Gewebes

  • Bänder und Sehnen: Durch die chronische Entzündung können auch Bänder und Sehnen betroffen sein, was zu Überdehnungen, Rissen und chronischen Schmerzen führt.
  • Muskuläre Atrophie: Da die betroffenen Gelenke schmerzhaft sind und weniger bewegt werden, kann es zu einem Abbau der umgebenden Muskulatur kommen.

Klinische Manifestation

Leitsymptome

  • Gelenkschmerzen: Zu den häufigsten Symptomen gehören schmerzhafte, geschwollene und steife Gelenke, insbesondere am Morgen.
  • Morgensteifigkeit: Viele Patienten berichten über ausgeprägte Gelenksteifigkeit am Morgen, die sich nach einiger Zeit der Bewegung bessert.

Fortgeschrittene Symptome

  • Deformitäten: Mit der Zeit können die Gelenke verformt werden, was zu dauerhaften Fehlstellungen führt, besonders in den Händen und Füßen.
  • Bewegungseinschränkungen: Die fortschreitende Gelenkzerstörung führt zu einer immer stärkeren Einschränkung der Beweglichkeit.

Progression und Organbeteiligung

Lokale Gewebeveränderungen

  • Knorpel- und Knochenschäden: Im Verlauf der Krankheit kommt es zu einem vollständigen Abbau des Knorpels und einer Schädigung des darunterliegenden Knochens.

Systemische Auswirkungen bei chronischen Verläufen

  • Systemische Entzündung: Rheumatoide Arthritis kann auch andere Organe betreffen, darunter Lunge, Herz und Blutgefäße, was zu erheblichen Komplikationen führen kann.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

Beeinträchtigung der mechanischen Eigenschaften

  • Verlust der Gelenkfunktion: Die Gelenkfunktion nimmt im Verlauf der Erkrankung zunehmend ab, was die Fähigkeit zur Ausführung täglicher Aufgaben beeinträchtigt.
  • Deformitäten: Deutliche Gelenkverformungen, insbesondere an den Händen, beeinträchtigen die mechanische Stabilität der Gelenke.

Schmerzentstehung

  • Mechanischer Schmerz: Der mechanische Schmerz entsteht durch den Abbau des Gelenkknorpels, was den direkten Kontakt der Knochenflächen zur Folge hat.
  • Entzündlicher Schmerz: Zusätzlich kommt es durch die Entzündung in der Gelenkinnenhaut zu einem entzündlichen Schmerz, der die Symptomatik verstärkt.

Regenerative und kompensatorische Prozesse

Versuche der Geweberegeneration

  • Unzureichende Regeneration: Trotz Versuchen des Körpers, den Knorpel zu regenerieren, gelingt dies häufig nicht, da der Entzündungsprozess die Regeneration übersteigt.

Kompensatorische Anpassungsmechanismen

  • Vermehrte Osteophytenbildung: Der Körper versucht, durch vermehrte Knochenbildung die Gelenkstabilität zu verbessern, was jedoch oft zu weiteren Beweglichkeitseinschränkungen führt.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Die rheumatoide Arthritis ist eine chronische Autoimmunerkrankung, die zu einer progressiven Zerstörung der Gelenke führt. Die Krankheit ist durch Schmerzen, Steifheit und Funktionsverlust in den betroffenen Gelenken gekennzeichnet. Die frühe Diagnose und Behandlung sind entscheidend, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung – bei Verwandten 1. Grades von an rheumatoider Arthritis erkrankten Personen ist das Risiko ca. um das 4-fache erhöht
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: CD40, CTLA4, PTPN22, RSBN1, STAT4
        • SNP: rs2476601 im Gen PTPN22
          • Allel-Konstellation: AG (1,94-fach)
          • Allel-Konstellation: AA (3,76-fach)
        • SNP: rs3789604 im Gen RSBN1
          • Allel-Konstellation: GT (1,55-fach)
          • Allel-Konstellation: GG (1,73-fach)
        • SNP: rs7574865 im Gen STAT4
          • Allel-Konstellation: GT (1,3-fach)
          • Allel-Konstellation: TT (1,69-fach)
        • SNP: rs4810485 im Gen CD40
          • Allel-Konstellation: GT (1,15-fach)
          • Allel-Konstellation: TT (1,32-fach)
        • SNP: rs3087243 im Gen CTLA4
          • Allel-Konstellation: AG (1,15-fach)
          • Allel-Konstellation: AA (1,32-fach)
  • Fehlende Stillzeit – Stillen über 12 Monate war in einer Studie mit einem geringeren Risiko des Kindes verbunden, an rheumatoider Arthritis zu erkranken [1]

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Hohe Aufnahme der Omega-6-Fettsäure Arachidonsäure (tierische Lebensmittel wie Schweinefleisch und -produkte sowie Thunfisch) [4, 5]
    • Geringe Zufuhr von langkettigen mehrfach ungesättigten Fettsäuren (Polyunsaturated fatty acids, PUFA); ein regelmäßiger Konsum von einer Fischmahlzeit pro Woche im Vergleich zu keinem Fisch pro Woche führte zur Risikoreduktion für rheumatoide Arthritis um 29 % [8]
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Genussmittelkonsum
    • Kaffee – signifikanter Anstieg der Rate der seropositiven rheumatoiden Arthritis mit der Zunahme des Kaffeekonsums [7]
    • Tabak (Rauchen)
      • Zigarettenrauchen geht mit einer erhöhten Erkrankungsrate einher [2-5]; höheres Risiko für eine seropositive RA [9]
  • Körperliche Aktivität
    • Bewegungsmangel
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) [2, 5]

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Fehlstellungen der Gelenke – z. B. X- oder O-Beine
  • Stoffwechselstörungen – z. B. Diabetes mellitus, Gicht

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Luftschadstoffe: Feinstaubpartikel um 10 μm (PM10), vornehmlich aus Verkehr und Verbrennung fossiler Energieträger, erhöhen das Risiko für eine rheumatoide Arthritis; mit jedem Anstieg der Konzentration um 10 μm/m3 um 7 % [11]
  • Männer mit beruflichem Kontakt zu anorganischen Stäuben oder Vibrationen – wie sie zum Beispiel beim Bedienen von Presslufthammern auftreten – wiesen einer schwedischen Studie zufolge ein höheres Risiko für eine rheumatoide Arthritis auf [6]. Insbesondere Quarzstäube (Quarzfeinstaub; Gruppe 1-Karzinogen) werden ursächlich vermutet [4].
    Frauen, die als Graphikerinnen oder im Farbdruck tätig waren, hatten ebenfalls ein erhöhtes Risiko [6]

Weitere Ursachen

  • Bluttransfusionen – Personen, die Transfusionen erhalten hatten, wiesen Studien zufolge ein erhöhtes Risiko auf [2, 5]

Literatur

  1. Karlson EW, Mandl LA, Hankinson SE, Grodstein F. Do breast-feeding and other reproductive factors influence future risk of rheumatoid arthritis? Results from the Nurses' Health Study. Arthritis Rheum. 2004 Nov;50(11):3458-67.
  2. Symmons DP, Bankhead CR, Harrison BJ, Brennan P, Barrett EM, Scott DG, Silman AJ. Blood transfusion, smoking, and obesity as risk factors for the development of rheumatoid arthritis: results from a primary care-based incident case-control study in Norfolk, England. Arthritis Rheum. 1997 Nov;40(11):1955-61.
  3. Costenbader KH, Feskanich D, Mandl LA, Karlson EW. Smoking intensity, duration, and cessation, and the risk of rheumatoid arthritis in women. Am J Med. 2006 Jun;119(6):503.e1-9.
  4. Oliver JE, Silman AJ. Risk factors for the development of rheumatoid arthritis. Scand J Rheumatol. 2006 May-Jun;35(3):169-74. Review.
  5. Symmons DP. Looking back: rheumatoid arthritis – aetiology, occurrence and mortality. Rheumatology (Oxford). 2005 Dec;44 Suppl 4:iv14-iv17.
  6. Olsson AR, Skogh T, Axelson O, and Wingren G. Occupations and exposures in the work environment as determinants for rheumatoid arthritis. Occup Environ Med. 2004; 61:233-238.
  7. Lee YH, Bae SC, Song GG: Coffee or tea consumption and the risk of rheumatoid arthritis: a meta-analysis. Clin Rheumatol. 2014 Nov;33(11):1575-83. doi: 10.1007/s10067-014-2631-1. Epub 2014 Apr 25. 
  8. Di Giuseppe D, Wallin A, Bottai M, Askling J, Wolk A: Long-term intake of dietary long-chain n-3 polyunsaturated fatty acids and risk of rheumatoid arthritis: a prospective cohort study of women. Ann Rheum Dis. 2014 Nov;73(11):1949-53. doi: 10.1136/annrheumdis-2013-203338.
  9. Kallberg H, Ding B, Padyukov L et al.: Smoking is a major preventable risk factor for rheumatoid arthritis: estimations of risks after various exposures to cigarette smoke. Annals of the rheumatic diseases 2011; 70: 508–511, doi: 10.1136/ard.2009.120899
  10. Rauber S et al.: Resolution of inflammation by interleukin-9-producing type 2 innate lymphoid cells. Nature Medicine (2017) doi:10.1038/nm.4373 Published online 17 July 2017
  11. Adami G et al.: Association between long-term exposure to air pollution and immune-mediated diseases: a population-based cohort study RMD Open 2022;8:e002055. doi: 10.1136/rmdopen-2021-002055