Knochenbruch (Fraktur) – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein der Diagnostik einer Fraktur (Knochenbruch) dar.

Häufig finden sich gerade bei älteren Patienten krankheitsbedingte Ursachen für den Sturz bzw. Unfall, der zur Fraktur geführt hat. Hierzu gehören z. B. kardiovaskulär bedingte Schwindelanfälle oder Synkopen (kurzzeitige Bewusstlosigkeit).
Eine genetische Disposition für Knochenerkrankungen sowie mögliche Tumorleiden (Metastasen!) können im Rahmen der Familienanamnese erfragt werden.
Die genaue Erfassung des Unfallgeschehens kann eine erste Einschätzung des Fraktur-Ausmaßes erlauben.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie häufig Erkrankungen der Knochen oder Gelenke (z. B. Osteoporose, Arthrose, Rheuma)?
  • Bestehen familiär Erbkrankheiten, die die Knochendichte oder -struktur beeinträchtigen könnten (z. B. Osteogenesis imperfecta, Ehlers-Danlos-Syndrom)?

Soziale Anamnese

  • Beruf:
    • Welchen Beruf üben Sie aus?
    • Sind Sie in Ihrem Beruf häufig körperlichen Belastungen oder Verletzungsgefahren ausgesetzt (z. B. durch schweres Heben, Stürze, gefährliche Maschinen)?
  • Gibt es Hinweise auf psychosoziale Belastungen oder Stress, der Ihre Aufmerksamkeit oder Koordination beeinträchtigen könnte?
  • Haben Sie Zugang zu sicherem Schuhwerk und Hilfsmitteln (z. B. Schutzkleidung bei der Arbeit)?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Wo, in welcher Situation und wie haben Sie sich verletzt bzw. sind gestürzt?
  • War der Sturz oder die Verletzung durch ein adäquates oder inadäquates Trauma (geringe Belastung ohne Unfall) bedingt?
  • Haben Sie Schmerzen?
  • Wo sind die Schmerzen lokalisiert?
  • Können Sie das betroffene Bein/den betroffenen Arm bewegen?
  • Können Sie das betroffene Gelenk noch strecken oder beugen?
  • Können Sie auf dem betroffenen Bein auftreten bzw. Ihre Arme anheben?
  • Haben Sie Schmerzen bei diesen Bewegungen?
  • Haben Sie zusätzliche Beschwerden, wie:
    • Leiden Sie unter Übelkeit, Schwindel oder Luftnot?*
    • Haben Sie Gefühlsstörungen, Kribbeln oder Taubheitsgefühle in den Extremitäten bemerkt?*
    • Ist eine Schwellung oder ein Hämatom (Bluterguss) aufgetreten?*
    • Ist Ihnen eine Achsabweichung oder sichtbare Verformung des Knochens aufgefallen?*

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Sind Sie übergewichtig? Geben Sie bitte Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
  • Ernähren Sie sich calciumreich und achten Sie auf ausreichende Vitamin-D-Zufuhr?
  • Bewegen Sie sich regelmäßig?
  • Treiben Sie Sport? Wenn ja, welche Sportarten und wie oft wöchentlich?
  • Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?
  • Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen und wie häufig pro Tag bzw. pro Woche?

Eigenanamnese inkl. Medikamentenanamnese

  • Vorerkrankungen:
    • Bestehen bekannte Knochen- oder Gelenkerkrankungen (z. B. Osteoporose, Osteopenie (verminderte Knochendichte, die als Vorstufe zur Osteoporose gilt), rheumatische Erkrankungen, Tumore, chronische Erkrankungen mit Knochenbeteiligung)?
    • Leiden Sie unter Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, die das Risiko für Frakturen erhöhen können?
    • Hatten Sie in der Vergangenheit bereits Knochenbrüche ohne starke Belastung?
    • Bestehen neurologische Erkrankungen, die Ihre Koordination oder Sturzgefahr beeinflussen könnten (z. B. Polyneuropathie (Erkrankung der peripheren Nerven))?
  • Wurden bei Ihnen bereits Operationen am Skelettsystem oder in betroffenen Körperregionen durchgeführt?

Medikamentenanamnese (frakturbegünstigende Medikamente (fracture-associated drugs, FAD))

  • FAD und Geschlecht [3]:
    • Frauen: Antipsychotika der ersten Generation (HR 1,54); Opioide (HR 3,26); Antiparkinsonmitteln (HR 3,29); riskante Kombinationen sind: Opioid + Hypnotika, Opioid + Schleifendiuretikum, Opioid + Protonenpumpenhemmer, SSRI + Opioid, Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Selective Serotonin Reuptake Inhibitor, SSRI) + Benzodiazepin, SSRI + Schleifendiuretikum (harntreibende Medikamente, die an der Henleschen Schleife, einem Teil des harnbildenden Systems der Nieren, wirken); Nitrat + Schleifendiuretikum
    • Männer: Hypnotika (HR 1,51); Opioide (HR 3,83); Antiparkinsonmitteln (HR 4,23); riskante Kombinationen sind: Opioid + Schleifendiuretikum, Opioid + PPI, Opioid + SSRI, Nitrat + Schleifendiuretikum
  • Antidepressiva (Amitriptylin, Imipramin) haben ein erhöhtes Risiko für Hüftfrakturen bei älteren Patienten
  • Glitazone – Gruppe von oralen Antidiabetikern, die bei Frauen zu einem erhöhten Frakturrisiko geführt haben und deswegen vom Markt genommen wurden.
  • Hormone
    • Antiandrogene (Enzalutamid, Apalutamid und Darolutamid) in der Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms: für alle Stürze ein relatives Risiko (RR) von 1,8, das mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,42 bis 2,24 signifikant war. Für die schweren Stürze (Grad 3 oder höher) betrug das relative Risiko 1,6 (1,27 bis 2,08) [2].
  • Opioide – besonders hohes Frakturrisiko in den ersten Tagen nach Behandlungsbeginn (8-faches Risiko); unter der Opioid-Therapie ist die Frakturinzidenz fast 4-fach so hoch wie in opioidfreien Zeiten [4]
  • Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Säureblocker) – erhöhtes Risiko (fünf Ergebnisse pro 10.000 Patientenjahre) für eine proximale Femurfraktur (Hüftfraktur) nach Langzeitanwendung [1]
  • Medikamente, die eine Osteoporose begünstigen (siehe unter "Osteoporose durch Medikamente")

Umweltanamnese

  • Sind Sie regelmäßig Belastungen durch toxische Substanzen oder Schwermetalle (z. B. Blei, Arsen) ausgesetzt, die die Knochengesundheit beeinträchtigen könnten?
  • Arbeiten Sie in Umgebungen mit erhöhter Sturzgefahr (z. B. Baustellen, Höhenarbeiten)?

* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.

Literatur

  1. Khalili H et al.: Use of proton pump inhibitors and risk of hip fracture in relation to dietary and lifestyle factors: a prospective cohort study. BMJ 2012; 344; e372
  2. Myint ZW et al.: Evaluation of Fall and Fracture Risk Among Men With Prostate Cancer Treated With Androgen Receptor Inhibitors A Systematic Review and Meta-analysisJAMA Netw Open. 2020;3(11):e2025826. doi:10.1001/jamanetworkopen.2020.25826
  3. Emeny RT et al.: Association of Receiving Multiple, Concurrent Fracture-Associated Drugs With Hip Fracture Risk. JAMA Netw Open. 2019;2(11):e1915348. doi:10.1001/jamanetworkopen.2019.15348
  4. Peach EJ et al.: Opioids and the Risk of Fracture: a Self-Controlled Case Series Study in the Clinical Practice Research Datalink American Journal of Epidemiology, kwab042, 19 February 2021 https://doi.org/10.1093/aje/kwab042