Karpaltunnelsyndrom – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das Karpaltunnelsyndrom (KTS) ist eine multifaktorielle Erkrankung, bei der es zu einer chronischen Kompression des Nervus medianus im Bereich des Karpaltunnels kommt. Dieser Tunnel, der durch die Handwurzelknochen und das darüberliegende retinaculum flexorum (starke Bindegewebsschicht) begrenzt ist, dient als Durchgangsweg für den Nervus medianus und die Beugesehnen der Finger. Die genaue Ursache bleibt oft idiopathisch (unbekannt), und etwa 50-60 % der Fälle treten bilateral (beidseitig) auf.

Anatomischer Engpass

Das KTS entsteht in erster Linie durch einen anatomischen Engpass im Bereich der Handwurzel, der zu einer Volumenzunahme des Tunnelinhalts führt. Der Karpaltunnel hat von Natur aus begrenzten Platz, sodass jede strukturelle Veränderung oder Volumenvergrößerung innerhalb des Tunnels den Raum für den Nervus medianus verringert.

Kompression des Nervus medianus

Die Vergrößerung des Tunnelinhalts, sei es durch Sehnenschwellungen (z. B. infolge von Überlastung oder Entzündungen) oder Veränderungen des Gewebes (wie Fibrose oder Narbenbildung), führt zu einer Kompression des Nervus medianus. Dies verursacht nicht nur mechanischen Druck auf den Nerv, sondern auch eine Beeinträchtigung der Blutzufuhr zu den Nervenfasern, was eine Ischämie (Minderdurchblutung) zur Folge hat.

Ischämie und Schwellung

Durch die Kompression der Gefäße innerhalb des Tunnels kommt es zur Ischämie des Nervus medianus. Die chronische Minderdurchblutung führt zu einer Schädigung des Nervengewebes und begünstigt die Entstehung eines Ödems (Schwellung). Diese Schwellung erhöht den Druck im Karpaltunnel weiter, was zu einem Teufelskreis führt: Je stärker die Kompression, desto mehr Schwellung entsteht.

Fokale Demyelinisierung und Nervenfaserläsionen

Die anhaltende Kompression und Ischämie führen zu einer Demyelinisierung des Nervus medianus. Die Myelinscheide (Schutzhülle der Nervenfasern), die für die schnelle Weiterleitung von Nervenimpulsen verantwortlich ist, wird beschädigt. Diese fokale Demyelinisierung beeinträchtigt die normale Funktion des Nervus medianus, was zu den typischen Symptomen des Karpaltunnelsyndroms wie Schmerzen, Kribbeln, Taubheitsgefühlen und Muskelschwäche in der Hand führt.

Mit der Zeit können durch die fortschreitende Schädigung des Nervs Nervenfaserläsionen (Verletzungen der Nervenfasern) auftreten, die eine dauerhafte Beeinträchtigung der Handfunktion zur Folge haben können, wenn die Kompression nicht rechtzeitig behandelt wird.

Zusammenfassung

Die Pathogenese des Karpaltunnelsyndroms beruht auf einer Kompression des Nervus medianus im Karpaltunnel, die durch einen anatomischen Engpass und eine Volumenzunahme des Tunnelinhalts verursacht wird. Dies führt zu einer Ischämie und Schwellung, die den Nerv weiter schädigen. Letztlich kommt es zu einer fokalen Demyelinisierung und Nervenfaserläsionen, die die typischen Symptome wie Schmerzen und Taubheit in der Hand hervorrufen.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern – anatomischer Engpass; Normvarianten der Handwurzelknochenform
  • Hormonelle Faktoren – Schwangerschaft; Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) 7-43 % (auf Grundlage elektrophysiologischer Diagnostik); 34 % mit leichten bis mäßigen KTS-Symptomen; der mittlere Beschwerdegrad war nach der 32. Schwangerschaftswoche signifikant höher als davor [1]
  • Berufe – Berufe mit repetitiven (wiederholenden) manuellen Tätigkeiten mit Flexion (Beugung) und Extension (Streckung) der Handgelenke, durch kraftvolles Greifen oder durch Tätigkeiten bei denen Vibrationen auf Hände und Arme einwirken (z. B. Druckluftwerkzeuge) [Faktoren einzeln oder in Kombination]
    (z. B. Fließbandarbeiter in der Geflügelverarbeitung, Fleischverpacker, Reinigungskräfte, Gärtner und Musiker) [Anerkennung als Berufskrankheit möglich]

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Mangelernährung – Ein Defizit an Vitamin B6 (Pyridoxin) könnte mit einem erhöhten Risiko für Nervenschäden assoziiert sein.
  • Genussmittelkonsum
    • Tabak (Rauchen) – Beeinträchtigt die Durchblutung und fördert entzündliche Prozesse, die das Risiko eines Karpaltunnelsyndroms erhöhen können.
  • Körperliche Aktivität
    • Überlastung durch Arbeit
      • Tätigkeiten, die Hand-Arm-Schwingungen (Vibrationen) erzeugen (z. B. Arbeiten mit Presslufthämmern oder anderen vibrierenden Werkzeugen).
      • Erhöhter Kraftaufwand – Kraftvolles Greifen und Halten, insbesondere bei schlechten ergonomischen Bedingungen.
      • Repetitive manuelle Tätigkeiten – Wiederholte Bewegungen der Hände in Beugung (Flexion) und Streckung (Extension) erhöhen das Risiko für eine Überbelastung des Medianusnervs.
    • Häufige Nutzung von Smartphones
      • Übermäßige Wischbewegungen, ständiger Daumeneinsatz beim Tippen und eine unergonomische Handhaltung können die Belastung des Medianusnervs verstärken [2].
    • Sportliche Aktivitäten
      • Fahrradfahren – Besonders bei einer nicht optimalen Handposition am Lenker, wodurch der Druck auf das Handgelenk und den Karpaltunnel erhöht wird.
  • Schlechte ergonomische Bedingungen
    • Tätigkeiten in ungünstigen Positionen ohne ausreichende Unterstützung der Handgelenke oder Unterarme.
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)
    • Adipositas erhöht den Druck im Karpaltunnel und damit das Risiko einer Medianusnervkompression.

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Akromegalie endokrinologische Erkrankung, die durch eine Überproduktion des Wachstumshormons (somatotropes Hormon (STH), Somatotropin) hervorgerufen wird, mit ausgeprägter Vergrößerung der Körperendglieder oder vorspringenden Teile des Körpers (Akren), wie beispielsweise Hände, Füße, Unterkiefer, Kinn, Nase und Augenbrauenwülste
  • Amyloidose – extrazelluläre ("außerhalb der Zelle") Ablagerungen von Amyloiden (abbauresistente Proteine), die u. a. zu einer Kardiomyopathie (Herzmuskelerkrankung; hier: Amyloid-Kardiomyopathie), Neuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems) und Hepatomegalie (Lebervergrößerung) führen können.
  • Arthropathische Veränderungen an Handwurzelgelenken
  • Diabetes mellitus
  • Einblutungen, meist nach Traumata (Verletzungen) 
  • Ganglien (knotenförmige Ansammlungen von Nervenzellkörpern außerhalb des zentralen Nervensystems) an Handwurzelgelenken
  • Gicht (Arthritis urica/harnsäurebedingte Gelenkentzündung oder tophische Gicht)/Hyperurikämie (Erhöhung des Harnsäurespiegels im Blut)
  • Handgelenksarthrose
  • Handphlegmone ‒ diffuse Entzündung der Hand
  • Infektiöse Arthritis (Gelenkentzündung)
  • Lipofibromatose (fibröse Knochendysplasie) ‒  genetisch bedingte Erkrankung, die zu einer fortschreitenden Skelettfehlbildung führt
  • Mukopolysaccharidose (MPS) ‒ genetisch bedingte Speichererkrankung, die zur Gruppe der lysosomalen Speicherkrankheiten gerechnet werden. Sie beruhen auf Störungen des enzymatischen Abbaus der sauren Mukopolysaccharide (Glykosaminoglykane) durch lysosomale Hydrolasen, die zu Skelettveränderungen führen.
  • Myxödem ‒ häufiges Symptom bei einer Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose); pastöse (aufgeschwemmt; gedunsen) Haut, die ein nicht eindrückbares, teigiges Ödem (Schwellung) zeigt, das nicht lageabhängig ist; im Gesichtsbereich und peripher; vor allem an den Unterschenkeln auftretend
  • Rheumatoide Arthritis – entzündliche Multisystemerkrankung, die sich meist in Form einer Synovialitis (Gelenkinnenhautentzündung) manifestiert (fast 50 % der Patienten)
  • Tenosynovitis (Synonyme: Tendosynovitis; Tendovaginitis) der Flexorensehnen (Sehnenscheidenentzündung der Beugesehnen) – führt zur Symptomatik eines Karpaltunnelsyndroms: durch das damit einhergehende Ödem (Anschwellung) kommt es zur Kompression des Nervus medianus. 
  • Traumata (Verletzungen): fehlverheilte Fraktur (Radiusfraktur/Bruch der Speiche nahe dem Handgelenk), hypertropher Kallus (verzögerte Frakturheilung)
  • Tumoren wie Lipome (Fettgeschwulst), Ganglien, synoviale Zyste oder Osteophyten (Knochenanbauten)

Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten

  • Hyperurikämie (Erhöhung des Harnsäurespiegels im Blut)

Weitere Ursachen

  • Carpusfehlstellungen bei handgelenksnahen Frakturen
  • Dialysepatienten (30 % der Fälle am Shuntarm)
  • Hämatom (Bluterguss) unter Antikoagulantientherapie
  • Schwangerschaft

Literatur

  1. Meems M et al.: Prevalence, course and determinants of carpal tunnel syndrome symptoms during pregnancy: a prospective study. BJOG 2015, online 17. März; doi: 10.1111/1471-0528.13360
  2. Hoi Chi Woo E und White P: Effects of electronic device overuse by university students in relation to clinical status and anatomical variations of the median nerve and transverse carpal ligament. Muscle & Nerve (2017) doi: 10.1002/mus.25697