Knochenbruch (Fraktur) – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein der Diagnostik einer Fraktur (Knochenbruch) dar.
Häufig finden sich gerade bei älteren Patienten krankheitsbedingte Ursachen für den Sturz bzw. Unfall, der zur Fraktur geführt hat. Hierzu gehören z. B. kardiovaskulär bedingte Schwindelanfälle oder Synkopen (kurzzeitige Bewusstlosigkeit). Eine genetische Disposition für Knochenerkrankungen sowie mögliche Tumorleiden (Metastasen!) können im Rahmen der Familienanamnese erfragt werden. Die genaue Erfassung des Unfallgeschehens kann eine erste Einschätzung des Fraktur-Ausmaßes erlauben.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie häufig Knochen-/Gelenkerkrankungen?

Soziale Anamnese

  • Welchen Beruf üben Sie aus?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Wo, in welcher Situation und wie haben Sie sich verletzt / sind gestürzt?
  • Gab es eine adäquate oder inadäquate Verletzung (Unfall)?
  • Haben Sie Schmerzen? Wo sind die Schmerzen lokalisiert?
  • Wie stark sind die Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 sehr leicht und 10 sehr stark ist?
    • 0-2: kein/kaum Schmerz
    • 3-4: bei Ablenkung ist der Schmerz nicht mehr im Mittelpunkt
    • 5-6: Schmerz behindert Gehen, Ein- und Durchschlafen
    • 7-8: Bedürfnis sich hinzulegen, Ablenkung nicht mehr möglich, gesamtes Denken kreist um den Schmerz
    • 9-10: unaushaltbare, fürchterliche Schmerzen, der Patient "möchte schreien" oder schreit tatsächlich
  • Können Sie Ihr Bein/Ihre Arme bewegen?
  • Können Sie das Gelenk noch strecken oder beugen?
  • Können Sie auf dem betroffenen Bein noch auftreten? /Können Sie Ihre Arme noch anheben? /Haben Sie Schmerzen dabei?
  • Welche Beschwerden haben Sie noch?
  • Leiden Sie unter Übelkeit, Schwindel, Luftnot?*
  • Haben Sie Gefühlsstörungen in Ihren Extremitäten bemerkt?*

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Sind Sie übergewichtig? Geben Sie uns bitte Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
  • Bewegen Sie sich regelmäßig?
  • Treiben Sie Sport? Wenn ja, welche Sportdisziplin(en) und wie oft wöchentlich?
  • Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?
  • Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen und wie häufig pro Tag bzw. pro Woche?

Eigenanamnese inkl. Medikamentenanamnese

  • Vorerkrankungen (Knochen-/Gelenkerkrankungen; Tumorerkrankungen)
  • Operationen
  • Allergien
  • Medikamentenanamnese
  • Strahlentherapie (Radiotherapie): Osteoradionekrose (Strahlennekrose)

Medikamentenanamnese (frakturbegünstigende Medikamente (fracture-associated drugs, FAD))

  • FAD und Geschlecht [3]:
    • Frauen: Antipsychotika der ersten Generation (HR 1,54); Opioide (HR 3,26); Antiparkinsonmitteln (HR 3,29); riskante Kombinationen sind: Opioid + Hypnotika, Opioid + Schleifendiuretikum, Opioid + Protonenpumpenhemmer, SSRI + Opioid, Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Selective Serotonin Reuptake Inhibitor, SSRI) + Benzodiazepin, SSRI + Schleifendiuretikum (harntreibende Medikamente, die an der Henleschen Schleife, einem Teil des harnbildenden Systems der Nieren, wirken); Nitrat + Schleifendiuretikum
    • Männer: Hypnotika (HR 1,51); Opioide (HR 3,83); Antiparkinsonmitteln (HR 4,23); riskante Kombinationen sind: Opioid + Schleifendiuretikum, Opioid + PPI, Opioid + SSRI, Nitrat + Schleifendiuretikum
  • Antidepressiva (Amitriptylin, Imipramin) haben ein erhöhtes Risiko für Hüftfrakturen bei älteren Patienten
  • Glitazone – Gruppe von oralen Antidiabetikern, die bei Frauen zu einem erhöhten Frakturrisiko geführt haben und deswegen vom Markt genommen wurden.
  • Hormone
    • Antiandrogene (Enzalutamid, Apalutamid und Darolutamid) in der Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms: für alle Stürze ein relatives Risiko (RR) von 1,8, das mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,42 bis 2,24 signifikant war. Für die schweren Stürze (Grad 3 oder höher) betrug das relative Risiko 1,6 (1,27 bis 2,08) [2].
  • Opioide – besonders hohes Frakturrisiko in den ersten Tagen nach Behandlungsbeginn (8-faches Risiko); unter der Opioid-Therapie ist die Frakturinzidenz fast 4-fach so hoch wie in opioidfreien Zeiten [4]
  • Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Säureblocker) – erhöhtes Risiko (fünf Ergebnisse pro 10.000 Patientenjahre) für eine proximale Femurfraktur (Hüftfraktur) nach Langzeitanwendung [1]
  • Medikamente, die eine Osteoporose begünstigen (siehe unter "Osteoporose durch Medikamente")

Literatur

  1. Khalili H et al.: Use of proton pump inhibitors and risk of hip fracture in relation to dietary and lifestyle factors: a prospective cohort study. BMJ 2012; 344; e372
  2. Myint ZW et al.: Evaluation of Fall and Fracture Risk Among Men With Prostate Cancer Treated With Androgen Receptor Inhibitors A Systematic Review and Meta-analysisJAMA Netw Open. 2020;3(11):e2025826. doi:10.1001/jamanetworkopen.2020.25826
  3. Emeny RT et al.: Association of Receiving Multiple, Concurrent Fracture-Associated Drugs With Hip Fracture Risk. JAMA Netw Open. 2019;2(11):e1915348. doi:10.1001/jamanetworkopen.2019.15348
  4. Peach EJ et al.: Opioids and the Risk of Fracture: a Self-Controlled Case Series Study in the Clinical Practice Research Datalink American Journal of Epidemiology, kwab042, 19 February 2021 https://doi.org/10.1093/aje/kwab042