Rachitis bzw. Osteomalazie – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die Ursachen einer Rachitis bzw. Osteomalazie sind vielfältig.
Rachitis
Bei allen Formen der Rachitis kommt es zu Veränderungen des Calcium-Phosphat-Produktes. Es kommt zu einer verminderten Einlagerung von Calcium und Phosphat in den Knochen.
Man kann calcipenische von phosphopenischen Formen der Rachitis unterscheiden:
Zur calcipenischen Rachitis (E83.31) zählen:
- Hypocalcämie: z. B. wg. calciumarmer Diät; Malabsorption (z. B. CED, Kurzdarmsyndrom, Zöliakie)
- Vitamin-D-Mangel
- Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ I (VDDR-1: Mutation der 1α-Hydroxylase) – autosomal-rezessiv vererbt
- VDDR1A – typisch sind erhöhte Vitamin-D3-Spiegel
- VDDR1B – führt zu erhöhten Cholecalciferolspiegeln
- Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ II (VDDR-II: Mutation des Vitamin-D-Rezeptors) – autosomal-rezessiv vererbt
- VDDR2A – Mutation im Gen des intrazellulären Vitamin-D-Rezeptors
- VDDR2B – zugrunde liegende Gendefekt ist unbekannt
Beachte:
- Für die Diagnose einer calcipenischen Rachitis ist die Serum-Calcium-Konzentration irrelevant.
- Ein sekundärer Hyperparathyreoidismus (Nebenschilddrüsenüberfunktion) und Phosphatmangel sind maßgeblich für die Entstehung einer calcipenischen Rachitis verantwortlich.
Zur phosphopenischen Rachitis zählen:
- Familiäre hypophosphatämische Rachitis (ICD-10-GM E83.30)
- Renaler Phosphatsverlust
- Phosphatarme Ernährung (selten) → Frühgeborenenosteopathie
- Verminderte intestinale (darmbezogene") Absorption
- Tumorinduzierte hypophosphatämische Rachitis (ICD-10-GM E83.38:Sonstige Störungen des Phosphorstoffwechsels und der Phosphatase)
- Fanconi-Syndrom – siehe unter genetische Erkrankungen
Osteomalazie
Für die Osteomalazie ist entweder ein Mangel an aktivem Vitamin D oder eine Störung im Phosphatstoffwechsel verantwortlich. Durch den Mangel an Calcium oder Phosphat kommt es zu einer verminderten Mineralisierung des Osteoids (Knochengrundsubstanz). Des Weiteren führt fehlendes Vitamin D an den Vitamin-D-Rezeptoren der Muskelzellen zur Muskelschwäche.
Vitamin-D-abhängige/calcipenische Osteomalazie:
- Hereditäre Vitamin-D-abhängige Formen:
- Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ I (VDDR-1: Mutation der 1α-Hydroxylase) – autosomal-rezessiv vererbt
- VDDR1A – typisch sind erhöhte Vitamin-D3-Spiegel
- VDDR1B – führt zu erhöhten Cholecalciferolspiegeln
- Vitamin D-abhängige Rachitis Typ II (VDDR-II: Mutation des Vitamin-D-Rezeptors) – autosomal-rezessiv vererbt
- VDDR2A – Mutation im Gen des intrazellulären Vitamin-D-Rezeptors
- VDDR2B – zugrunde liegende Gendefekt ist unbekannt
- Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ I (VDDR-1: Mutation der 1α-Hydroxylase) – autosomal-rezessiv vererbt
- Unzureichende Zufuhr von Vitamin D mit der Nahrung (z. B. vegane Diät)
- Malabsorption (s. u.)
- Medikamente, die den Vitamin-D-Metabolismus über den Pregnan-X-Rezeptor beeinflussen (→ Steigerung der Expression von 24-Hydroxylase, was zu einem vermehrten Abbau von Vitamin D3 und Calcitriol führt) [1]:
- Mangelnde UV-Licht-Exposition
Hypophosphatämische/phosphopenische Form der Osteomalazie:
- Malabsorption (s. u.)
- Genetische Erkrankungen: z. B. Renal-tubuläre Partialstörung (Fanconi-Syndrom) (s. u. genetische Erkrankungen)
- Tumorinduzierte hypophosphatämische Osteomalazie (sog. onkogene Osteomalazie): durch Phosphatonine (meist Fibroblast growth factor 23, kurz FGF23), kommt es zu einer Beeinflussung des Vitamin-D-, Calcium- und Phosphathaushalts
- Medikamente (s. u.)
Im Rahmen der primären Pathologien der Rachitis/Osteomalazie gibt es neben den oben erwähnten Formen der Osteomalazie noch die Hypophosphatasie (HPP; s. u. "Genetische Erkrankungen").
Beachte: Bei Kindern tritt eine Hypomineralisation (Entmineralisierung) an der Wachstumsfuge (Rachitis) und am bestehenden Knochen (Osteomalazie) immer gemeinsam auf.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern
- Genetische Erkrankungen
- 1α-Hydroxylasedefizienz (Vitamin D-abhängige Rachitis Typ II; autosomal-rezessiver Erbgang)
- 25-Hydroxylasedefizienz (autosomal-rezessiver Erbgang) → Mangel an 25-(OH)-Vitamin-D3
- Genetisch bedingte Störung des Vitamin-D-Rezeptors (Vitamin D-abhängige Rachitis Typ II; autosomal-rezessiver Erbgang)
- Hypophosphatasie (HPP; Synonyme: Rathbun-Syndrom, Phosphatasemangelrachitis; Phosphatasemangel-Rachitis) – seltene, genetische Erkrankung mit im Regelfall autosomal-rezessivem Erbgang; derzeit nicht heilbare Knochenstoffwechselstörung, die sich vor allem im Skelettaufbau manifestiert
- Mukoviszidose (Zystische Fibrose, ZF) ‒ genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die durch die Produktion von zu zähmen Sekret in verschiedenen Organen gekennzeichnet ist.
- Phosphatdiabetes (Synonym: x‑chromosomale hypophosphatämische Rachitis („X-linked hypophosphatemic rickets“ [XLH])) – durch Hypophosphatämie bedingte, X-chromosomal-dominant vererbte Form der Rachitis; mit erhöhter renaler (“nierenbedingter“) Ausscheidung von Phosphat einhergehend und in einer herabgesetzten Knochenmineralisation mündend
- Renale tubuläre Azidose (RTA) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die zu einem Defekt Defekt der H+-Ionensekretion im Tubulussystem der Niere führt und infolgedessen zu einer Demineralisation des Knochens (Hypercalciurie, Hyperphosphaturie/vermehrte Ausscheidung von Calcium und Phosphat im Urin und Hypophosphatämie)
- Cystinose (hereditäre Form des Fanconi-Syndroms): autosomal-rezessive lysosomale Speicherkrankheit, die durch Mutationen im CTNS-Gen ausgelöst wird; Trias aus Glukosurie (vermehrte Ausscheidung von Glucose (Traubenzucker) im Urin), Hypophosphatämie und Aminoazidurie (Ausscheidung von Aminosäuren über den Urin) wird als Fanconi-Syndrom bezeichnet
- Genetische Erkrankungen
- Lebensalter – höheres Alter wg.: Hautalterung; renale oder hepatische Insuffizienz mit einem verminderten Umbau des Provitamins 7‑Dehydrocholesterol in Calcitriol [höheres Risiko für eine Osteomalazie]
- Menschen mit dunkler Hautfarbe (Risiko für eine calcipenische Rachitis)
- Geographischer Lebensmittelpunkt über dem 34. Breitengrad (Risiko für eine calcipenische Rachitis)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Unzureichende Zufuhr von Vitamin D – Beispielsweise bei veganer Ernährung ohne ausreichende Supplementation.
- Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – Unzureichende Aufnahme von Calcium und Phosphat, essenziell für die Knochengesundheit.
- Genussmittelkonsum
- Übermäßiger Alkoholkonsum – Kann die Absorption und Verwertung von Vitamin D und Calcium beeinträchtigen.
- Körperliche Aktivität
- Bewegungsmangel – Reduzierte mechanische Belastung der Knochen führt zu einem verminderten Knochenaufbau.
- Umweltfaktoren
- Reduzierte UV-Bestrahlung – Unzureichende Sonnenexposition, z. B. bei überwiegendem Aufenthalt in geschlossenen Räumen, in Regionen mit geringer Sonneneinstrahlung oder durch konsequentes Tragen von UV-schützender Kleidung.
Krankheitsbedingte Ursachen
Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien (Q00-Q99)
- Gallengangsatresie ‒ Fehlende Anlage der Gallengänge
- Weiteres s. u. "Biographische Ursachen"
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- Malassimilationssyndrom (Störung der Ausnutzung der zugeführten Nährstoffe) – z. B. wg. bariatrischer Operation, Dünndarmresektion, Zöliakie, zystische Fibrose (CF), Morbus Crohn
- Malabsorption fettlöslicher Vitamine (A, D, E, K)
- Mangelnde Vitamin D-Zufuhr
Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)
- Leberzirrhose
- alkoholtoxische Leberzirrhose – alkoholbedingte Lebererkrankung, die zu einem bindegewebigen Umbau der Leber mit Funktionseinschränkung führt
- durch chronisch aktive Hepatitis (Leberentzündung)
- Primär biliäre Cholangitis (PBC, Synonyme: nichteitrige destruierende Cholangitis; früher primär biliäre Zirrhose) – relativ seltene Autoimmunerkrankung der Leber (betrifft in ca. 90 % der Fälle Frauen); beginnt primär biliär, d. h. an den intra- und extrahepatischen ("innerhalb und außerhalb der Leber") Gallenwegen, die durch eine Entzündung zerstört werden (= chronisch nichteitrige destruierende Cholangitis). Im längeren Verlauf greift die Entzündung auf das gesamte Lebergewebe über und führt schließlich zu einer Vernarbung bis hin zur Zirrhose; Nachweis antimitochondrialer Antikörper (AMA); PBC ist häufig assoziiert mit Autoimmunerkrankungen (Autoimmunthyreoiditis, Polymyositis, systemischer Lupus erythematodes (SLE), progressive systemische Sklerose, rheumatoider Arthritis); in 80 % der Fälle mit einer Colitis ulcerosa (chronisch-entzündliche Darmerkrankung) assoziiert; Langzeitrisiko für ein cholangiozelluläres Karzinom (CCC; Gallengangskarzinom, Gallengangskrebs) liegt bei 7-15 %
Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)
- Morbus Crohn – chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED); sie verläuft meist in Schüben und kann den gesamten Verdauungstrakt befallen; charakterisierend ist der segmentale Befall der Darmmukosa (Darmschleimhaut), das heißt es können mehrere Darmabschnitte befallen sein, die durch gesunde Abschnitte voneinander getrennt sind
- Zöliakie (gluteninduzierte Enteropathie) – chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten beruht
Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)
- Chronische Niereninsuffizienz (Nierenschwäche) → verminderte 1α-Hydroxylierung
Medikamente
- Vitamin-D-Mangel durch medikamentös erhöhtem Metabolismus:
- Antiepileptika
- Glutethmid (Arzneistoff, der als Sedativum und Hypnotikum verwendet wurde)
- Phenobarbital (Arzneistoff, der als Antiepiletikum und Hypnotikum/Schlafmittel verwendet wird)
- Rifampicin (Antibiotikum aus der Gruppe der Tuberkulostatika)
- Mangel an 25-(OH)-Vitamin D3, durch mangelnde 25-Hydroxylase
- Ioniazid (Antibiotikum aus der Gruppe der Tuberkulostatika)
- Mangel an 1,25-(OH)2-Vitamin-D3 durch verminderte 1α-Hydroxylierung
- Ketoconazol (orales Antimykotikum/Antipilzmittel)
- Ketoconazol (orales Antimykotikum/Antipilzmittel)
- Zielorganresistenz gegenüber Vitamin D
- Phenytoin (Antiepileptikum)
- Hypophosphatämie (Phosphatmangel im Blut): phosphatbindende Antazida, Diuretika und Steroide
- Medikamente, die den Vitamin-D-Metabolismus über den Pregnan-X-Rezeptor beeinflussen (→ Steigerung der Expression von 24-Hydroxylase, was zu einem vermehrten Abbau von Vitamin D3 und Calcitriol führt) [1]:
- Antiepileptika: Carbamazepin, Phenytoin,
- Antineoplastische Medikamente: Cyclophosphamid, Paclitaxel, Tamoxifen
- Antibiotika: Clotrimazol, Rifampicin
- Antiinflammatorische Medikamente: Dexamethason
- Antihypertensiva: Nifedipin, Spironolacton
- Antiretrovirale Medikamente: Ritonavir, Saquinavir
- Hormone: Cyproteronacetat
- Phytotherapeutika Piper methysticum (Kawa-Kawa), Johanniskraut
Operationen
- Bariatrische Operation/Adipositaschirurgie (→ Malabsorption/unzureichenden Aufspaltung der Nahrungsbestandteile)
- Dünndarmresektion
Weitere Ursachen
- Fehlende UV-Bestrahlung
Literatur
- Gröber U, Kisters K: Influence of drugs on vitamin D and calcium metabolism. Dermatoendocrinol. 2012 Apr 1; 4(2):158-166 https://doi.org/10.4161/derm.20731
Leitlinien
- S1-Leitlinie: Rachitiden, hereditäre hypophosphatämische. (AWMF-Registernummer: 174 - 008), März 2016 Langfassung