Hallux valgus – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Der Hallux valgus ist eine komplexe, mehrdimensionale Fehlstellung der Großzehe im Grundgelenk, die typischerweise durch die fortschreitende Abweichung des Großzehs nach außen (Valgusdeviation) gekennzeichnet ist. Häufig tritt diese Fehlstellung als Folge eines Spreizfußes auf, wobei es zu einem Ungleichgewicht der Fußmuskulatur und der Bandstrukturen kommt. Die Pathogenese des Hallux valgus ist ein fortschreitender Prozess, der zu funktionellen und strukturellen Veränderungen im Fuß führt.

Primäre pathophysiologische Mechanismen

Initialer Pathomechanismus:

  • Spreizfuß als Grundursache: Ein abgesenktes Quergewölbe des Fußes (Spreizfuß) führt zu einer veränderten Druckverteilung auf die Mittelfußknochen. Dies begünstigt eine Abweichung der Großzehe im Grundgelenk nach außen (Valgusdeviation).
  • Ungleichgewicht der Fußmuskulatur und Bänder: Die mechanischen Veränderungen im Fuß bewirken ein muskuläres Ungleichgewicht, insbesondere zwischen den adduzierenden (heranziehenden) und abduzierenden (abspreizenden) Muskeln des Großzehs. Diese Dysbalance führt zu einer zunehmenden Fehlstellung.

Molekulare und zelluläre Veränderungen:

  • Überdehnung der Bandstrukturen: Die Bänder, die das Großzehengrundgelenk stabilisieren, werden durch die anhaltende Fehlstellung und die mechanische Belastung überdehnt. Dies führt zu einer weiteren Instabilität des Gelenks und fördert die fortschreitende Valgusdeviation.
  • Entzündungsprozesse: Im fortgeschrittenen Stadium kann es durch die mechanische Belastung und die Fehlstellung zu entzündlichen Veränderungen im Bereich des Großzehengrundgelenks und der angrenzenden Weichteile kommen, was Schmerzen und Schwellungen verstärkt.

Entwicklung struktureller Veränderungen:

  • Valgusdeviation und Subluxation: Mit zunehmender Fehlstellung weicht die Großzehe nach außen ab (Valgusdeviation) und rotiert einwärts (Pronation), was schließlich zu einer Subluxation bis hin zur vollständigen Luxation des Großzehengrundgelenks führen kann.
  • Dorsalextension: Die Zehe neigt sich bei fortschreitender Fehlstellung nach oben (Dorsalextension), was die Biomechanik des Fußes weiter beeinträchtigt.

Sekundäre pathophysiologische Veränderungen

Veränderungen in der Gewebsarchitektur:

  • Subluxation und Luxation: Die Fehlstellung führt dazu, dass der Kopf des ersten Mittelfußknochens nach medial (zur Mitte) verschoben wird, während die Großzehe nach lateral (zur Seite) abweicht. Diese Abweichung kann zu einer Subluxation oder vollständigen Luxation des Gelenks führen.
  • Bursitis: Durch die anhaltende Reibung des vorstehenden Großzehengrundgelenks am Schuhwerk kommt es häufig zu einer Entzündung des Schleimbeutels (Bursitis) im Bereich des Großzehengrundgelenks, was zusätzlich zu Schmerzen und Schwellungen führt.

Beteiligung des umgebenden Gewebes:

  • Sekundäre Fehlstellungen: Durch die veränderte Belastung des Fußes können auch andere Zehen Fehlstellungen entwickeln (z. B. Hammerzehen oder Krallenzehen), was die Symptome und Funktionsstörungen des Fußes weiter verstärkt.
  • Degenerative Veränderungen im Gelenk: Die anhaltende Fehlstellung und mechanische Belastung können im fortgeschrittenen Stadium zu degenerativen Veränderungen im Großzehengrundgelenk führen, was die Beweglichkeit einschränkt und die Schmerzen verstärkt.

Klinische Manifestation

Leitsymptome:

  • Schmerzen: Belastungsschmerzen im Großzehengrundgelenk, insbesondere bei längerem Gehen oder Stehen, sind typisch. Auch Ruheschmerzen können im fortgeschrittenen Stadium auftreten.
  • Deformität: Sichtbare Abweichung der Großzehe nach außen (Valgusstellung), oft begleitet von einer Vorwölbung des Großzehengrundgelenks nach innen (Ballenbildung).

Fortgeschrittene Symptome:

  • Bewegungseinschränkung: Die Beweglichkeit des Großzehengrundgelenks ist zunehmend eingeschränkt, was die Funktion des Fußes bei alltäglichen Aktivitäten wie Gehen oder Treppensteigen beeinträchtigt.
  • Sekundäre Deformitäten: Neben der Großzehe können auch die anderen Zehen Fehlstellungen entwickeln, wie z. B. Hammer- oder Krallenzehen.

Progression und Organbeteiligung

Lokale Gewebeveränderungen:

  • Gelenkentzündung: Die anhaltende mechanische Belastung führt häufig zu einer Synovitis (Entzündung der Gelenkinnenhaut) im Bereich des Großzehengrundgelenks, was Schmerzen und Schwellungen verstärkt.
  • Osteoarthritis: Die fortschreitende Fehlstellung und die damit verbundene Überlastung des Gelenks können zu degenerativen Veränderungen (Arthrose) führen, was die Gelenkbeweglichkeit weiter einschränkt.

Systemische Auswirkungen bei chronischen Verläufen:

  • Beeinträchtigung des Gangbilds: Die veränderte Biomechanik des Fußes führt zu einer Fehlbelastung, die sich auf das gesamte Gangbild auswirkt und sekundäre Beschwerden in Knie, Hüfte oder Rücken verursachen kann.

Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden

Beeinträchtigung der mechanischen Eigenschaften:

  • Verlust der Gelenkfunktion: Die zunehmende Fehlstellung und die Subluxation des Großzehengrundgelenks führen zu einem Verlust der normalen Bewegungsfunktion des Gelenks, was die Abrollbewegung des Fußes erheblich behindert.

Reduzierte Funktionalität:

  • Einschränkung der Gehfähigkeit: Die schmerzhafte Fehlstellung und die eingeschränkte Beweglichkeit des Großzehs führen zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und der Belastbarkeit des Fußes.
  • Schmerzentstehung: Die anhaltende mechanische Reizung und die entzündlichen Veränderungen im Bereich des Großzehengrundgelenks verursachen chronische Schmerzen, insbesondere beim Tragen von Schuhen.

Regenerative und kompensatorische Prozesse

Versuche der Geweberegeneration:

  • Bindegewebsreaktionen: Der Körper versucht, durch Bindegewebsumbauten und Verdickungen der Kapselstrukturen die Stabilität des Gelenks zu verbessern, was jedoch häufig zu weiteren Einschränkungen der Beweglichkeit führt.

Kompensatorische Mechanismen:

  • Schonhaltungen und veränderte Bewegungsmuster: Patienten entwickeln häufig Schonhaltungen und veränderte Bewegungsmuster, um den Druck auf das schmerzhafte Gelenk zu reduzieren, was jedoch langfristig zu muskulären Dysbalancen und zusätzlichen Beschwerden führen kann.

Zusammenfassung

Der Hallux valgus entsteht durch eine progressive Fehlstellung des Großzehengrundgelenks, die durch mechanische Überlastung, muskuläre Dysbalance und Bandinstabilität gefördert wird. Die Abweichung der Großzehe nach außen (Valgusdeviation) führt zu einer vermehrten Druckbelastung, was zu weiteren strukturellen Veränderungen im Gelenk und in den umliegenden Weichteilen führt. Die Erkrankung führt zu einer zunehmenden Einschränkung der Gehfähigkeit und kann ohne frühzeitige Behandlung zu chronischen Schmerzen und degenerativen Gelenkveränderungen führen.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern – autosomal-dominanter Erbgang mit inkompletter Penetranz [2] 
    • Positive Familienanamnese ist häufig
  • Ethnische Herkunft – afroamerikanische Herkunft [1]

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) [1]
  • Unsachgemäßes Schuhwerk wie vorn spitz zulaufende Schuhe und hohe Absätze begünstigen die Entstehung des Hallux valgus

Krankheitsbedingte Ursachen [1]

  • Coxarthrose (Hüftgelenksarthrose)
  • Gonarthrose (Kniearthrose)
  • Pes planus (Plattfuß)

Weitere Ursachen

  • Achillessehnen-/Wadenmuskelverkürzung
  • Bandlaxizität (Hinweis auf übersteigerte Dehnbarkeit)

Literatur

  1. Golightly YM, Hannan MT, Dufour AB, Renner JB, Jordan JM: Factors associated with hallux valgus in a community-based cross-sectional study of adults with and without osteoarthritis. Arthritis Care Res (Hoboken). 2014 Nov 21. doi: 10.1002/acr.22517.
  2. Perera AM, Mason L, Stephens MM: The pathogenesis of hallux valgus. J Bone Joint Surg Am 2011 Sep 7;93(17):1650-61. doi: 10.2106/JBJS.H.01630.