Ischialgie/Lumboischialgie – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Ischialgie beschreibt Schmerzen im Versorgungsbereich des Nervus ischiadicus (größter Nerv im menschlichen Körper), die in die Beine ausstrahlen. Wenn diese Schmerzzustände zusammen mit Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) auftreten, spricht man von einer Lumboischialgie. Diese Schmerzsyndrome entstehen typischerweise durch eine Reizung der Nervenwurzeln in der Lendenwirbelsäule, die oft mit einem Bandscheibenprolaps (BSP) einhergehen.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

Initialer Pathomechanismus:

  • Bandscheibenprolaps: Die häufigste Ursache für eine Ischialgie oder Lumboischialgie ist ein Bandscheibenprolaps, bei dem der innere Kern der Bandscheibe (Nucleus pulposus) durch den äußeren Faserring (Anulus fibrosus) austritt und auf die benachbarten Nervenwurzeln im Bereich der Lendenwirbelsäule drückt.
  • Diskopathie: Eine Vorschädigung der Bandscheibe (Diskopathie) kann durch degenerative Prozesse entstehen, die den Faserring schwächen und somit das Risiko für einen Bandscheibenprolaps erhöhen.

Molekulare und zelluläre Veränderungen:

  • Entzündungsprozesse: Der Druck des Bandscheibengewebes auf die Nervenwurzel führt zur Freisetzung von Entzündungsmediatoren, die eine Nervenentzündung (Radikulitis) verursachen. Dies verstärkt die Schmerzen und führt zur Reizung des Nervus ischiadicus.
  • Reizung der Nervenwurzeln: Durch die mechanische Kompression werden die Nervenwurzeln in den betroffenen Segmenten L4 bis S1 gereizt, was zu einer typischen Schmerzverteilung im Bein und Gesäß führt.

Entwicklung struktureller Veränderungen:

  • Vorwölbung der Bandscheibe: In den frühen Stadien der Diskopathie kommt es zu einer Vorwölbung (Protrusion) der Bandscheibe in den Wirbelkanal. Diese kann schon zu einer mechanischen Kompression der Nervenwurzel führen.
  • Vollständiger Bandscheibenvorfall: Ein vollständiger Bandscheibenvorfall (Prolaps) mit Austritt des Bandscheibenkerns kann zu einer starken Kompression und Entzündung der Nervenwurzel führen, was intensive Schmerzen und neurologische Ausfälle verursacht.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

Veränderungen in der Gewebsarchitektur:

  • Degeneration der Bandscheibe: Langfristige Degeneration der Bandscheibe führt zu einer Abflachung und Instabilität des betroffenen Wirbelsäulenabschnitts, was die mechanische Belastung weiter verstärkt.
  • Reizung der umliegenden Strukturen: Durch die mechanische Kompression der Nervenwurzel können auch die umliegenden Gewebe, wie Muskeln und Bänder, gereizt werden, was zu zusätzlichen Schmerzen und Muskelverspannungen führt.

Beteiligung des umgebenden Gewebes:

  • Muskelverspannungen: Die Schmerzreaktion führt zu einer reflektorischen Verspannung der umgebenden Muskulatur, insbesondere im Bereich des unteren Rückens und der Gesäßmuskulatur.
  • Bindegewebsreaktionen: Chronische Reizung der Nervenwurzel kann zu fibrotischen Veränderungen und Verklebungen der betroffenen Strukturen führen, was die Beweglichkeit einschränkt.

Klinische Manifestation

Leitsymptome:

  • Ausstrahlende Schmerzen: Patienten berichten über Schmerzen, die vom unteren Rücken über das Gesäß bis in das Bein ausstrahlen. Diese Schmerzen folgen häufig einem typischen Verlauf entlang der betroffenen Nervenwurzeln.
    • Wurzelreizsyndrom L5: Schmerzen strahlen in das Gesäß, den Oberschenkel und den äußeren Fußbereich aus.
    • Wurzelreizsyndrom S1: Schmerzen strahlen bis in die Ferse und den kleinen Zeh aus.
  • Bewegungseinschränkungen: Patienten klagen über starke Bewegungseinschränkungen, insbesondere beim Vorbeugen oder Heben von Lasten.

Fortgeschrittene Symptome:

  • Sensibilitätsstörungen: Taubheitsgefühle oder Kribbeln im Bein können auftreten, besonders in den betroffenen Versorgungsgebieten der Nervenwurzeln.
  • Kraftverlust: In fortgeschrittenen Fällen kann es zu Muskelschwächen im Bein kommen, insbesondere beim Heben der Zehen oder beim Abrollen des Fußes.

Progression und Organbeteiligung

Lokale Gewebeveränderungen:

  • Bandscheibenabbau: Die chronische Reizung und Entzündung der Bandscheibe kann zu einem vollständigen Abbau des Bandscheibengewebes führen, was die Stabilität der Wirbelsäule weiter beeinträchtigt.
  • Nervenkompression: Eine dauerhafte Kompression der Nervenwurzel kann zu einem Funktionsverlust des betroffenen Nervensegments führen, was in extremen Fällen eine Lähmung des Beins zur Folge haben kann.

Systemische Auswirkungen bei chronischen Verläufen:

  • Chronische Schmerzen: Bei chronischen Verläufen kann es zu persistierenden Rückenschmerzen kommen, die die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

Beeinträchtigung der mechanischen Eigenschaften:

  • Eingeschränkte Beweglichkeit: Durch den Schmerz und die Muskelverspannungen wird die Beweglichkeit des Rückens und der Hüfte stark eingeschränkt.
  • Kraftverlust und Muskelschwund: Bei anhaltender Nervenreizung kann es zu einem schrittweisen Kraftverlust und einer Atrophie der betroffenen Muskulatur kommen.

Zusammenfassung

Die Pathogenese der Ischialgie und Lumboischialgie ist eng mit der mechanischen Kompression der Nervenwurzeln durch einen Bandscheibenprolaps verbunden. Entzündungsprozesse und degenerative Veränderungen der Bandscheiben und umliegenden Strukturen tragen zu den typischen Schmerzsyndromen und Funktionseinschränkungen bei.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung/Erkrankung – Missbildungen wie Spondylolisthesis (Abgleiten eines Wirbelkörpers) oder Spina bifida occulta (deutsch: "verborgene Spaltwirbel")

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Mangel an Mikronährstoffen – Eine unzureichende Versorgung mit Calcium und Vitamin D erhöht das Risiko für Osteoporose und Frakturen.
    • Überernährung – Ein hoher Kalorienkonsum fördert Übergewicht, das die Wirbelsäule zusätzlich belastet.
  • Genussmittelkonsum
    • Tabak (Rauchen) – Führt zu einer schlechteren Durchblutung der Bandscheiben und beschleunigt degenerative Prozesse.
    • Alkohol – Übermäßiger Konsum beeinträchtigt die allgemeine Gesundheit und verlängert Heilungsprozesse.
  • Körperliche Aktivität
    • Mangelnde Bewegung – Eine schwache Rückenmuskulatur erhöht die Anfälligkeit für Ischialgie.
    • Überbelastung – Intensive körperliche Arbeit oder Leistungssport belasten die Wirbelsäule übermäßig.
    • Falsche Bewegungsabläufe – Heben schwerer Lasten ohne korrekte Technik erhöht das Verletzungsrisiko.
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)
    • Führt zu chronischer Überbeanspruchung der Wirbelsäule und fördert degenerative Veränderungen.
  • Psycho-soziale Situation
    • Chronischer Stress – Führt zu muskulären Verspannungen, die die Wirbelsäule belasten können.
    • Schlechte Ergonomie im Alltag – Lange, ununterbrochene sitzende Tätigkeiten ohne ergonomische Anpassung fördern Fehlbelastungen.
  • Haltung und Ergonomie
    • Haltungsschäden – Dauerhaftes Sitzen in schlechter Haltung oder einseitige Belastung können die Wirbelsäule schädigen.
    • Ungünstige Sitz- und Schlafgewohnheiten – Ungeeignete Matratzen oder Sitzmöbel begünstigen Fehlbelastungen.
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Akuter Reizzustand der Wirbelsäule
  • Akute reversible Gelenkfunktionsstörungen – Blockierung eines Gelenks, die spontan zurückgeht
  • Autoimmunerkrankungen wie Spondylitis ankylosans (Synonym: Morbus Bechterew; chronisch entzündliche rheumatische Erkrankung mit Schmerzen und Versteifung von Gelenken)
  • Bandscheibenprolaps (Bandscheibenvorfall)
  • Bandscheibenprotrusion – Vorwölbung der Bandscheibe
  • Diszitis – Entzündung einer Zwischenwirbelscheibe
  • Entzündliche Erkrankungen der Wirbelsäule wie bei einer Osteomyelitis (Knochenentzündung)
  • Epiduralabszess – Eiteransammlung im Bereich der Rückenmarkshäute
  • Fraktur (Knochenbruch) im Bereich der Wirbelsäule
  • Kleinere Traumata – Verletzungen – wie Zerrungen oder Verstauchungen
  • Neuritis (Entzündung eines peripheren Nervs oder eines Hirnnervs)
  • Osteophytenbildung – degenerative Knochenanbauten
  • Osteoporose – Erkrankung mit Verminderung der Knochenmasse
  • Osteosklerose – Erkrankung mit Zunahme der Knochenmasse, aber verminderter Belastbarkeit
  • Rückenmarktumoren
  • Spinale Varkosis (Synonym: Varikosis spinalis)
  • Spinalkanalstenose (Spinalstenose; Wirbelkanalverengung)
  • Spondylitis (Wirbelentzündung)
  • Tumorerkrankungen (z. B. Wirbelmetastasen)
  • Vertebralisarteriendissektion

Medikamente

  • Glucocorticoide (Medikamente gegen Entzündungen und bei überaktivem Immunsystem – beispielsweise bei allergischen Reaktionen), diese können bei Langzeittherapie zu Osteoporose-bedingten Frakturen führen und dadurch zu Rückenschmerzen (drei Monate oder länger systemische Corticoidtherapie erhöhen das Osteoporoserisiko um 30-50 Prozent!)