Polymyalgia rheumatica – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die Polymyalgia rheumatica (PMR) ist eine entzündliche Erkrankung, die vor allem ältere Menschen betrifft und durch Schmerzen und Steifheit der proximalen Muskulatur, insbesondere im Schulter- und Beckengürtelbereich, gekennzeichnet ist. Häufig tritt sie in Verbindung mit der Riesenzellarteriitis (RZA) auf, einer systemischen Vaskulitis (Gefäßentzündung) der großen und mittelgroßen Arterien.
Primäre pathophysiologische Mechanismen
- Initialer Pathomechanismus:
- Genetische Prädisposition: Es wird angenommen, dass genetische Faktoren eine Rolle in der Entstehung der PMR spielen. Insbesondere Polymorphismen im HLA-Klasse-II-Gen und die Tatsache, dass Frauen häufiger betroffen sind, unterstützen diese Annahme.
- Immunsystem-Dysregulation: Bei PMR und RZA kommt es zu einer gesteigerten Immunantwort. Die genauen Auslöser dieser Dysregulation sind unbekannt, aber sie führt zu einer verstärkten entzündlichen Reaktion in den betroffenen Geweben.
- Molekulare und zelluläre Veränderungen:
- Proinflammatorische Zytokine: Es wird vermutet, dass eine vermehrte Freisetzung proinflammatorischer Zytokine wie IL-6, TNF-α und IFN-γ zu einer verstärkten Entzündungsreaktion im synovialen Gewebe (Knochenhaut) sowie in den großen Arterien führt. Diese Zytokine fördern die Migration von Immunzellen in das betroffene Gewebe und tragen zur chronischen Entzündung bei.
- Autoimmunität: Obwohl PMR und RZA keine klassischen Autoimmunerkrankungen sind, deutet die gesteigerte Immunantwort auf eine Fehlregulation des Immunsystems hin. Es wird vermutet, dass das Immunsystem körpereigene Strukturen als fremd erkennt und angreift, was zur Entzündung führt.
Sekundäre pathophysiologische Veränderungen
- Veränderungen in der Gewebsarchitektur:
- Entzündung der Synovialmembran: Bei PMR kommt es zu einer entzündlichen Infiltration der Synovialmembran (Knochenhautmembran) in den betroffenen Gelenken, was zu Schwellungen und Schmerzen führt. Besonders betroffen sind die Schulter- und Hüftgelenke.
- Vaskuläre Entzündung: Bei der Riesenzellarteriitis kommt es zu einer Entzündung der Gefäßwände der großen Arterien, insbesondere der Schläfenarterien (A. temporalis). Diese Entzündung kann zu einer Verengung oder gar zum Verschluss der Arterie führen, was schwerwiegende Komplikationen wie Erblindung zur Folge haben kann.
- Beteiligung des umgebenden Gewebes:
- Muskuläre Beteiligung: Durch die chronische Entzündung entsteht eine schmerzhafte Steifheit in den betroffenen Muskelgruppen, die die Mobilität erheblich einschränkt. Es kommt zur reflektorischen Schonhaltung und Atrophie der Muskulatur.
Klinische Manifestation
- Leitsymptome:
- Schmerzen und Steifigkeit: Patienten mit PMR leiden typischerweise unter Schmerzen und Steifheit in den proximalen Muskelgruppen, vor allem im Schulter- und Beckengürtelbereich. Diese Symptome treten besonders morgens auf und bessern sich im Laufe des Tages.
- Allgemeine Entzündungssymptome: Fieber, Abgeschlagenheit und ein allgemeines Krankheitsgefühl sind häufige Begleitsymptome.
- Fortgeschrittene Symptome:
- Gelenkschwellungen: In fortgeschrittenen Stadien können entzündliche Gelenkschwellungen, insbesondere im Bereich der Handgelenke und Knie, auftreten.
- Komplikationen der Riesenzellarteriitis: Unbehandelt kann die RZA zu schwerwiegenden Komplikationen wie Erblindung führen, die durch eine Entzündung der Arteria temporalis und nachfolgende Ischämie (Minderdurchblutung) des Auges bedingt sind.
Progression und Organbeteiligung
- Lokale Gewebeveränderungen:
- Zerstörung der Gefäßstrukturen: Bei der Riesenzellarteriitis führt die Entzündung der großen Arterien zu einer Zerstörung der Gefäßwände, was langfristig zu Gefäßverschlüssen und Organisierungsprozessen im Gewebe führen kann.
- Systemische Auswirkungen bei chronischen Verläufen:
- Allgemeine Entzündung: Die systemische Entzündung kann langfristig zu einer chronischen Erschöpfung und zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität führen. Auch die Entwicklung weiterer Autoimmunerkrankungen kann durch die chronische Entzündung begünstigt werden.
Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden
- Beeinträchtigung der mechanischen Eigenschaften:
- Einschränkung der Beweglichkeit: Die Schmerzen und Steifheit der Muskulatur führen zu einer deutlichen Einschränkung der Beweglichkeit und der Fähigkeit, alltägliche Aufgaben zu bewältigen.
- Schmerzentstehung:
- Mechanischer Schmerz: Die durch die Entzündung geschädigten Strukturen in den Gelenken und Gefäßen führen zu einem chronischen Schmerzsyndrom, das die Beweglichkeit stark einschränkt.
Regenerative und kompensatorische Prozesse
- Unzureichende Regeneration: Der entzündliche Prozess und die fortwährende Fehlregulation des Immunsystems verhindern eine effektive Regeneration des betroffenen Gewebes, was langfristig zu strukturellen Schäden führt.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die Polymyalgia rheumatica und die Riesenzellarteriitis sind chronisch-entzündliche Erkrankungen, die durch eine gestörte Immunantwort charakterisiert sind. Während die genauen Ursachen nicht vollständig geklärt sind, spielen genetische Faktoren und entzündliche Prozesse eine zentrale Rolle. Die Erkrankungen führen zu erheblichen Schmerzen, Steifheit und, im Falle der Riesenzellarteriitis, zu potenziell schwerwiegenden Komplikationen wie Erblindung. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind entscheidend, um den Krankheitsverlauf zu kontrollieren und Folgeschäden zu verhindern.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung – Polymorphismen im HLA-Klasse-II-Gen
Begünstigende Faktoren für die Entstehung einer PMR sind:
- Alter > 50 Jahre
- weibliches Geschlecht
- vorangegangene Infektionen (Mycoplasma pneumoniae, Parainfluenzavirus und Chlamydophila pneumoniae bei genetischer Prädisposition als Trigger) [1-6] 2, 5, 14, 15, 16, 17
- genetische Faktoren (s. o.)
Literatur
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