Muskelschmerzen (Myalgie) – Anamnese
Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der Myalgie (Muskelschmerzen) dar.
Familienanamnese
- Gibt es in Ihrer Familie Muskel- oder neurologische Erkrankungen?
- Bestehen familiäre Erkrankungen des Bindegewebes oder des Immunsystems?
- Gab es in Ihrer Familie Fälle von Fibromyalgie oder anderen chronischen Schmerzsyndromen?
- Bestehen genetische Stoffwechselerkrankungen wie Glykogenosen oder Myoadenylatdeaminase-Mangel?
- Sind in Ihrer Familie Fälle von Autoimmunerkrankungen bekannt?
Soziale Anamnese
- Beruf:
- Welchen Beruf üben Sie aus?
- Gibt es körperliche Belastungen oder monotone Bewegungsabläufe?
- Sind Sie regelmäßig psychischem Stress oder hoher emotionaler Belastung ausgesetzt?
- Haben Sie ausreichend Erholungsphasen oder stehen Sie unter chronischer Überlastung?
- Gibt es externe Faktoren wie Kälte, Zugluft oder Arbeitsplatzbedingungen, die Ihre Beschwerden verstärken könnten?
Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)
- Seit wann bestehen die Schmerzen?
- Haben sich die Schmerzen im Verlauf verändert oder verstärkt?
- Wo genau sind die Schmerzen lokalisiert (örtlich oder diffus, generalisiert)?
- Strahlen die Schmerzen in andere Körperregionen aus?
- Welchen Schmerzcharakter haben die Schmerzen? (z. B. stechend, dumpf, ziehend, brennend, pochend?)
- Gibt es bestimmte Schmerztrigger oder Muster?
- Sind die Schmerzen abhängig von der Atmung?*
- Verstärken sich die Schmerzen bei Belastung oder Bewegung, oder werden sie dadurch besser?
- Wann treten die Schmerzen bevorzugt auf (z. B. morgens, abends, nach Belastung)?
- Gibt es äußere Faktoren, die den Schmerz beeinflussen (z. B. Stress, Wetterveränderungen, Temperatur)?
- Besteht eine nächtliche Schmerzverstärkung?
- Haben Sie Begleitsymptome:
- Leiden Sie unter Morgensteifigkeit?
- Bestehen Taubheitsgefühle oder Missempfindungen (z. B. Kribbeln, Kältegefühl, Brennen)?*
- Haben Sie Muskelkrämpfe oder Muskelzuckungen?*
- Besteht eine Muskelschwäche?*
- Hatten Sie in letzter Zeit einen Infekt oder grippeähnliche Symptome?*
- Haben Sie Fieber oder geschwollene Lymphknoten?*
- Haben Sie eine veränderte Hautfarbe oder Hauttemperatur in den betroffenen Bereichen festgestellt?*
- Besteht eine Veränderung des Schlafverhaltens oder eine generelle Erschöpfung?
- Haben Sie in der letzten Zeit eine besonders ungewohnte körperliche Arbeit (z. B. Gartenarbeit, handwerkliche Tätigkeiten) verrichtet?
- Hatten Sie eine veränderte oder ungewohnte sportliche Belastung?
- Bestehen Fehlhaltungen oder eine einseitige Belastung durch den Arbeitsplatz oder Freizeitaktivitäten?
Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese
- Ernähren Sie sich ausgewogen?
- Besteht eine einseitige Ernährung oder Vitamin- bzw. Mineralstoffmangel?
- Haben Sie eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme pro Tag?
- Treiben Sie Sport? Falls ja, welche Art und Intensität?
- Besteht eine übermäßige körperliche oder sportliche Belastung?
- Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?
- Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen und wie häufig pro Tag bzw. pro Woche?
Eigenanamnese
- Vorerkrankungen:
- Bestehen bekannte Infektionserkrankungen (z. B. Borreliose, Virusinfektionen, HIV)?
- Liegen Stoffwechselerkrankungen vor (z. B. Diabetes mellitus, Schilddrüsenerkrankungen)?
- Bestehen bekannte Nervenerkrankungen (z. B. Polyneuropathie (Erkrankung der peripheren Nerven), Multiple Sklerose, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS))?
- Wurde bei Ihnen eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) diagnostiziert?
- Besteht eine Spinalkanalstenose (Verengung des Spinalkanals) oder ein Bandscheibenvorfall?
- Haben Sie Autoimmunerkrankungen (z. B. Rheuma, Lupus erythematodes, Myositis (Muskelentzündung))?
- Bestehen Myopathien oder erbliche Muskelerkrankungen (z. B. Muskeldystrophien, myotone Dystrophien)?
- Besteht eine bekannte Hypo- oder Hyperthyreose (Schilddrüsenunter-/überfunktion)?
- Liegt eine Nierenfunktionsstörung vor?
- Operationen:
- Hatten Sie in der Vergangenheit orthopädische oder neurologische Operationen?
- Wurde eine Bandscheibenoperation oder ein Eingriff an der Wirbelsäule durchgeführt?
- Allergien:
- Bestehen bekannte Allergien gegen Medikamente, Nahrungsmittel oder Umweltstoffe?
- Wurden allergische Reaktionen auf bestimmte Schmerzmittel oder Muskelrelaxantien beobachtet?
Medikamentenanamnese
- Antiarrhythmikum (Amiodaron)
- Antibiotika
- Penicillin
- Sulfonamide
- Antiepileptikum (Phenytoin)
- Antihypertensivum (Enalapril, Labetalol)
- Antimalariamittel (Artemether, Chloroquin, Hydroxychloroquin, Lumefantrin)
- Antimykotika
- Allylamine (Terbinafin)
- Antiparkinsonmittel (Levodopa)
- Antiprotozoika
- Analogon des Azofarbstoffs Trypanblau (Suramin)
- Antiretrovirale Medikamente
- Arsentrioxid
- Betablocker (Metoprolol)
- β2-Sympathomimetikum (Salbutamol)
- Calcimimetikum (Etelcalcetid)
- Chelatbildner (Deferasirox, Deferoxamin, D-Penicillamin, Deferipron)
- Fibrate
- Gichtmittel (Colchicin)
- Hormone
- Aromatasehemmer (Anastrozol, Exemstan, Letrozol)
- Corticosteroide
- Prostaglandinderivate (Bimatoprost, Latanoprost, Travoprost, Unoprostone)
- selektiver Inhibitor der Steroid-5α-Reduktase vom Typ II und Typ III (Finasterid)
- Thyreostatika (Carbimazol)
- Wachstumshormon (Wh; Somatropin; growth hormone, Gh)
- H2-Antihistaminika (H2-Rezeptor-Antagonisten, H2-Antagonisten, Histamin-H2-Rezeptor-Antagonisten) – Cimetidin, Famotidin, Lafutidin, Nizatidin, Ranitidin, Roxatidin
- Immunmodulator (Tacrolismus)
- immunsuppressive (Cyclosporin)
- Immuntherapeutika (Interferon α)
- Lipidsenker
- Cholesterinresorptionshemmer – Ezetimib
- Fibrinsäurederivate (Fibrate) – Bezafibrat, Clofibrat, Fenofibrat, Gemfibrozil
- HMG-CoA-Reduktasehemmer (Hydroxy-Methyl-Glutaryl-Coenzym-A-Reduktaseinhibitoren; Statine) – Atorvastatin, Cerivastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Mevastatin, Pitavastatin, Pravastatin, Rosuvastatin, Simvastatin) häufiger Rhabdomyolyse (Auflösung quergestreifter Muskelfasern/Skelettmuskulatur sowie Herzmuskulatur) in Kombination mit Fibraten, Ciclosporin (Cyclosporin A), Makroliden oder Azol-Antimykotika; des Weiteren führen Statine zu einem Abfall der endogenen Coenzym Q10-Synthese; Häufigkeit der Myalgie im klinischen Alltag liegt bei 10 bis 20 %
Von einer Statin-Myopathie spricht man, wenn:
- Symptome innerhalb von vier Wochen nach Beginn der Statineinnahme auftreten
- sich diese innerhalb von vier Wochen nach Absetzen des Medikaments wieder zurückbilden und
- bei einer Reexposition wieder auftreten.
Die Wahrscheinlichkeit für eine Statinintoleranz ist erhöht, wenn Patienten zwei Kopien der LILBR5-Genvarianten Asp247Gly (homozygot) hatten: Wahrscheinlichkeit für einen CK-Anstieg war um fast das 1,81-fache (Odds Ratio [OR]: 1,81; 95 %-Konfidenzintervall zwischen 1,34 und 2,45), die für eine Intoleranz bereits bei niedrigen Statindosen um das 1,36-Fache erhöht (OR: 1,36; 95 %-Konfidenzintervall zwischen 1,07 und 1,73; p = 0,013) [4]
Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Gene: SLCO1B1
- SNP: rs4149056 im Gen SLCO1B1
- Allel-Konstellation: CT (5-faches Risiko einer Myopathie bei Statinzufuhr)
- Allel-Konstellation: CC (17-faches Risiko einer Myopathie bei Statinzufuhr)
- Folgende Medikamente/Substanzen erhöhen das Risiko von Myalgien/Myopathien unter Statinen: Danazol; Fibrate; HIV-1-Protease-Hemmer (Indinavir, Amprenavir, Saquinavir, Nelfinavir, Ritonavir); Itraconazol, Ketoconazol; Cyclosporin; Makrolidantibiotika (Erythromycin, Telithromycin, Clarithromycin); Nefazodon; Verapamil; Amiodaron; Niacin (> 1 g); Grapefruitzubereitungen (Ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht nicht!)
- StatinWISE-Studie: Die meisten Patienten unter einer Statintherapie entwickeln Beschwerden, die kausal nicht dem Statin zuzuordnen sind [5].
SAMSON-Studie: 90 % der statinassoziierten Nebenwirkungen traten ebenfalls unter Placebo auf [6].
- Lithium
- Monoklonale Antikörper – Imatinib, Pertuzumab, Trastuzumab
- Narkotikum (Propofol)
- Opioidantagonisten (Nalmefen, Naltrexon)
- Phosphodiesterase-5-Hemmer/PDE5-Hemmer (Avanafil, Sildenafil, Tadalafil, Vardenafil)
- Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI, Säureblocker) [3]
- Retinoide (Acitretin, Alitretinoin)
- Selektive Prostazyklin-IP-Rezeptor-Agonisten (Selexipag)
- Virostatikum (Interferon alpha)
- Zytostatika
- Antimetabolite (Methotrexat (MTX))
- Hydroxyurea
- Taxane (Paclitaxel)
- Vincristin
- Weitere Zytostatika (Vincristin)
Umweltanamnese
- Alkoholintoxikation
- Ciguatera-Intoxikation; tropische Fischvergiftung mit Ciguatoxin (CTX); klinisches Bild: Diarrhoe (nach Stunden), neurologische Symptome (Parästhesien, taubes Gefühl an Mund und Zunge; Kälteschmerz beim Baden) (nach einem Tag; persistieren lange bis Jahre)
- Exposition gegenüber:
- Schwermetallen wie Blei, Arsen, Quecksilber?
- Umweltgiften (z. B. Pestizide, Lösungsmittel)?
- Drogenintoxikationen (z. B. Heroin, Kokain)
* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)
Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.
Literatur
- Gupta A, Thompson D, Whitehouse A et al.: Adverse events associated with unblinded, but not with blinded, statin therapy in the Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes Trial – Lipid-Lowering Arm (ASCOT-LLA): a randomised double-blind placebo-controlled trial and its non-randomised non-blind extension phase Lancet 2017; Published Online May 2, 2017; doi: http://dx.doi.org/10.1016/ S0140-6736(17)31075-9
- Pedro-Botet J, Rubiés-Prat J: Statin-associated muscle symptoms: beware of the nocebo effect Lancet 2017. Published Online May 2, 2017 http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(17)31163-7
- Clark DW, Strandell J: Myopathy including polymyositis: a likely class adverse effect of proton pump inhibitors? Eur J Clin Pharmacol 2006 Jun;62(6):473-9. Epub 2006 Apr 22.
- Siddiqui MK et al.: A common missense variant of LILRB5 is associated with statin intolerance and myalgia. Eur Heart J 2017, online 29. August. doi: https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehx467
- Herrett E et al.: Statin treatment and muscle symptoms: series of randomised, placebo controlled n-of-1 trials. BMJ 2021;372:n135. doi: http://dx.doi.org/10.1136/bmj.n135
- Wood F et al.: N-of-1 Trial of a Statin, Placebo, or No Treatment to Assess Side Effects; N Eng J of Med 2020; doi: 10.1056/NEJMc2031173