Rachitis bzw. Osteomalazie – Einleitung
Die Rachitis ist eine systemische Störung des Knochenstoffwechsels, die bei Kindern in der Wachstumsphase auftritt und durch eine unzureichende Mineralisation der Knochen gekennzeichnet ist. Dies führt zu einer Knochenerweichung und typischen Skelettdeformitäten.
Synonyme und ICD-10: Englische Krankheit; juvenile Osteomalazie; ICD-10-GM E55.0: Floride Rachitis, ICD-10-GM E64.3: Folgen der Rachitis
Beim Erwachsenen mit abgeschlossenem Knochenwachstum wird die Symptomatik Osteomalazie genannt. Die Osteomalazie ist wie die Rachitis eine systemische Knochenerkrankung. Sie geht mit einer verminderten Mineralisation des Knochens einher.
Synonyme und ICD-10: ICD-10-GM M83: Osteomalazie im Erwachsenenalter
Ursache für die Osteomalazie ist entweder ein Mangel an aktivem Vitamin D (Vitamin-D-abhängige Osteomalazie/calcipenische Form der Osteomalazie) oder eine Störung im Phosphatstoffwechsel (phosphopenische/hypophosphatämische Form der Osteomalazie)
Differenzierung zwischen Rachitis und Osteomalazie
- Rachitis (Kinder)
- Die klinische Präsentation umfasst Knochenverformungen wie O-Beine oder X-Beine, sowie eine verzögerte motorische Entwicklung und Wachstum.
- Der Vitamin-D-Mangel führt zu gestörter Knochenmineralisation und Epiphysenverbreiterung (Wachstumsstörungen an den Knochenenden).
- Osteomalazie (Erwachsene)
- Betroffene klagen oft über Knochenschmerzen und Muskelschwäche. Es kommt nicht zu den typischen Deformitäten wie bei der Rachitis, aber das Risiko für Frakturen (Knochenbrüche) ist erhöht.
- Die Mineralisationsstörung betrifft vor allem die Knochenmatrix, was zu einer Erweichung der Knochen führt.
Formen der Erkrankung
Man unterscheidet zwischen calcipenischen und phosphopenischen Formen der Rachitis, basierend auf der zugrunde liegenden Störung im Calcium- oder Phosphatstoffwechsel:
- Calcipenische Rachitis
- Vitamin-D-Mangel-Rachitis: Mangel an Vitamin D führt zu unzureichender Calciumresorption.
- Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ I: Genetisch bedingte Störung der Vitamin-D-Aktivierung.
- Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ II: Resistenz der Zielorgane gegenüber aktivem Vitamin D.
- Hypocalcämische Rachitis: Rachitis bedingt durch einen Calciummangel.
- Phosphopenische Rachitis
- Frühgeborenenosteopathie: Störung der Knochenmineralisation bei Frühgeborenen.
- Familiäre hypophosphatämische Rachitis: Genetisch bedingte Störung des Phosphatstoffwechsels.
- Tumorinduzierte hypophosphatämische Rachitis: Durch Tumoren verursachte Phosphatstoffwechselstörung.
- Fanconi-Syndrom: Vererbte Funktionsstörung des Energiehaushaltes der proximalen Tubuluszellen der Niere.
Ursachen
Die Rachitis wird primär durch einen Mangel an aktivem Vitamin D oder eine Störung im Phosphatstoffwechsel verursacht, die zu einer unzureichenden Mineralisierung des Knochens führt. Ein Vitamin-D-Mangel kann durch unzureichende Sonnenexposition, Mangelernährung oder Malabsorption entstehen.
Charakteristische Laborbefunde bei Rachitis und Osteomalazie
- Serumcalcium
- Normal bis leicht erniedrigt: In frühen Stadien kann der Kalziumspiegel normal sein, aber bei Fortschreiten der Krankheit sinkt der Calciumspiegel aufgrund der unzureichenden Resorption im Darm.
- Serumphosphat
- Erniedrigt: Der Phosphatspiegel im Blut ist oft vermindert, da Vitamin-D-Mangel die intestinale Phosphatresorption beeinträchtigt und die renale Phosphatausscheidung erhöht.
- Alkalische Phosphatase (AP)
- Erhöht: Deutlich erhöhte Werte, insbesondere die knochenspezifische Isoform, da die Osteoblastenaktivität als Reaktion auf die unzureichende Mineralisation zunimmt.
- 25-Hydroxy-Vitamin D (25(OH)D)
- Erniedrigt: Dies ist der wichtigste Laborparameter zur Diagnose eines Vitamin-D-Mangels. Werte unter 20 ng/ml (50 nmol/L) deuten auf einen Mangel hin, Werte unter 10 ng/ml (25 nmol/L) sprechen für einen schweren Mangel.
- Parathormon (PTH)
- Erhöht: Sekundärer Hyperparathyreoidismus tritt auf, um den Kalziumspiegel im Blut durch vermehrte Kalziumfreisetzung aus den Knochen zu stabilisieren. Dies ist eine typische Reaktion auf den Vitamin-D-Mangel und den damit verbundenen Kalzium- und Phosphatmangel.
- Serumkreatinin
- Normal: In der Regel normal, es sei denn, es liegt eine Niereninsuffizienz vor, die die Ursache der Störung ist.
- Urinanalysen
- Hyperphosphaturie: Erhöhter Phosphatspiegel im Urin kann bei sekundärem Hyperparathyreoidismus auftreten.
- Calciurie: Kann erhöht sein, insbesondere bei Vorliegen eines sekundären Hyperparathyreoidismus.
- Blut-pH
- Normal bis leicht erniedrigt: Bei starkem Kalziummangel kann eine leichte metabolische Azidose auftreten.
Epidemiologie
Rachitis
Geschlechterverhältnis: Ausgeglichen (1:1).
Häufigkeitsgipfel: Betrifft hauptsächlich Kinder im Alter von 2 Monaten bis 2 Jahren.
Prävalenz (Krankheitshäufigkeit): Exakte Daten sind nicht verfügbar, jedoch tritt Rachitis häufiger bei afro-amerikanischen Kindern und bei Säuglingen auf, die makrobiotisch ernährt werden oder anderweitig einem erhöhten Risiko für Vitamin-D-Mangel ausgesetzt sind.
Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen): In Europa ist die Rachitis seltener geworden, tritt jedoch in bestimmten Risikogruppen vermehrt auf, insbesondere bei Kindern mit dunkler Hautfarbe, die weniger Sonnenlicht ausgesetzt sind, oder bei Kindern mit besonderen Ernährungsgewohnheiten, die zu einem Vitamin-D-Mangel führen.
Osteomalazie
Geschlechterverhältnis: Frauen sind häufiger betroffen als Männer, insbesondere nach der Menopause.
Häufigkeitsgipfel: Betrifft überwiegend Erwachsene, insbesondere ältere Menschen und Frauen nach der Menopause, die ein erhöhtes Risiko für Vitamin-D-Mangel und daraus resultierende Knochenerkrankungen haben.
Prävalenz (Krankheitshäufigkeit): Die genaue Prävalenz der Osteomalazie ist nicht eindeutig bekannt, sie tritt jedoch häufiger in Populationen auf, die wenig Sonnenexposition haben, in höheren Breitengraden leben, oder bei Personen mit chronischen Erkrankungen, die die Vitamin-D-Produktion oder -Aufnahme beeinträchtigen.
Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen): Osteomalazie tritt in Europa selten auf, ist aber häufiger bei Risikogruppen wie älteren Erwachsenen, chronisch Kranken oder Personen mit Mangelernährung zu beobachten.
Verlauf und Prognose
Verlauf
- Bei rechtzeitiger Diagnose und adäquater Therapie (hochdosierte Vitamin-D- und Calcium-Substitution) sind die Skelettveränderungen in der Regel reversibel.
- Unbehandelt kann die Rachitis zu bleibenden Skelettdeformitäten und Wachstumsstörungen führen.
Prognose
- Unter adäquater Therapie ist die Prognose gut. Die meisten Kinder erholen sich vollständig, und die Skelettveränderungen bilden sich zurück.
- Eine fortbestehende Hypophosphatämie (Phosphatmangel im Blut) oder ein persistenter Vitamin-D-Mangel können jedoch zu langfristigen Komplikationen führen, einschließlich einer erhöhten Anfälligkeit für Osteoporose im späteren Leben.
Komorbiditäten
- Osteoporose: Erhöhtes Risiko aufgrund von Malabsorption oder langfristigem Vitamin-D-Mangel.
- Wachstumsverzögerungen: In schweren Fällen kann es zu dauerhaften Wachstumsstörungen kommen.
Leitlinien
- S1-Leitlinie: Vitamin-D-Mangel-Rachitis. (AWMF-Registernummer: 174-007), März 2016 Langfassung